Foto: Till Benzin
STREETS OF AB #3
„Märchenkönig“ Ludwig II., Götterbote Hermes, Lady Gaga: Auf solch ein illustres Trio trifft man wirklich nicht an vielen Orten. Wenn aus der Ménage à trois dann auch noch ein flottes Sextett wird, weil Ernst Ludwig Kirchner, Johann Desch und David Guetta mitmischen, dann kann es sich nur noch um ein Fleckchen Erde drehen – um zwei lebendige Straßen mitten im Bayerischen Nizza. Willkommen im Aschaffenburger Bahnhofsquartier – willkommen in der Ludwig- und Elisenstraße!
Ludwig II. (1845–1886) wurde 1864 zum König von Bayern gekrönt – leider hatte der „Märchenkönig“, dessen Tod durch Ertrinken im Starnberger See bis heute ominös erscheint, keine Beziehung zu Aschaffenburg. Deshalb findet man hier weit und breit auch kein Schloss Neuschwanstein. Gut, dass sich Ludwig I. (1786–1868), von 1825–1848 König von Bayern, hier heimisch fühlte und nicht nur „sein“ Bayerisches Nizza auf vielfältige Weise förderte, sondern in seiner Sommerresidenz 1847/48 das Pompejanum erbauen ließ. Die Stadt dankte es ihm – und benannte nicht nur die Ludwigsallee, sondern auch den Ludwigsbrunnen auf der Großmutterwiese nach ihm.
Doch zurück zu Ludwig II.: Bevor man die ihm gewidmete Ludwigspassage erreicht, trifft man auf das Geburtshaus des expressionistischen Künstlers Ernst Ludwig Kirchner, der in der heutigen Ludwigstraße 19 am 6.5.1880 geboren wurde. Im rosafarbenen Gebäude soll ein Dokumentationsraum entstehen, um die Kunst des berühmten Aschaffenburger Sohns Interessierten zugänglich zu machen.
Jetzt heißt es aber vorerst: Schnell den Regionalen Omnibusbahnhof (ROB) passieren, um die Gedanken wieder dem märchenhaften König zuzuwenden: In der Ladenpassage Ludwigshof befindet sich nicht nur das Ludwigstheater, dessen Ensemble sein Publikum mit herrlich leichten Komödien in gemütlicher Atmosphäre beglückt, sondern auch eine Lokalität, die sich dem angeblich grünsten und „schafreichsten“ aller Länder verschrieben hat: Irland. Die Einrichtung des Irish Pubs mutet einzigartig urig an. Genau die richtige Umgebung, um das ein oder andere Guinness zu zischen … Auch Livemusik- und Karaoke-Abende werden dort geboten. Wer sich dem irischen Charme erlegen fühlt, der sollte sich schleunigst an diesem so gar nicht mainstreamigen Ort einfinden. Wen das Fernweh plagt, der ist in jener Passage übrigens auch am richtigen Fleckchen: In der Keops Oriental Cocktail & Shisha Lounge kann man voll und ganz in die Welt des Orients eintauchen.
Beflügelt: Götterbote Hermes
Wenn man nach dem Genuss mehrerer Bierchen oder Cocktails noch alles klar erkennen kann, so erblickt man gegenüber ein futuristisches Gebäude, auf dessen Außenwand ein abstrakter Hermes schwebt. Leider ist es nicht mehr das ursprüngliche Wandbild aus den Fünfzigern: Das Fliesenbild musste im Rahmen des Bahnhofneubaus einer fotografischen Reproduktion weichen. Es bleibt also die Frage, in welchen Sphären der originale Götterbote mit seinen Koffern heute herumflügelt …
Doch zurück zum Gebäude an sich: Es handelt sich um den neuen Aschaffenburger Hauptbahnhof – ein würdiger Nachfolger für den ersten Personenbahnhof, der 1854 mit der Inbetriebnahme der Ludwigs-West-Bahn eröffnet wurde und nach dem Zweiten Weltkrieg neu erbaut werden musste. Eingeweiht wurde das aktuelle Glanzstück am 29.1.2011 – und zwar mit viel Trara und regionaler Prominenz. Das Areal bietet Ladenlokale für alle Bedürfnisse und eine Verbindung zum Stadtteil Damm, die Ende Februar dieses Jahres freigegeben wurde.
Direkt neben dem imposanten Bahnhofsgebäude befindet sich die Aschaffenburger Hauptpost, die am 6.11.1911 eröffnet wurde und die, wie das komplette Bahnhofsviertel, im Oktober sowie November 1944 durch Minenangriffe schwer beschädigt wurde. Ein erfreulicher Tag war erst wieder der 1.12.1945: An diesem Dezembertag wurde die erste Fernsprechstelle am Postamt in Betrieb genommen. Auf einmal begegnet man in der Ludwigstraße einem schon aus der Sandgasse bekannten Geschäftsmann: Johann Desch, Begründer der Aschaffenburger Bekleidungsindustrie und Erfinder der seriell produzierten Herrenkonfektion nach Standardmaß, gründete 1874 in der Sandgasse die erste Kleiderfabrik der Stadt, die 1894 das Gebäude bezog, das heute die Ludwigstraße 3 ist. Bis in die siebziger Jahre waren Verwaltung und Lager hier gegenüber des Bahnhofs und der Post ansässig.
Beschwingt: Partyjünger & Tanzmäuse
Jetzt aber lange genug in der Ludwigstraße aufgehalten! Direkt am Bahnhofsvorplatz beginnt die Elisenstraße, die ihren Namen der Frau des Aschaffenburger Großhändlers und Kommerzienrat Philipp Dessauer (1837–1900) verdankt. Jener veranlasste nicht nur die Anlage der Straße, sondern ließ auch die ersten Häuser dort errichten.
Direkt unter dem Parkhaus Elisenpalais hört man abends die Bässe wummern. Weshalb? Weil hier ordentlich abgezappelt wird! In der V3 geht es insbesondere an Freitag- und Samstagabenden so richtig rund. Die angesagten Hits und das moderne Ambiente locken regelmäßig Scharen von Partyjüngern in den Club. Auch DJ-Stars geben sich hier die Klinke in die Hand – so beehrten bereits Michael Mind, Finger & Kadel und Ida Corr die Plattenteller der Location. Die leicht bekleidete Micaela Schäfer schaute auch schon vorbei, was sogar nationales Aufsehen erregte. In dieser tanzbaren Buchstaben-Zahl-Kombination kann man also gehörig Spaß haben – vielleicht hätte sogar Ludwig II. zu den Klängen von David Guetta, Rihanna und Lady Gaga die Tanzfläche geentert und ungeniert sein Zepter geschwungen …
Gegenüber des Clubs am Übergang zur Bodelschwinghstraße wird gleich weitergefeiert: In der Vinylbar wird Musik gespielt, die ins Blut geht. Das mehrstöckige Gebäude bietet gemütliche Sitzmöglichkeiten und genügend Platz, um sich zu bewegen – und damit ist nicht nur das verwegene Tippeln mit den Fußspitzen gemeint. Das Publikum ist bunt gemischt – kein Wunder: Qualität setzt sich eben in allen Zielgruppen durch. Wenige Meter entfernt hat man vor dem abendlichen Amusement natürlich Bertram in der Elisenstraße 29 schon einen Besuch abgestattet: Keinem – außer Friseurmeister Bertram Vural – gelingt es, dass man die Haare SO schön hat. Am Ende der Elisenstraße am Kreisel der Goldbacher Straße lädt nach dieser Entdeckungstour das Bistro O-19 zu einer Verschnaufpause ein. Wem es dann noch in den Beinen kribbelt, der hat es von hier nicht mehr weit zur City Galerie …