
Foto: Anika Koppenstedt
STREETS OF AB #11
Hier schlägt es, das Herz der Stadt. Hier fließt er unablässig, der Strom konsumfreudiger Aschaffenburger. Hier lässt sich auf wenigen Quadratmetern nicht nur der nächste Südsee-Urlaub buchen, sondern auch das Angebot des heimischen Kleiderschranks problemlos aufstocken. Von lukullischen Genüssen einmal ganz zu schweigen. Auch an historischer Front gibt es von der Herschlgass’ Freudiges sowie Leidvolles zu berichten: Zeit für Heimatkunde!
Zehn Mal haben die FRIZZen sie bereits konsequent umgangen und immer wieder links liegen gelassen. Oder rechts. Aus den Augen verloren haben wir sie dabei jedoch nie, die gute Herschlgass’. Gewinnt weder einen Preis für exorbitante Länge noch eine Trophäe für außerordentliche Schönheit. Ist weder schnurgerade noch friesisch flach. Und trotzdem scheint hier der Mittelpunkt der Welt zu sein – oder zumindest das Aschaffenburger Zentrum für Shoppingfans.
Kein Wunder, südlich des Herstallturms wird schließlich jeder fündig – Leseratten stürmen die Buchhandlung Diekmann, Schleckermäuler in den warmen Monaten das Eiscafé Venezia und Klunkerfans die Räumlichkeiten der Juweliere Vogl oder Bauer. Freunde traditioneller Wirtshauskultur pflegen ihren Gaumen im Wurstbendel, Fernwehgetriebene buchen in der Herstallstraße ihre nächste Reise und Ascheberscher mit grünem Daumen kaufen ihre Blumen selbstverständlich ausschließlich hier. Zudem ist die Fußgängerzone paradiesisches Areal für Shopping Queens und Kings jeglicher Statur – versteht sich, dass hier auch für jeden Geldbeutel und für jeden Geschmack etwas zu haben ist. Insgesamt bietet die Herschlgass’ zusammen mit Roßmarkt, Sand- und Steingasse etwa 50.000 Quadratmeter Verkaufsfläche – eine Zahl, die jedes Konsumentenherz höher schlagen lässt. Unter freiem Himmel lässt es sich eben besonders gut von Ladenlokal zu Ladenlokal flanieren. Wer seine Bedürfnisse während der normalen Öffnungszeiten nicht stillen kann, dem seien die regelmäßig stattfindenden verkaufsoffenen Sonntage ans Herz gelegt: Dann ist die Herstallstraße erfüllt von buntem Treiben, fröhlicher Musik und jeder Menge kulinarischer Angebote. Sollte das immer noch nicht genug sein: Regelmäßig sind selbst in der von den Ascheberschern stets liebevoll Herschlgass’ genannten Straße die Geschäftspforten bis 24 Uhr geöffnet.
Abstecher in die Riesengasse
Ermattet vom vielen Portemonnaie zücken empfiehlt sich ein Abstecher in die Riesengasse – das Café Krem ist ein wahrlich idyllischer Ort in all dem Trubel. Des Abends geht es allerdings auch in diesem Gässchen ordentlich rund: Im Gully ist schließlich schon jeder länger geblieben, als er eigentlich wollte. Sympathischerweise kommt diese Kneipe einfach nie aus der Mode. Hier trifft man sich wie selbstverständlich – oder fest verabredet, um einem Konzert zu lauschen oder eine Sportübertragung nicht zu verpassen. Tagsüber lässt es sich übrigens auch hervorragend im wenige Schritte entfernten Park Schöntal entspannen – besonders im Sommer bietet sich dieser für eine kurze Verschnaufpause an. Diverse Cafés und Bäckereien bieten dem kleinen Hunger den ganzen Tag über bravourös die Stirn.
Wer hingegen auf keinen Fall verpassen möchte, was in der Stadt ABgeht, der werfe auf sie einen Blick: Nicht weit von der Landingstraße entfernt vor der Einmündung der Steingasse findet man auf der Litfasssäule zahlreiche Termine und Veranstaltungsübersichten.
Freud & Leid
Natürlich ist dieser Pfad auch kein weißes Blatt, was Geschichtliches anbelangt: Bereits vor langer Zeit ging es in der Herstallstraße hoch her: Wer hätte etwa gedacht, dass schon 1871 eine illustre amerikanische Kunstreitergesellschaft ihren Einzug in die Stadt durch das Herstalltor gehalten hat? Immerhin zwei Elefanten und zwei Dromedare begleiteten das Ensemble, womit Aschaffenburg schon früh mit ziemlich exotischen Gästen in Berührung kam. Auch sonst gab es hier einiges zu lachen: 1881 wurde im Haus Nummer 35 der Verein Schlaraffia Asciburgia im damaligen Gasthaus Zur Rose gegründet. Als Zweck gibt der Verein heute noch die Pflege der Freundschaft, Kunst und des Humors an – ein durchaus lobenswerter Ansatz, den wir FRIZZen voll und ganz unterstützenswert finden.
Früher war es übrigens üblich, den Herstallturm an Fasching bunt zu verkleiden. So grinste allen Umzugsfeiernden noch 1954 beim Fastnachtszug durch die Innenstadt ein strahlender Koloss entgegen. Dabei schmückte ihn der Schriftzug „Lacht euch gesund, in Ascheberg geht’s rund!“ Dieses Motto scheint noch heute für die Herstallstraße gültig zu sein – an diesem Ort lässt sich die Leichtigkeit des Seins aber auch besonders gut genießen. Leider hat aber auch dieser Teil unseres Städtchens dunkle Zeiten erlebt: Otto Wolfsthal, jüdischer Bankdirektor und Wohltäter, nach dem heute der Aschaffenburger Wolfsthalplatz in der Nähe der Treibgasse benannt ist, lebte mit seiner Familie hinter der Hausnummer 39 – bis 1942 der Deportationsbescheid in den Briefkasten flatterte und er sich und seinen Angehörigen eine Überdosis des Schlafmittels Veronal verabreichte, obwohl er vorher sogar hätte emigrieren können. Bekannt war er vor allem für seine soziale Ader: Er gründete Stiftungen, spendete Geld und Lebensmittel an Kriegsopfer und nahm sogar Kranke in sein Haus auf. Ein ehrenwerter Wahl-Aschaffenburger also, der das Stadtbild heute noch prägt.
Ähnlich tragisch erscheint die Geschichte des Leutnants Friedel Heymann: Dieser wurde 1945 wegen angeblicher Fahnenflucht und Feindpropaganda durch die Nationalsozialisten gehängt – den Strick befestigte man zur Einschüchterung der Bürger gut sichtbar am Geschäftsschild des Café Höfling in der Herstallstraße 5, an dem der Tote ganze sieben Tage hängen gelassen und schließlich von den einmarschierenden Amerikanern erlöst wurde. 2005 wurde übrigens genau an dieser Stelle eine Bodenplatte angebracht, die Friedel Heymann ehrt und an ihn erinnert – das nächste Mal einfach mit offenen Augen durch die Herstallstraße laufen und bei Nummer 5 genau hinsehen!