
Foto: Till Benzin
STREETS OF AB #1
Unsere kleine Prachtavenue: Nicht die längste, nicht die breiteste. Definitiv jedoch die geschichtsträchtigste. Und eine Einzigartige: hat ihren unverwechselbaren Charakter, bietet nostalgischen Charme und eine Vielzahl kulinarischer Hot Spots sowie tagsüber eine herrliche Ruhe, während es ein paar Straßen weiter schon wieder hektisch zugeht. Wenn die Dämmerung allerdings hereinbricht, scheint sie Magnet zu sein – bei dem gastronomischen Angebot schließlich auch nur zu verständlich. Hier schlägt das Herz Aschaffenburgs! Da würde selbst ein Karl Theodor von Dalberg wohl gerne wieder in die ganz eigene Welt der nach ihm benannten Straße eintauchen …
Der Duft leckerer Köstlichkeiten schwappt auf den Bürgersteig: Kein Wunder – man befindet sich ja quasi im Melting Pot der Ascheberscher Gastronomie. Dass das Bayerische Nizza die größte Kneipendichte Bayerns aufweist, leuchtet wohl an keinem anderen Ort der Stadt mehr ein. Ob türkisch, deutsch, italienisch oder „guad boarisch“ – hier haben Genussfreunde stets die Qual der Wahl. Schließlich laden etliche Wohlfühl-Restaurants dazu ein, erlesene Weine zu probieren, drei bis sieben Biere zu heben oder eine Ofenkartoffel zu genießen. Letztere wird in der Kultstätte Die Kartoffel serviert, die urgemütlich als Familienbetrieb geführt wird. Auch in der Teufelsküche, im Schneckenhaus oder im Maulaff lohnt es sich zu verweilen – um danach nur wenige Schritte zurücklegen zu müssen, um einen leckeren Cocktail im Studio 69 zu schlürfen.
30 Leut hingegen lädt das Team der neuen Bar am Dalberg ein – vor allem im Sommer sind die Tische im Freien dort heiß begehrt. Wer hier kein Plätzchen mehr findet, ergattert vielleicht eines unter Freunden: Wer im Amici unter der Loggia auf dem Theaterplatz sitzt, kann währenddessen schon mal die Sonnenuhr studieren. Ein kurioses Objekt. Große Teile des Theaterplatzes wurden mit breiten Linien und Motiven übersät, um Stunden und Minuten ablesen zu können. Ein eigener Förderverein widmet sich dem extraordinären Gebilde und offeriert im Internet sogar eine dreiseitige Anleitung. Man sei jedoch gewarnt: Einfach ist die Methodik nicht zu verstehen. Wahrscheinlich hätte sogar ein Karl Theodor von Dalberg seine Mühe gehabt, die Zeit zu erfassen …
Karl Theodor – ein echtes Original
… und dieser galt immerhin als universalgelehrt: Ähnlich facettenreich wie seine Straße war auch sein Tätigkeitsfeld: Der 1744 in Mannheim geborene wirkte nicht nur als Erzbischof von Mainz und Regensburg sowie als Großherzog von Frankfurt, sondern machte sich auch als Schriftsteller und Popularphilosoph einen Namen, wie auch durch das Verfassen von Schriften über Mathematik, Physik, Chemie und Geschichte.
Der studierte Jurist, der bereits in jungen Jahren Bildungsreisen nach Frankreich und Italien unternahm, war trotz seines mittlerweile in Verruf gekommenen Vornamens ein echtes Original. Der Philanthrop engagierte sich in Aschaffenburg sowohl in kulturellen als auch in wirtschaftlichen Bereichen. Des Weiteren zog er Adlige und Gelehrte in die Stadt und ließ eine Kunstgewerbeschule, eine Universität und ein Theater errichten. Nach seinem Tod im Februar 1817 wurde sein Herz in der Stiftskirche beigesetzt. Er hinterließ seine umfangreichen Sammlungen der Stadt – jene dankte es ihm, indem ein Gymnasium und eine Straße nach ihm benannt wurden.
Jene Stiftskirche St. Peter und Alexander wartet indes nicht nur mit einem spätromanischen Kreuzgang, sondern in ihrem Inneren auch mit der „Beweinung Christi“ von Matthias Grünewald (um 1520) auf. Sie ist die älteste Kirche Aschaffenburgs und bildet zusammen mit dem Stiftsmuseum und dem Stiftsplatz ein wahrlich ansehnliches Ensemble. Vor allem der Stiftsplatz mit dem mittig angesiedelten Brunnen wird alljährlich zum Dreh- und Angelpunkt eines großen Spektakels: Bei der Museumsnacht strömen Jahr für Jahr Kulturaffine in der ersten Julihälfte zum Herz ihrer Stadt. Wenige Tage später kehren sie zurück: Beim alljährlichen Dalbergstraßenfest – traditionell am letzten Sonntag im Juli – hätte sich bestimmt auch Dalberg selbst gerne unter „seine“ Aschaffenburger gemischt …
Großer Genuss – für Geist & Gaumen
Viel los ist in wenigen Tagen auch im Rathaus – ein kapitales, wenn auch nicht gerade strahlend schönes Gebäude, in dem über die Zukunft der Stadt entschieden wird. Hier residiert der langjährige Bürgermeister Klaus Herzog, den Winfried Bausback von der CSU im Kampf um das Amt herausfordert. Dalberg hätte der Gedanke, dass einmal ein Herzog die Geschicke „seiner“ Stadt leiten würde, sicherlich verzückt … Vis-à-vis des Rathauses erstrahlt seit kurzem etwas in neuem Glanze: Aschaffenburg hat sein klassizistisches Stadttheater zurück! 1811 von Dalberg erbaut, gilt es nicht nur als eines der schönsten in Süddeutschland, sondern wurde im Oktober letztes Jahres nach langjähriger Umbauphase auch endlich wiedereröffnet. Im Obergeschoss könnte sich nicht nur Dalberg heutzutage mit Jedermann treffen: Allen Kultur- und Genussfreunden bietet sich hier ein wahrhaftiges Paradies für den Gaumen.
Natürlich kommen auch Kunstfreunde auf der Dalbergstraße nicht zu kurz: Einer ehemaligen Schneiderei ist nur noch das EI geblieben: Heute bereichert der Ausstellungs- und Projektraum für Gegenwartskunst die Stadt – wie auch das Graphik-Cabinet in der Löwenapotheke neben dem Stiftsmuseum. Ein bedeutsames historisches Datum gibt es auch noch zu erwähnen: 1904 eröffnete ein gewisser Rudolf Kempf hier die „Erste deutsche Autolenkerschule“. Zum 100. Jubiläum vor nunmehr acht Jahren wurde am ehemaligen Standort eine Sandstein-Stele errichtet, an der man dieser glorreichen Gründung huldigen kann. Für dich, lieber Karl Theodor, kam sie jedoch leider 87 Jahre zu spät.
Ganze 18 Meter überwindet die Dalbergstraße zwischen dem tiefsten Punkt an der Mainbrücke bis zum Scheitel, der sich in etwa auf der Höhe des Rathauses befindet: Für Aschaffenburg eine beachtliche Höhendifferenz. Aber nicht nur aufgrunddessen wählt derjenige, der auf ihr unterwegs ist, eine gemächlichere Gangart: Man geht mit Bedacht etwas langsamer, um die besondere Atmosphäre gänzlich aufzusaugen. Im positiven Sinne ist die Welt der Dalbergstraße auch ein bisschen stehengeblieben. Darüber hinaus herzlich und stressfrei. Gleichwohl lebendig und vielfältig. Wunderbar, wenn nun im Frühjahr auch die ersten Sonnenstrahlen die Farben der Häuserfassaden erhellen …