Mir ist nicht klar, wo die Reise noch enden soll. Bei Gunther Sachs, Rolf Eden oder Hugh Hefner? Um nur ein paar zu nennen. Mein Sohn wurde im April gerade mal fünf. Lieber Himmel! Bei allem Verständnis für die Hingabe ans schöne Geschlecht, für alte männliche Selbstverständnisse, Traditionen, Leidenschaft für die Pracht dieser Welt und meinem Respekt für fast jedwede Art von Lebenswerk. Diese Männer sind nicht meine erste Wahl auf der Suche nach Role Models für Bruno. Aber wo der Stein durchs Fenster fällt. Oder wie geht noch mal das alte georgische Sprichwort? Bruno ist fünfeinhalb und verliebt sich drei bis achtmal am Tag. Kein Scherz und schon gar keine Übertreibung. „Papa“. „Ja, Bruno?“, „Jetzt glaub’ ich, dass ich mich in die Frau da vorne verliebt habe.“
So geht es in der früh auf dem Weg in den Kindergarten los und endet beim letzten Rundgang im Supermarkt. „Papa, ich glaube, ich habe mich in das Mädchen da drüben verliebt“. Er verliebt sich manchmal in alle Frauen, die auf der täglichen Route in die Kita unseren Weg kreuzen. Ich bin heilfroh, dass um die frühe Uhrzeit uns noch nicht allzu viele über die Füße fallen. Denn es ist völlig wurscht, ob es sich um ein Mädchen in seinem Alter, um einen Teenager, eine junge Mutter oder eine Frau von knapp 70 handelt. Frau ist Frau und Bruno ist verknallt. Sehe ich ein weibliches Lebewesen am Horizont erscheinen und höre ihn ansetzen mit „Papa, jetzt glaub‘ ich …“, weiß ich, es hat ihn erwischt. Die Liebe hält nie lange an. Nur für den Augenblick der Begegnung. Das hat ja auch einen gewissen Zauber. Er hängt den Frauen nie lange nach. Denn schließlich, schwupp, schon kommt die Nächste daher.
Aber dieses permanente Sich-Verknallen beschäftigt ihn auch ein wenig. Uns mit der Dauer dafür erstaunlicherweise gar nicht mal mehr so sehr. Wir haben es akzeptiert. Irgendwie. Tragen es zumindest mit Fassung und versuchen, ihm inmitten dieser Gefühlslage Haltung und Umgangsformen mit diesem Phänomen zu vermitteln. Jede und jeder der Restfamilie auf seine Weise. Hanni empfiehlt ihm, es einfach einmal nicht mehr auszusprechen, dann täte es schon wieder weggehen. Sie hätte auch manchmal sehr komische Gedanken, aber erst wenn es ausgesprochen wird, würde es an Bedeutung gewinnen. Von daher ihr Tipp: Klappe halten, weiterlaufen. Meine Frau erklärt ihm, dass das kein Verliebtsein sei. Sie glaubt, er fände die Frauen nur sympathisch und nett und verwechsle das schlichtweg mit Verknallen. Ich dagegen sage „Bruno, das ist doch ein schönes Gefühl. Besser als alle kacke finden“. Nur wenn es arg aus dem Ruder läuft – bei Großmüttern oder Ehefrauen beispielsweise – greife ich korrigierend ein. Aber nur leicht. „Ok, aber die Frau ist schon sehr alt, Bruno. Ob das mal mit dem Abstand gut geht?“ Oder „Bruno. Die ist doch bereits mit Markus verheiratet. Das könnte Ärger geben“. Meist ist das Thema dann auch schon durch. Eben bis spätestens das nächste Mädchen um die Ecke stromert.
Ich frage mich dennoch, woher das alles kommen mag. Und da ist es wieder, das alte Star-Wars-Mantra. Die Lust ist stark in deiner Familie, Bruno. Mein Vater hat sie, seine ganzen Cousins haben sie, sogar ich habe sie. Aber so früh und so ausgeprägt, daran kann ich mich beim besten Willen bei mir zumindest nicht erinnern. Das erste Mal in meinem Leben verguckte ich mich in der Herz-Jesu-Kirche. Ich war mit meiner Oma am Start – wie so oft in meinen jungen Jahren, wir waren eine Art Gang, glaube ich – und das Mädchen saß fünf Reihen vor mir. Ich sprach sie nicht an und sah sie nie wieder. Aber sie gefiel mir ausgesprochen gut. Das weiß ich noch. Dann kommt mir erst wieder die vierte Klasse und der Abschlussausflug in den Ponyhof Lochmühle in den Sinn. Ich verbrachte den ganzen Tag an der Seite von Kirsten L. und ich glaube, das war der erste wirklich richtige Startschuss in die wilde Welt des Sich-Verknallens. Sie war aus der neuen Schule, ich kam von der alten. Fast so ein wenig „East End Boy and Westend Girl“-mäßig. Es war wahrscheinlich einer der schönsten Tage bis dato in meinem Kinderleben, denn ich hatte das vage Gefühl, sie war an diesem Tag auch sehr gerne mit mir unterwegs. Das hätte was werden können. Nur mal so: Ich sah auch Kirsten L. seit diesem Ausflug nie mehr wieder.
Mit dieser Dimension des Verliebtseins hat mein Sohn noch nicht zu kämpfen. Liebe kommt, Liebe geht. Rucki-Zucki steht die nächste Frau auf der Platte. Einfach so. Die 40-jährige Nachbarin, die freundliche Frau an der REWE-Kasse oder das Mädchen, das gerade aus dem Fenster geschaut hat. Vielleicht sind es ja doch die Gene, die mein Vater immer so treu beschwört in seinem Leben. Und die für ihn vieles erklären und ihn für so manche Verantwortlichkeit auch entlasteten. Kann man nix machen, sind halt die Gene. Aber meine Tochter war mit ihren neun Jahren noch keine Sekunde verliebt. So sind wahrscheinlich nur die Jungs in meiner Familie. „Papa?“, „Ja, Bruno?“, „Jetzt glaub’ ich, dass ich mich in die Briefträgerin verliebt habe“. Ach Bruno, ich wünsch’ dir alles Glück dieser Welt mit den Frauen.
Bruno und ich hören: Bright Eyes „I’m Wide Awake, It’s Morning“ (Saddle Creek)