Wir machen Urlaub in der Bretagne. Als doppelgeimpftes Elternpaar mit zwei Kindern unter Zwölf dürfen wir das recht frank und frei. Nur falls uns hier jemand denunzieren will. Obwohl Verpetzen ja nach wie vor das Steckenpferd meines Sohnes ist, dem kleine Denunzianten! Am Rande, das wäre auch mal ein schönes Kinderbuch: „Der kleine Denunziant“. Muss ich mir mal für später merken. Vielleicht für meine Rente. Wenn ich dann fiese Kinderbücher schreibe. Besser zurück zum roten Faden. „Mama, der Papa ist schon wieder mit seinen Draußen-Schuhen im Schlafzimmer gewesen!“. Es hilft nach wir vor kein Ringen und Bitten um ein Schweigegelübde, auch Bestechungen laufen ins Leere. Hausinterne Regelverstöße müssen sofort an die oberste Stelle gemeldet werden. Und Hygiene ist seit Corona sein wichtigstes Leitziel und Händewaschen sein neues Hobby. „Ich habe den Türgriff angefasst, ich wasche schnell die Hände!“ So geht es 15mal am Tag. Mindestens.
Danke, Corona, ich weiß nicht welche Folgeschäden sich für diese Generation ergeben werden. Nix da Generation Alpha. Generation W. W wie Waschzwang. Oder doch A, A wie Ansteckungsgefahr. Das ist meine Befürchtung. Und so richtig ist mir dabei gar nicht zum Lachen zumute. Ganz im Gegenteil. Wenn alles rum ist, hilft wohl nur ein massives Gegenprogramm. Eingeleitet von mir höchstpersönlich. Zwei Wochen Zelten, ohne Seife, nur Flusswasser. Natur pur, Eicheln essen und Brennnesseltee kochen. Oder noch besser gleich Kinder-Interrail? Durch Europa mit der Eisenbahn. Wie unsereins früher. Nur waren wir bereits 18. Er muss dann schon mal mit sechs ran! Türgriffe anfassen in aller Herren- und Frauen-Länder. Da haben wir uns manchmal sogar zwei Wochen nicht geduscht, schliefen vor Städtemauern und am Strand und blieben trotzdem kerngesund. Wir hatten regelrechte Wettkämpfe, wer es länger ohne Duschen aushält. Das waren die Abenteuer unserer Zivilisation in den späten 80ern und frühen 90ern. Das fanden wir geil.
Ich benutze das Wort „geil“ gerade sehr bewusst, denn meine Tochter hat diese Bezeichnung, die sich über Jahrzehnte im Sprachgebrauch eingenistet hat wie ein fauler Spatz, immer weniger im Einsatz. Meinem Eindruck nach. Ich glaube sogar, das Wort „geil“ wird irgendwann aus ihrem Potpourri verschwinden. Stattdessen ist bei ihr alles derzeit „hart“. Manchmal auch noch „krass“, aber hauptsächlich hart. Hart ist en vogue. „Boah, das Wasser ist hart klar!“. Wir sprechen vom Meerwasser in der Bretagne. „Boah, das geht mir gerade hart auf die Nerven!“. Irgendein Hinweis von uns, was sie auch anders machen könnte. Vielleicht unser Tipp, auch einmal wieder die Hände zu waschen? Denn im Gegensatz zu ihrem Bruder hat sie weniger Sorge, sich permanent anzustecken. Ich möchte fast sagen, ganz im Gegenteil, auch wenn ich sie jetzt nicht in unnötig schlechtes Licht rücken will. Aber während Bruno permanent Maske tragen will, obwohl er gar nicht muss, liegt ihre schon mal gerne auf dem Schuhschrank, während sie bereits auf halbem Weg in die Schule ist. Ach herrje, so sind sie, die Kinder. Jedes von ihnen mit eigenen Talenten, Sorgen und Sprüchen gesegnet. Jetzt ist bei ihr alles „hart“. Das Wasser „hart klar“, sie „hart genervt“.
Halbwegs wache Leser werden sich vielleicht gemerkt haben, meine Tochter ist gerade mal neun. Das irritiert mich jetzt wiederum momentan ganz schön hart! Was kommt mit zwölf? Oder mit 16? Das ist die eine Frage, die mich beschäftigt, zum anderen umgeht mich wie eine schlechte Fischplatte vom Vortag, die Erkenntnis, dass dieser Jugendsprech nicht mehr der meine ist. Und wohl auch nie mehr sein wird. So sehr ich mich auch bemühen mag, ich werde nicht mehr „hart gute Tage“ erleben. Oder „hart gestresst sein“. Nicht, weil ich es nicht will, es wird mir einfach nicht mehr automatisch in meinen Wortschatz rutschen. Wie meine Oma auch niemals etwas geil fand, aber irgendwann mit diesem Begriff leben lernte.
Also akzeptiere ich die neuen Superlative natürlich auch, zeige mich sogar sehr interessiert und frage nach. Woher dieses „hart“ jetzt denn kommt, wo sie den Begriff in dieser Verwendung das erste Mal gehört hat, wer das noch so sagt und überhaupt. Hanni sagt, sie selbst hätte den erfunden oder besser gesagt für sich entdeckt. Manchmal habe ich das Gefühl, meine Kinder und ich gehen ab und an sehr unterschiedliche Wege. Der eine wäscht den ganzen Tag die Hände und verpetzt mich, die andere ist schon halb erwachsen und spricht wie irgendjemand aus dem Jugendfernsehen. Das ist stellenweise hart krass und so gar nicht richtig geil.
Bruno und ich hören: Adam Green „Friends of Mine“ (Average Cabbage Records)