© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#9 Meine Schwiegermutter
Meine Schwiegermutter ruft mich sehr oft an. Das irritiert mich, denn das war ich bislang nicht gewohnt. Selbst in meinen jungen Jahren, als ich noch wankelmütig und mit Ohrringen in Wohngemeinschaften hauste, habe ich in einem halben Jahr nicht so häufig mit meinen Eltern telefoniert wie jetzt mit meiner Schwiegermutter in einer Woche. Wir stehen also in engem Austausch. In der Regel handelt es sich um Anrufe der folgenden Art „Na, wie geht es der Hanni? Ist sie gesund? Und ist sie im Kindergarten? Ist sie mit dem Rad in den Kindergarten gefahren? Und der Bruno? Hat der gut geschlafen? War er nicht oft wach?“. Nein, die Hanni ist heute ausnahmsweise nicht im Kindergarten, sondern für drei Tage auf einen U-5-Kongress nach Kopenhagen geflogen. Und Bruno hat spontan entschieden bei einem Kumpel in Frankfurt-Höchst zu pennen. Er kommt gegen Mittag mit der S-Bahn zurück. Meist fragt sie dann noch, ob meine Frau wieder mit dem Rad zur Arbeit gefahren sei. Und ob es dafür nicht zu nass, zu kalt oder wahlweise zu windig oder zu dunkel sei. Um die Dimension dieser Frage vollends zu verstehen, ist es wichtig zu wissen, dass meine Frau in den letzten zehn Jahren höchstens zweimal nicht mit dem Rad zu ihrer Schule gefahren ist. Es kann ein Taifun durch Bockenheim, Hausen und Praunheim blasen, meine Frau sitzt trotzdem auf dem Sattel. Das ist überall bekannt und wer den, sagen wir mal, starken Willen meiner Frau kennt, weiß, da holt sie auch keiner runter. Aber gut, dass wir es noch mal besprechen.
Meine Schwiegermutter hat seit geraumer Zeit auch whatsapp. Das entzerrt die Kontaktdichte nicht unbedingt. Es gibt einfach gar nicht genug Bilder, die verschickt werden können und vor allem gibt es immer noch welche, die einem geschickt werden können. Nach ungefähr vier Wochen, war das erste Mal der Speicher voll. Ich mag meine Schwiegermutter. Sehr sogar. Das muss an dieser Stelle deutlich so gesagt werden, denn das ist im allgemeinen Verhältnis Schwiegersohn-Schwiegermutter ja nicht immer der Fall. Weltweit. Aber bei manchen Dingen sind wir unterschiedlich. Meine Schwiegermutter war auch der festen Ansicht, dass meine Tochter unbedingt Kaba trinken müsse. Jetzt wo sie über vier Jahre alt ist. Ich verstehe diese Logik nicht ganz. Bei einer 16-Jährigen sagt man ja auch nicht, dass sie jetzt mal unbedingt eine rauchen müsse, nur weil sie gerade 16 Jahre alt geworden ist. Vor allem, wenn sie bislang noch gar nicht den Wunsch nach Zigaretten äußerte. Meine Tochter hat übrigens vorher noch nie von Kaba gesprochen. Wie gesagt, bei ein paar Dingen sind wir unterschiedlich, meine Schwiegermutter und ich.
Meine Kinder lieben meine Schwiegermutter, den Schwiegervater mindestens genauso, aber das ist noch mal einen gesonderten Eintrag wert. Sie ist eine prima Großmutter. Sie ist jung geblieben, hat einen Sinn für Humor, einen guten Geschmack, manchmal nur einen anderen als wir, und sie hat immer zwei bis acht Überraschungen im Korb. Das entlastet uns Eltern ja auch. Einen Schlafanzug, eine Strumpfhose, ach guck mal, der Rock, ist der nicht klasse. Und immer einen Sack voll mit Butterhörnchen und Backwaren vom Bäcker Brückner und geschätzt fünf Kilo Leberkäse und Knobelinchen vom Metzger Völker aus Goldbach. Es herrscht immer noch große Skepsis Frankfurter Bäckern und Metzgern gegenüber. Wenngleich ich festhalten muss, dass der Metzger Völker möglicherweise wirklich der beste Metzger der Welt ist.
Wäre ich noch mal Enkelkind, ich würde mir wahrscheinlich genau diese Großmutter wünschen und sie läge sicherlich auch im internationalen Vergleich ganz weit vorn, wenn das nur irgendwo erhoben werden würde. Aber … oh, Entschuldigung, ich muss aufhören, es klingelt. Erst Mobiltelefon, dann Festnetz, dann wieder Mobil. Das kann nur eine sein. „Ah, grüß Dich. Nein, hier ist alles klar. Die Hanni? Ja, alles gut. Ist gesund im Kindergarten. Wie immer mit dem Fahrrad. Bruno? Hat super geschlafen, nur einmal kurz wach, weil der den Schnuller gesucht hat … Nein, hier war es trocken … Kennst sie doch, sie fährt doch nie mit den Öffentlichen. Zu viele Viren, Keime und Bazillen. Ja, ich sag’s ihr. Logisch kann sie morgen auch das Auto nehmen. Du kannst ja heute Abend noch mal anrufen, wenn alle da sind. Alles klar. Mach’s gut. Bis dann.“ Wie gesagt: Ich mag meine Schwiegermutter.
Bruno und ich hören: Arcade Fire „The Suburbs“ (City Slang)