Neverending Vatertag: #52 Zweieinhalb Stunden
Zweieinhalb Stunden frei. Im Urlaub. In England. Zweieinhalb Stunden nur für mich. Manchmal kann das Leben wieder sehr einfach sein. Ich gehe als erstes zu Jaxs Barbers. In England sind noch normale Jungs vom Fußball-Platz Barber. Sie tragen keinen Vollbart, dafür ordentliche kurze Hosen und einen optimal ausrasierten Nacken. Sie sind freundlich, etwas reserviert und tätowiert. Aber das sind hier in der Regel alle. Also tätowiert. Aber anders. Brachialer und unbarmherziger als in Deutschland. Ich mag dieses Land. So müssen früher Friseurbesuche auch bei uns auf dem Land gewesen sein. Nur ohne Tätowierungen. Maximal ein Anker. Oder eine Meerjungfrau. Falls jemand vorab zur See fuhr. Wenn ich zurück in Deutschland bin, gehe ich mit Bruno auch nur noch zu einem ausgewiesenen Herrenfriseur. Ich glaube, das tut ihm gut. Und hinterher hören wir viel Frank Turner. Damit er versteht, dass auch aus dem Mittelstand politischer Ungehorsam entstehen kann. Doch zurück zum Urlaub und den zweieinhalb Stunden. Ich lasse mir die Haare schneiden und den Bart trimmen. Blitzsauber mit Rasiermesser und das Haar mit Trockenschnitt. Natürlich. Sehr gut. Dabei überlege ich, ob ich vor Ort bereits einen Whisky trinke. Entscheide mich aber dagegen, denn außer mir würde das gerade im Salon niemand machen. Verdammter Gruppendruck.
Danach gehe ich aber schnurstracks in einen wunderbaren Pub. Dort trinke ich ein Brewdog Lager, für das mich jeder Berliner Hipster auf seinen Schultern durch seinen Stadtteil tragen würde und dazu dann doch den ersten Whisky. Ich schaue auf die Uhr, wir haben 16.18 Uhr. Schnell schreibe ich einer bunten Auswahl meiner Freunde, was ich gerade mache. Für Singles ohne Kinder ist das nichts. Keinen feuchten Flunsch und schon gar keinen Beitrag wert. Für mich dagegen gerade alles. Barber, Bier, Whisky. „Meine Welt in drei Worten erklärt“ singt Marcus Wiebusch und meint es doch ganz anders. Kein Kind, das vor der Tür trippelt oder auf Toilette muss oder nach Eis schreit. Meine Väterfreunde antworten sofort und zeigen Muskeln oder wollen bei mir sein. So schaut’s aus. Der heikle Punkt ist jetzt, dass ich mich nahtlos betrinken könnte. Sogar alleine. Mach ich aber nicht. Ist wahrscheinlich auch besser. Dafür schenkt mir die Bedienung sogar noch ein Pint-Glas. Habe ich es schon gesagt? Ich liebe dieses Land sehr. Auch wenn sie mit uns Deutschen nicht immer die besten Kumpel sind. Glaube ich.
Mit einem klitzekleinen Glimmer gehe ich zum lokalen Metzger. Die tragen hier alle Hüte. Auch mal eine Tradition. Die gefällt mir. Dort kaufe ich Burgerfleisch und hinterher noch woanders den Rest und vor allem Bier. Auf dem Heimweg nehme ich noch einen Midcentury-Blumenkübel für meine Frau mit. So bin ich. Eigentlich ein ganz feiner Kerl. Alleine für diese zweieinhalb Stunden hat sich die Überfahrt bereits gelohnt. Aufs Wesentliche verdichtet. Mir inneren Seelenfrieden gegeben. Mehr brauche ich fast nicht. So einfach ist das. Morgen stelle ich mich gerne wieder in den Dienst der Familie. Als guter Ehemann und Vater. Ich muss nur ab und an Zeit für mich haben. Es reichen mittlerweile auch zweieinhalb Stunden.
Bruno und ich hören: Franz Ferdinand „Franz Ferdinand“ (Domino Records)