Bruno Duden
Ich muss ganz ehrlich zugeben: Ich verstehe meinen Sohn sehr schlecht. Also nicht emotional, sondern rein sprachlich. Tatsächlich! Ich weiß häufig partout nicht, was er meint. Er findet Begriffe und Wörter, die ich überhaupt nicht zuordnen kann, die ich noch nie in meinem Leben gehört habe. Das bringt mich zum Nachdenken. Ich befürchte, ich müsste ihn besser verstehen. Ich bin doch der Vater. Außerdem habe ich so viel Zeit mit ihm verbracht wie niemand sonst auf dem Planeten. Aber dann ist er im Hof auf meinem Arm und sagt beispielsweise „Machuta“ oder so was Ähnliches. Und ich kann nur dumm gucken. Ich kenne den Begriff „Machuta“ überhaupt nicht. Ich weiß nicht, was ein Machuta ist. Ist das was zum Trinken? Zum Spielen? Eine Person? Ein Ort? Ich stochere im Dunklen. Mir bleibt ja nichts anderes übrig.
Manchmal spiele ich Kenntnis vor, „Ah klar, Bruno ein Machuta, das holen wir gleich von drinnen.“ Oder so ähnlich. In der Hoffnung, dass er sich beruhigt, der, das oder die Machuta ist auf dem Weg, er kann sich auf etwas anderes konzentrieren. Doch dann gibt es den, die oder das Machuta drinnen überhaupt nicht und dann kann es sein, dass er sauer wird. Denn ein Machuta ist etwas ganz anderes. Oder ich frage nach. Da komme ich leider nur auch nicht weiter. „Ist ein Machuta etwas zum Essen?“. „Maj“ ist dann die bekannte Antwort. Maj heißt nein. Hat sich vielleicht der ein oder andere hier gemerkt. Ich frage weiter. „Gibt es ein Machuta hier im Hof?“. In der Regel komme ich dann auch nicht voran. Dann reißt seine Hutschnur endgültig. Aber was soll ich tun. Es gibt kein Machuta in meiner Welt. Noch nicht mal eine Nuss, geschweige denn eine Eis-Sorte kenne ich, die so heißt.
Wenn man ihn nicht versteht, hat Bruno sehr wenig Geduld und es rauscht schnell im Blätterwald. Im Getränkemarkt gestern forderte er lautstark „Beze“. Auch ein Beze war mir auf den ersten Ohrwurm unbekannt. Irgendwann dämmerte mir, das könnte ein Brezel sein. „Bruno, ein Brezel?“ Immer wenn ich richtig liege, blickt er mich glückselig an. Verstehe ich ihn nicht, verzieht sich sein Gesicht zu einer Kartoffel. So ist der Lauf der Dinge bei uns. Sicherlich, ich kapiere noch deutlich mehr als beispielsweise der dahergelaufene Briefträger. Aber im internen Ranking liege ich nicht einmal auf den Medaillenplätzen. Da darf ich mir nix vormachen. Platz eins hat unangefochten meine Frau. Sie versteht nahezu alles. Wie sie das macht, ist ihr Geheimnis. Vielleicht liegt es auch dran, dass er neun Monate in ihrem Bauch war. Wäre zumindest eine Erklärung. Aber auch Hanni kommt mit diesem hanebüchenen Kauderwelsch besser klar als ich. Kindliche Kreativität vielleicht. So baue ich mir meine Realität zusammen. Da allerdings auch die Lieblingserzieherin immer treu erzählt, welche Geschichten Bruno heute wieder zum Besten gegeben hat, bleibt mir nur Platz 4. Und der auch nur mit gutem Willen.
Brunos Wortschatz wächst tagtäglich. Ich will ihm da mal nicht in den Rücken fallen. Das wird schon. Ich habe immer großes Vertrauen in meine Kinder. Und ein jedes von ihnen hat seine eigenen Stärken. Dazu tritt er auch schweres Erbe an, schließlich hat seine Schwester bereits im Alter von 2 Jahren gepflegt beim Bäcker einen Eierweck geordert. Komplett selbstständig. Ohne meine Hilfe. In dieser Sparte ist Bruno allerdings immer noch meilenweit von seiner Schwester weg. Wortschatz hin, Machuta her. So weit weg, wie ich von einem Fachvortrag in Yale. Bruno hegt und pflegt Sammelbegriffe und wenige ausgewählte markante Wörter. Ich schreibe das jetzt zum Teil mal auf. Allein zu meiner Gedankenstütze. Und falls uns mal jemand zu Besuch kommt und gleich mal eine gepflegte Unterhaltung mit meinem Sohn starten will. Da gibt es „Lala“ beispielsweise. Lala ist ein klassischer Sammelbegriff in seiner Welt und in der Regel positiv besetzt. Lala ist Schokolade, Marmelade und alles sonstige Süße. Dazu heißt aber auch das Fahrrad Lala. Na klingelt’s? Das soll mal einer kapieren. Dann gibt es „Kaka“. Natürlich das große Geschäft. Aber auch hier lauert ein Stolperstein, denn ruft er „Kake“ war bis vor kurzem jede seiner Jacken gemeint. Seit ein paar Tagen ist die Jacke aber nicht mehr die Kake sondern die „Hake“. Darauf legt er besonderen Wert. Das alles ist aber nicht zu verwechseln mit der „Hane“. Eine Banane. Hochkomplexe Sprache. Völlig von ihm alleine entwickelt. Aber wir nähern uns langsam aber sicher an. Das „Hallo“ ist das Telefon, vor allem das Mobiltelefon. „Mej-Do“ steht immer für jede Form von „Aber“ oder Widerspruch. Wir vermuten es ist in Anlehnung an das Französische. Eine Art „Mais do“. Das vermuten aber nur wir. Ganz alleine. Mej-Do ist neben Maj einer seiner Lieblingsbegriffe.
So gehen die Tage ins Land, die Begriffe formen sich und ich arbeite mich durch diese wundersame Sprachwelt. Manchmal kommt mir dabei ein Gedankenblitz. Heute zum Beispiel. Ganz unverhofft. Da waren wir bei Freunden und ich hatte ihn auf dem Arm. Plötzlich wieder „Machuta, Machuta“. Willst Du runter vom Arm Bruno? Er völlig glücklich „Ja“. Ich bin mir noch nicht sicher, aber vielleicht heißt „Machuta“ so etwas wie „Mal runter“. Ich bin auf der Spur. Wär doch gelacht. Ich frage mal zur Sicherheit meine Frau.
Bruno und ich hören: Casper „XoXo“ (Four Music)