© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#3 Eurythmie
Meine Frau ging immer mit meiner Tochter zum Tanzen. Es ist kein richtiges Tanzen, es heißt Eurythmie und für schlaue Pädagogen ist das nix Neues: Das ist Walldorf vom Scheitel bis zur Sohle. Meiner Tochter gefällt das aber. Die Kursleiterin ist rund und scheinbar pumperlgesund und sie serviert allen Kindern in der Pause erst einmal „Zwergenäpfelchen“. Zwergenäpfelchen sind – um gleich mal ersten Zauberwind aus den Segeln zu nehmen – einfache Apfelschnitten. Würde ich zuhause mit Zwergenäpfelchen kommen, sie würden mir um die Ohren fliegen wie faule Kürbisse. Hier aber ist hellauf Begeisterung angesagt. „Oh, Zwergenäpfelchen, wie schön ist das denn“. Wie gesagt, meiner Tochter gefällt es dort sehr gut, und all ihr Jähzorn ist für kurze Zeit verflogen. Als ob geradewegs ein Zwergenwindchen durch sie hindurch gefahren wäre und hätte all die Wut mitgenommen. Oder die Körperfresser wären gekommen und nur noch ihre Hülle wäre die gleiche.
Jetzt arbeitet meine Frau und ich muss zur Eurythmie. Ein erster Höhepunkt in meiner Woche. Und es ist ein größerer Aufwand, denn bereits um 15 Uhr startet die Veranstaltung. Mein Sohn schläft aber gerne bis kurz vor Zwei, meine Tochter steht dann jedoch schon im Kindergarten bereit, immer leicht übellaunig und kaum sind wir zurück, hat Bruno noch Hunger und meine Tochter rastet das erste Mal aus. Denn jetzt muss sie erst pinkeln, dann Händewaschen, dann umziehen, dann die Tasche packen und dann losfahren. Auf all das hat sie keine Lust. Ich muss nachdenken: Sie will doch dahin. Zumindest behauptet meine Frau das. Ich kann gut und sehr gerne auch zuhause bleiben. Das vergisst aber meine Tochter schon bei der ersten Zornattacke. Irgendwie gelingt es wundersam alle um viertel vor drei ins Auto zu hieven – ich danke kurz Gott für die Kraft und die Nerven. Rechtzeitig zu den Zwergenäpfelchen. Ich bin leicht angeschwitzt. Meine Tochter bezahlt den Obolus von 4 Euro selbst, sonst gerät die Sache gleich vor Ort außer Kontrolle. Den Unkostenbeitrag wirft sie natürlich nicht in eine herkömmliche Kasse, sondern in ein Schatzkästchen. Das sieht nur aus wie eine herkömmliche Kasse.
Meine Tochter und ich haben uns schnell darauf verständigt, dass ich nicht mittanzen muss. Da haben wir nicht viele Worte verloren, denn das ist für alle Beteiligten besser. Ich musste einmal bereits in der Musikschule mittanzen, das war ihr sichtlich peinlich. Die Kursleitung stürzte sich allerdings so schnell auf mich, als habe sie vier Tage kein Wasser gesehen und ich wäre ein Krügerl mit spritziger Schorle. So ist das. „Ah, endlich mal ein Vater.“ Kein Entkommen. So tanzte ich so gut mir Gott Talent gab zwischen Vier- bis FünfJährigen, war ein kleines Vögelchen, wedelte mit Tüchern, hämmerte mit Stöcken wie der junge Winnetou und immer, wenn ich an der Reihe war, blickte meine Tochter beschämt nach unten.
Vor Kurzem fragte sie mich jedoch völlig überraschend von der Autorückbank: „Papa, warum warst Du eigentlich ein kleines Vögelchen?“ „Wo soll ich denn ein kleines Vögelchen gewesen sein?“. „Damals beim Tanzen im Kindergarten.“ „Weil Frau Anlauf das so wollte …“ Zufriedenheit bei meiner Tochter, das kommt bei neun von zehn meiner Antworten nicht vor und damit Zufriedenheit bei mir. Kein Trauma. Alles gut. Vielleicht geh’ ich doch mal mit rein zur Eurythmie. So für knappe zehn Minuten. Kurz vor den Zwergenäpfelchen.
Bruno und ich hören: Dave Hause „Devour“ (Rise Records)