Dieser Beitrag ist eine Hommage. An einen Evergreen. Einen Klassiker, der immer aus den Kehlen der jeweils jüngsten Generation dröhnt. An einen Ruf und eine Bekanntmachung der ganz besonderen Art. Übergreifend in der Verwendung seit mindestens den 70er-Jahren. Er überlebte die RAF, AIDS, den kalten Krieg, Corona und die Präsidentschaft von Donald Trump. Es ist ein einzelnes Wort. Kurz, knackig. Es beschreibt den aktuellen Stand nach einem mehr oder minder großen Geschehen. Und ist zur gleichen Zeit eine unmissverständliche Aufforderung. Ohne, dass irgendetwas in diesem Begriff darauf hindeutet. Denn er beschreibt eigentlich nur den Status Quo. Erst heute nochmals in der Früh. Mein Sohn sitzt auf der Toilette, erledigt das große Geschäft des Tages und da tönt es bestimmt hinter der halboffenen Tür und erinnert mich an fast vergessene Tage. Klar, eindeutig, unmissverständlich. „Fertig!“ oder „FÄÄÄÄRTIG!“. Wie ein südamerikanischer Fußballreporter ein Tor feiert: GOOOOOOOOOOAAAAAAAL! Hier eben FÄÄÄÄÄÄÄÄÄRTIG! Sogar über zwei Etagen hinweg erreicht mich beständig das Signal! Über Jahre hinweg. Mein Sohn hat fertig gekackt und will abgeputzt werden. Danke für den Hinweis, ich komme!
Es ist kein steter und beständiger Wunsch von seiner Seite mehr. Es dünnt sich eindeutig und nachhaltig aus, verliert sich im Heranwachsen. Wenn ich nur hartnäckig genug bleibe, gibt es auch auf der heimischen Keramik keine überraschenden Wendungen mehr. Wie bereits konsequent Außer-Haus. Es wird auch ihm bald restlos unangenehm werden. Eine Sache der Evolution ist das wohl. Irgendwann will kein Kind den eigenen Vater mehr in diesen intimen Situationen dabeihaben. Gegenwärtig ist punktuell nur noch die Bequemlichkeit der Wirt an der Theke zur fröhlichen Toilette. Manchmal ist mein Sohn nämlich stinkend faul, wo er sonst mit großem Eifer in Küchen- und Kochfragen zur Hand geht. „FERTIG! Papaaaaa! FÄÄÄÄÄRTIG“. Es gibt tatsächlich wenig Gänge, die ich in meinem Vaterleben mit noch weniger Lust und geringerer Freude erledigte.
Wie gesagt: Es lässt nach, im Zweifel verziehe ich mich beim frühzeitigen Erahnen des Unheils in einen der entlegensten Teile des Hauses oder Gartens und lasse ihn rufen und plärren. Soll doch jemand aus der Nachbarschaft kommen und ihn abputzen. Ab und an knicke ich allerdings ein und denke an mein eigenes treues Rufen, als ich selbst ungefähr in Brunos Alter war. FERTIG! FÄÄÄÄRTIG! Sich selbst konsequent in allen Lebenslagen abputzen, war und ist der erste Schritt zum Großwerden und damit so irgendwie auch zum Erwachsenwerden. Ich erinnere mich an Zeiten, da war das eigene Abputzen – bevor ich es selbst durchführte – ähnlich weit weg von mir, wie heute den Motor meines Autos zu reparieren. Oder eine Sau zu schlachten. Es war eine fremde Sache, wie ein Job, der definitiv nicht Teil meines Lebens oder Auftrags war.
Diese komplexe Tätigkeit des Abputzens – wie viel Streifen Klopapier übereinander, was ist die optimale Faltung und welche Handführung taugt am besten - konnte nur von Erwachsenen durchgeführt werden. Entsprechend forderte auch ich im Kindesalter jeden erreichbaren und nur annährend erwachsen-ausschauenden Menschen um mich herum auf, das doch bitte zu übernehmen. Bei Freunden und Verwandten. „FERTIG!“ Das ging so lange gut, bis in meinem Fall der ältere Bruder eines Freundes – ich ordnete ihn auch der Erwachsenenwelt zu und wollte ihm naiv die Aufgabe auffordernd zuschustern – mich entgeistert anschaute, nur, um mir gleich darauf mit wenig klaren, bestimmenden Worten zu erläutern, dass dies nicht sein Auftrag sei. Aber er würde mir gerne erklären, wie es funktionierte. Perplex, dass jemand diese Arbeit so konsequent verweigerte, hörte ich angespannt und konzentriert zu und machte mich dann an die Arbeit. Von nun an ging’s bergauf. Bis heute praktiziere ich seine Technik. Und gab sie an meinen Sohn weiter.
Ich weiß, für den endgültigen Schritt ist es nur noch eine Frage der Zeit. The Point Of No Return. Er wird kommen. Ich muss nur konsequent hart bleiben und darf schlichtweg nicht mehr kommen. Die Rufe streng nicht beachten und vorher die Toiletten mit ausreichend Papier ausstatten. Dass auch ja keine faulen Ausreden auftauchen. So von wegen, kein Toilettenpapier mehr da, deshalb bitte vorbeischauen und wenn ich schon mal da bin, kann ich doch gleich noch Hand anlegen. Ich gebe ihm noch zwei Monate. Wenn er dann noch einmal ruft, bestelle ich einen Freund zu Besuch und übergebe das Zepter. Der Ruf wird allerdings bleiben. Klassiker geraten nie aus der Mode. „Fertig! Papaaa! FÄÄÄÄÄÄÄÄRTIG!“.
Bruno und ich hören: The National „Boxer“ (Beggars Banquet Records)