Freunde der Beatmusik und des Rasensports. Bis heute bin ich weit gekommen. Dafür haue ich mit zur Abwechslung selbst auf die Schulter. Und auch vom Umfeld, meiner Peer-Group - wenn Erwachsene überhaupt noch eine Peer-Group haben - ernte ich mächtig Lob. „Mensch, toll hast Du das hinbekommen!“, „Klasse Leistung!“, „Donnerkeil, alles richtig gemacht!“ Ja, ja, das mag so wirken. Aber es war kein leichter Weg. So far. Bis hierher. Kein Walk in the Park, wie es an mancher Theke gerne gerufen wird. Gefährliche Momente lungerten am Weg, krude Abzweigungen. Ich nahm Entbehrungen auf mich, körperlich wie psychisch. Musste einiges verkraften. Manches davon hängt mir treu in den Kleidern. Und wird mich bis zum finalen „Good-Bye“ begleiten. Remember Berlin 2018. Doch Stand-Jetzt, kann ich im familiären Boxenstopp festhalten: Hanni und Bruno sind überzeugte Anhänger von Eintracht Frankfurt. Und Hanni hat neue musikalische Idole. Wo ist das Schlagzeug? Wer holt die Gitarre?
Bis hierhin habe ich meine Tochter geführt. Größtenteils mit sicherer Hand. Wir sangen Thees Uhlmann, besuchten sein Konzert, ich brachte ihr Patches von Pascow und Descendents-Konzerten mit, wir hörten lautstark „& Jay-Z singt uns ein Lied“. Sie lernte Alanis Morisette kennen – so von wegen starke Frauen - und fand es ziemlich gut und ihre erste Playlist von Spotify ist in weiten Teilen ein wirklich cooler Mix. Manches gefiel ihr nur wegen mir, das weiß ich. Und in etlichen Momenten hielt ich die Luft an. Als ihre Lehrerin – ja, ihre Lehrerin – Pietro Lombardi anschleppte und plötzlich Songs wie „Komm mit mir an die Copacabana. Ich tanze für dich wie 'ne Diva. Die Nächte vergisst du nie wieder. Ich entführe dich heute Nacht“ via YouTube durch die Bude dudelten. Heiland und Grüß Gott! Ich tanze für Dich wie ne Diva… Ich muss gerade nochmal kurz brechen.
Da wurde mir schwindelig und ich wusste, dass ich es mit einem großen Gegner aufnehmen muss. Den Freundinnen und der Instanz Lehrkörper. Ich hielt durch. Mir war klar, dass ich nicht übersteuern durfte, blieb beständig am Regler. Wohlwissend, dass sie ihren Geschmack – kommt es hart auf hart – auch im Kontrapunkt zu meinem definieren kann. Nur aus Prinzip. Denn wie sagte mein Vater immer: Der größte Kommunist kommt aus dem Kapitalismus und der größte Kapitalist aus dem Kommunismus. Der größte Popper stammt vielleicht aus einem Punkrock-Haushalt. Ach ja. Mein Vater hat ein paar sehr gute Sprüche.
Seit kurzem trage ich keine Furcht mehr in mir. Denn meine Tochter hat die Linda Lindas. Und seit diese vier in ihr Leben kamen, sitzen die Koordinaten wie festgedübelt. Ich könnte ein wenig heulen vor Glück. Fast so wie beim 3-0 von Kostic in Barcelona. Ich teaserte die Linda Lindas irgendwann in einem der Lockdowns kurz bei ihr an und da war bereits zu spüren. Hier kann Mächtiges wachsen. Damals gab es nur den Song „Racist, Sexist Boy“, gespielt in der Public Library von L.A.! Am Schlagzeug sitzt Mila de la Garza. Asian American und gerade mal neun Jahre alt. Da staunte Hanni nicht schlecht. Mittlerweile ist Mila elf und Brett Gurewitz hat sie und den Rest der Band bei Epitaph unter Vertrag genommen. Verdammt Epitaph. Mehr geht ja kaum.
Bereits mit Sieben hat Mila ihre Band gestartet. Neben Mila, der Schlagzeugerin, sind das ihre vier Jahre ältere Schwester Lucia an der Gitarre, Bassistin ist die Cousine der beiden, Eloise, 13 Jahre. Auch sie singt. Aber am Ende singen sie alle. Weil es sich ein wenig so gehört. Weil auch das ein bisschen Punkrock und Freundschaft ist. Obendrauf kommt noch Bela, Latina und mit 16 Jahre die Älteste. Jetzt dreht sich ihr Debüt hier in Praunheim heiß. Zurecht. The Linda Lindas machen einen bunten Streifzug durch den modernen Punk, mit viel Pop, ohne zu verkrampfen, Der Opener „Oh“ dreht sich knackig in die Muscheln und ist so catchy als haben ihn Sleater-Kinney persönlich in die Riot Grrrl-Rotation geworfen. Und ehe wir uns versehen, tanzen alle bei „Growing Up“ durch das Wohnzimmer. Ein luftig-lässiger Punkrock-Smasher mit so viel positiver Laune, viel besser geht das kaum. Coming-Of-Age, erste echte Freundschaft und die Welt im Kleinen entdecken. Nicht im Retro erzählt, sondern verflucht echt. Wie Stand by me und Tschick in einen Song gegossen. „Growing up isn`t something we can make happen when we want it to. But since we’re all growing up together, I guess I will grow up with you”. Ihr Bikini Kill-Cover „Rebel Girl“ ist fast besser als das Original. Für Hanni ist das alles eh keine Frage: Die Linda Lindas Version ist für sie das Maß der Dinge.
Und über allem steht das bereits erwähnte „Racist, Sexist Boy“. Das wahrscheinlich stärkste Statement, nicht musikalisch, aber inhaltlich. Von der Wut getrieben. Eine ordentliche Backpfeife in die Visage des Alltagsrassismus. Ein Position gegen frühe Diskriminierung, die Mila an ihrer Schule erfahren musste. Hanni wurde kurz zuvor von einem Mitschüler übergriffig angegangen. So von hinten und mit dummen Sprüchen. Sie hat ihr Statement gesetzt. Jetzt hat sie den Soundtrack dazu in der Tasche. Da können wir als Eltern viele Kompetenzen stärken, die Linda Lindas geben hier ganz besondere Rückendeckung. Ok. Vergessen wir nicht: Milas und Lucias Vater ist der Grammy gekrönte Musikproduzent Carlos de la Garza. Der hat bereits mit Bad Religion und Jimmy Eat World gearbeitet. Das macht vielleicht Manches leichter. Aber bitteschön. Nur weil Francis Ford ihr Vater ist, dreht deshalb Sofia Coppola nicht automatisch gute Filme oder schreibt großartige Drehbücher. Das Ding musst du mit elf oder vierzehn erst einmal so durchziehen.
Wir haben Hanni zu Ostern ein Barett aus dem offiziellen Linda Lindas Merch gekauft. Die Linda Lindas haben nämlich auch sehr lässiges Fanmaterial. Eine Riesenfreude und großes Dankeschön! Auch wenn das nur noch selten lange anhält. Meine Tochter und ich haben derzeit einige Scharmützel miteinander. Wir, also meine Frau und ich, sind ihrer Meinung nach viel zu streng, unfair, erlauben das erste eigenen Handy noch nicht und lassen sie auch nicht so lange schlafen, wie sie gerne würde. Wir sind der Gegenpol, an dem sie sich permanent reibt, die Ausgeburt an Unverständnis ihren Bedürfnissen gegenüber. Aber eben drum, das ist unser Job. Ich bin froh, dass es jetzt die Linda Lindas gibt. „Rebel Girl, you are the Queen of my world”.
Die ganze Familie hört: The Linda Lindas „Growing Up” (Epitaph)