Worüber will man bei Tina Jacobsen am ehesten zu Schreiben und zu Erzählen beginnen? Über ihr Arbeitsmodell, das ein so treffendes Best-Practice für New Work und eine moderne Arbeitswelt ist? Von ihrem wunderschönen Buch, das sie mit so viel Liebe zusammengestellt hat? Oder doch über ihre Reise durch Südeuropa und Nordafrika im Camper? Mit ihrem Mann und ihren beiden Kindern. Ein ganzes Jahr lang. Alles hängt mit allem zusammen im Leben der Tina Jacobsen. Geboren in Aschaffenburg, zuhause mit einem Herzen in Hamburg-Altona mit dem anderen in Portugal. Zwischen Sagres und Lagos an der Algarve. Fangen wir von vorne an.
Der Plan sich selbstständig und unabhängig von Ort und Zeit zu machen, hatte Tina bereits vor dem großen Abenteuer, das Codewort war digitale Assistenz. Doch da war noch mehr. Nämlich die Fragen „Was wollen wir als Familie? Wo wollen wir leben? Was ist uns eigentlich wichtig und vor allem: Wo und wie können wir das am besten verwirklichen?“. In Hamburg war im Grunde alles in Butter. „Unser Alltag war nicht kacke, wir hatten viele Freunde, die Kinder haben sich wohl gefühlt, wir hatten eine gute Wohnung in Altona. Aber wir steckten so tief in den Routinen drin und hatten viel zu wenig Zeit für uns.“ Portugal war immer das Wunschziel, aber drei Wochen Sommerurlaub waren zu kurz für einen Trip mit dem Bulli und da waren eben der Trott und auch die mühsamen Seiten des Großstadtlebens. Wo der Stadtteil-Spielplatz oft genug der einzige Place-To-Be für Familien ist. Entsprechend arbeitete das Bedürfnis etwas verändern zu wollen in ihnen immer weiter. Am Ende gab es keinen entscheidenden Auslöser, aber den richtigen Moment, es zu wagen. „Der Augenblick aufbrechen zu wollen, um zu schauen was passiert!“ Und doch kam auch das Schicksal ins Spiel. „Als Arnes Vater überraschend gestorben ist, war endgültig der Punkt getriggert und uns wurde einmal mehr das banale Thema ‚Zeit’ und die Bedeutung für uns deutlich.“ Arnes Vater hatte sich für die Rente einen Camper gekauft und wollte reisen. Das Leben ist eben manchmal ein fieser Hund. Jetzt kam eins zum anderen: Der Camper und die Frage nach dem Leben und der Zeit. „Dann haben wir den Cut gemacht, alles verkauft, Arne hat Elternzeit für ein Jahr genommen und wir haben das gemacht, was Arnes Vater eigentlich machen wollte.“ Nur eben eine kleine Nummer größer. Der Plan war dabei nie das komplette „Good-Bye-Deutschland“-Programm zu fahren, das Projekt war von Beginn an auf dieses eine Jahr ausgerichtet.
Neue Währung Zeit
Ein Jahr ohne den Arbeitstrott. Das gab das Budget her. Ein Jahr mit genug Raum und Freiheit für sich, die Familie und die wichtigen Fragen. Was wollen wir überhaupt vom Leben? Freie Zeit als neue Währung! Ein Thema mit dem Tina mit ihrer Familie nicht alleine steht, die wenigsten ziehen es jedoch mit so klarer Kante durch. Und genießen es. „Am Anfang haben wir richtig Hang-Loose gemacht, vor allem Arne war tiefenentspannt und lag den ganzen Tag in der Hängematte“. Dazu kommt das rundweg Coole am Campen. „Campen ist für mich eine mega-komfortable Art zu reisen. Alles was wir gebraucht haben, hatten wir dabei“. Zu viert auf
13 Quadratmeter. Einen Moment, in dem die Stimmung hätte kippen können? „Nein, so etwas gab es nie. Die ersten drei Wochen haben sich angefühlt wie Urlaub. Wir mussten uns eingrooven, die Abläufe mussten sich finden. Aber es gab keinen Moment, an dem wir sagten ‚Shit! Wir müssen nach Hause fahren’. Wir haben einfach das Glück, dass die Kinder das Auto lieben und als ihr Zuhause sehen“. Emil und Anton waren fünf und zwei Jahre alt im April 2019 als der Familientrip begann. Ein gutes Alter, Freunde kommen und gehen und Abschiede haben noch nicht die Schwere. „Die beiden hatten sich, das war gut. Und neue Leute und Abschied – das hat uns ja die ganze Zeit über begleitet.“
Das Buch
Aber nur Hang-Loose war nicht. „Nach sechs Monaten kam bei mir die Lust produktiv zu sein. Bevor wir aufbrachen, habe ich nach einem Reisebuch gesucht, das mich inspiriert und uns als Familie anspricht und war irritiert, dass es so etwas nicht gibt. Die ganze Vorbereitung, was macht Sinn mitzunehmen? Wo sind die besten Plätze für Familien?“ So entstand „Our Life is better outside – Über das Glück als Familie im Camper zu reisen.“ Der eigentliche Antrieb war vor allem der Wunsch die Erinnerungen festzuhalten, schließlich wusste Tina zu Beginn nicht ob das überhaupt klappt mit dem Schreiben und den Geschichten erzählen. „Ich kannte den Verlagskram, aber ob ein Buch-Schreiben funktioniert, das wusste ich nicht.“ Es hat funktioniert. 328 Seiten, randvoll mit Reise-Flow und persönlichen Momenten. „Das war ein wahnsinniger Moment, als das Paket mit den Büchern angekommen ist. Das macht mich immer noch stolz“. Das Buch ist kein Mr-Knowitall-Ratgeber und kein Copy-Paste Modell für alle Familien. „Es ist eine Art Best Practice. Ich kann jetzt die Fragen beantworten, die ich mir am Anfang gestellt habe. Es ist aber keine Anleitung für die perfekte Reise. Es war unser Ansatz. Meine Packliste ist nicht die ultimative Packliste. Aber vielleicht gibt sie Orientierung.“ Orientierung und vor allem Inspiration. Das ist das Ziel von Tina. So angesagt Campen auch ist, der Markt für diese Art Reiseliteratur irgendwo zwischen den konservativen „Mit dem Wohnmobil durch …“-Reihe und überbordendem Instagram-Accounts ist da. Tina hat den Nerv getroffen.

Our Life is better outside
Die Reise und jetzt?
28.000 Kilometer. Durch Frankreich, Spanien, Italien, Portugal und Marokko. Bis in die West-Sahara. Mit ihren drei persönlichen Höhepunkten: Die Algarve in Portugal, die Küste Nordspaniens ab San Sebastian und in Frankreich der „Lac de Saint Croix“. Blickt man auf die vergangenen anderthalb Jahre mit Corona zurück, wird nochmals klar, wie glücklich der gewählte Zeitpunkt war. „Wir hatten unfassbares Glück und sind wegen Corona nur drei Wochen früher zurück.“ Dabei war der Plan im Anschluss – zumindest grob – wieder nach Hamburg zurückzukommen. Doch relativ schnell nach der Rückkehr wurde klar, dass das was wirklich wichtig wurde, in Hamburg rasend schnell vom Alltag gefressen wird. Fünf Monate hielten sie es aus, dann kam die Entscheidung Portugal als alternativen Lebensmittelpunkt zu wählen. Neben Hamburg. Jetzt also Südportugal. Wo alles wieder besser miteinander in Einklang zu bringen ist. Das digitale Arbeitskonzept, Arnes Leidenschaft fürs Surfen und auch für die Kinder funktioniert die Heimat. Sogar mit Schule. „Wir haben auch hier unseren Alltag. Hier scheint nicht jeden Tag die Sonne, aber die Bedürfnisse der Familie sind hier einfach leichter zu vereinbaren. Alle kommen auf ihre Kosten“. Der Plan ist immer noch zu pendeln. Hamburg-Algarve und zurück. Nur macht Corona das Reisen momentan fast unmöglich und alles, was ihnen wichtig wurde, wollen sie nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. In den Portugal-Monaten übernimmt ihr Vater den Versand. In Obernau verpackt und mit dem Fahrrad zur Post gebracht. Jedes Buch. Fehlt noch was zum perfekten Glück an der Algarve? „BUDNI fehlt mir!“ BUDNI ist eine Drogeriemarkt-Kette. Eine Hamburger-Instanz. Na, wenn das alles ist. „Wir haben Lust noch mal aufzubrechen, der Camper steht vor der Tür. Wir haben aber auch das Gefühl, dass wir angekommen sind“.
Tina Jacobsen: „Our Life is better outside – Über das Glück als Familie im Camper zu reisen“ | NOTIZ-Verlag, 328 Seiten, 29,90 Euro