Ich mag das. Wenn junge Menschen sagen „Liebe Frau Mama, lass mich mal raus aus dem Kinderzimmer, ich hab’ da eine Idee und mach’ mich selbstständig.“ Gefällt mir ausgesprochen gut. Digital-Start-ups, Einzelhandel. Her damit. Kann dem Land nicht schaden. Schließlich brauchen wir in diesen planlosen Tagen Ideen und völlig leergeräumte Fußgängerzonen haben auch nur überschaubaren Charme. Aber Hand aufs Herz: Sind das mittlerweile nicht ein paar Barbershops zu viel? Und fällt uns sonst nix mehr ein? So mal rein markttechnisch gesehen? Ich bin kein Betriebswirt und keine Unternehmensberatung. Ich kann es wirklich nicht einschätzen. Ist nur so ein Eindruck. Schlawenzel’ ich nämlich unbekümmert durch so manche Innenstadt, entdecke ich plötzlich an jeder Ecke einen Laden für die gepflegte Männerrasur und den sauberen Herrenschnitt. Denke ich zurück, haben meiner Erinnerung nach nur zwei andere Ladengeschäftsideen zuvor so gnadenlos expandiert: Erst Nagelstudios, dann Burgerläden mit selbstgemachter Limonade. Ok. Vielleicht noch zweitklassige Tätowierer. Jetzt schießen Barbershops an allen Ecken aus dem Boden, wie nutzlose Pilze im Rasen. Das kann sich doch nicht für jeden einzelnen rechnen? Frag ich mich. Was machen wir in fünf Jahren mit all den arbeitslosen Barbieren? Können wir die einfach so umschulen zu, sagen wir mal, Experten für Kartoffeldruck. Falls das einmal hip und fresh wird. Und was machen wir mit all den ausrangierten schweren Ledersesseln, den Kreidetafeln, von denen ich bisher dachte, die seien original und echte Antiquitäten. Mittlerweile vermute ich, es gibt Barber-Starterpakete. Da ist alles drin. Sessel, Tafel, Emaille-Schüsseln und ganz oben drauf die Barberrolle für den Eingang. Denn die dreht sich jetzt blau-weiß-rot an jeder vierten Hauswand! Wohin mit dem ganzen Kram? Und zur Klärung und bevor wieder alle Besserwisser über ihrem Chai Latte mit einem Schuss Soja Low-Fat-Milch die Nase rümpfen und sagen, was will er denn jetzt schon wieder, der trägt doch selbst Bart und macht einen auf Chuck Ragan. Mal mit Edding dick an der Wand und für alle: Ruhig Blut und Nerven massieren. Ich mag den Ansatz dieser Läden. Ein Setting nur für den Mann und seine Bedürfnisse. Ja, ich trage Bart und das schon ganz schön lange und sogar bevor selbst der letzte Commerzbank-Angestellte einen auf Folk-Sänger machte. Jahrelang suchte ich sogar nach dieser Art Laden. Und nach Bartöl und dem ganzen Kram. Jetzt habe ich mehr Bartprodukte zur Auswahl als meine Frau Cremes im Regal. Alles so weit ok. Nochmal. Meine Sorge ist, dass das doch nicht rentabel sein kann, wenn an jedem Straßenzug ein Barbier mit einem Look wie Toni Hamady aus „4 Blocks“ mit Kittelschürze meinen Bart trimmen will. Für sechs Euro aufwärts. Wir hatten vorher doch bereits ein sehr dichtes Netz an Friseuren und dazu kommen noch die traditionellen Barbiere, die seit jeher mit heißer Schere unter anderem Haftbefehl und seine Freunde in Offenbach frisieren. Wie gesagt, ich bin kein Unternehmensberater. Ist nur mein subjektiver Eindruck. Ich drücke alle Daumen und stutze meinen Bart heute mal nicht selbst. An mir soll es nicht scheitern.

Geht aufs Haus 12|2019
Die FRIZZ-Kolumne: Ralph Rußmann ölt den Bart.