Das mit der Nachhaltigkeit ist so eine Sache! Erst vor einigen Tagen geriet ich dazu in eine wilde Debatte. Es war eine dieser „Sollte-Würde-Könnte-Müsste“-Debatten. Ich verliere da schnell den Überblick und will auch nicht viel schlauer tun als ich bin. Es ging los mit „Cradle-to-Cradle“ und endete bei zu begrünenden Dächern. Es war also gleich die ganz große Hafenrundfahrt. Mir ist Nachhaltigkeit sehr wichtig. Ich finde nichts schlimmer als Billigfleisch, Ramsch-Kleidung von KiK und Flugreisen, die für’n Arsch sind.
Mir ist allerdings auch bewusst, dass dieses Thema ein recht schwerer Brocken ist und meiner Meinung nach kleine Konsumschritte bei jedem einzelnen und ein Haltungswandel der bessere Weg sind. Dann ändert sich das große Ganze. Irgendwann. Äh vielleicht. Die Debatte war voller kluger Tipps. Komplettes Umstellen auf eben „Cradle-to-Cradle“, Crowdfunding für Mandarinen aus Portugal ohne Zwischenhändler und Eier kaufen beim Bauern, dessen Hinkel ich noch persönlich kenne. Für alle, die es nicht wissen, „Cradle-to-Cradle“ bedeutet restlose Wiederverwertbarkeit. Vom Ursprung wieder zurück zur Wiege. Entweder back to the Bio-Kreislauf oder in die komplette technische Verwendung. Aus dem Bett wird ein Klapprollstuhl. Oder so ähnlich. Und damit auch genug der Klugscheißerei. Guter und verdammt schlauer Ansatz, da bin ich ein großer Fan von. Da wäre es doch gut, alles würde so produziert werden. Und sollte das nicht grundsätzlich so verordnet werden und müsste das dann nicht jeder kaufen? Ich finde das alles richtig und schwer löblich.
Allein die Umsetzung und Größe des Vorhabens schrecken mich ab. Und schon sind wir wieder in der „Sollte-Würde-Könnte-Müsste“-Debatte. Denn so ist das eben mit allem sollte, würde, könnte, müsste. Es sollte oder könnte mal gerne jemand anderes sich das ganz große Thema schnappen und ordentlich befüllen. Ich dagegen habe eine relativ simple Logik, die vielleicht auch meinem schlichten Gemüt geschuldet ist. Nachhaltigkeit fängt für mich nämlich da an, wo es jedem Einzelnen wirklich weh tut. Machen wir uns nichts vor. Ich starte einmal in meinem Fall: Ich fahre jeden Tag ziemlich nachhaltig mit dem Rad zur Arbeit. Ich mache das aber schlicht und ergreifend nur, weil ich keinen Bock auf randvollen Nahverkehr habe und ich in der Innenstadt eh keinen Parkplatz finde. Dass ich damit die Umwelt schone ist ein guter Nebeneffekt, aber nicht mein Hauptantrieb. Es schmerzt mich nicht. Ganz im Gegenteil. Jeder denkt aber: Donnerwetter, der Rußmann ist ein feiner Kerl, wenn er bei Wind und Wetter auf den Hof brettert.
Weiter geht’s: Die ganzen Bio-Vögel aus dem Establishment kaufen nur im Reformhaus, tragen kompostierbare Schuhe und Hüte aus Bast. Das ist ihr Style, ihr Recht und gefällt ihnen vor allem auch selbst sehr gut. Im Gegenzug entdecken sie dreimal im Jahr die Welt, fliegen nach La Gomera zum Trommelkurs und wohnen zu Dritt im 180m2-Altbau. Ich weiß, ich übertreibe. Aber es dient der Verdeutlichung. Denn jetzt kommt wieder mein Nachhaltigkeitsansatz. Diese Truppe würde es schmerzen, auf eine Flugreise zu verzichten. Oder das Kind auf die allgemeine, statt auf die Privatschule zu schicken. Das ist nämlich auch Nachhaltigkeit. Es hilft nämlich nichts von der – an der Schwelle zum Mindestlohn und der Drei-Zimmer-50er-Jahre-Zweckbau-Butze lebenden – Familie zu erwarten, ab sofort den Discounter zu lassen und stattdessen auf Hess-Natur und „Cradle-to-Cradle“-Produkte zu setzen. Denn das ist schlichtweg finanziell nicht machbar. Außerdem ist deren ökologischer Fußabdruck eh viel geringer, als der vom Durchschnitt im Land.
Das ist mein Ansatz. Ich für meinen Teil lege 2021 rindfleischfreie Wochen ein. Soll keiner sagen, ich mach’ nicht mit.