Ab und an frag’ ich mich rückblickend, worüber ich mich manchmal so aufrege. Am Ende geht es immer schlimmer. Und doller. Da schüttle ich im vergangenen Monat mächtig über den DFB den Kopf und male mir aus, welche Probleme sich Koch & Co. an der Otto-Fleck-Schneise selbst noch so schaffen und wie lange sich der nächste Präsident im Amt hält, dann ist Fußball-EM und die UEFA setzt an Ignoranz völlig neue Maßstäbe. Ignoranz XXL sozusagen. Deshalb entschuldige ich mich erstmal, lieber DFB. Ganz ehrlich. Denn in Anbetracht, was ich nach Redaktionsschluss Mitte Juni beim Turnier erleben durfte, macht ihr tatsächlich noch einen richtig guten Job und habt halbwegs die Sinne beieinander. Nach allen „Wir-pinseln-unser-T-Shirt-Human-Rights“-Werbeaktionen, trug Neuer mal eben die Kapitänsbinde in Regenbogen-Farben und München wollte gleich die ganz bunte Stadion-Beleuchtung auf die Rampe heben. Na, da schau her. Das alles macht die Welt zwar noch keinen Furz gerechter, aber man könnte zumindest glauben, wir meinen es ernst. So viel politisches Statement fand die UEFA aber recht schnell ziemlich doof und bekam noch schneller kalte Füße. Der Deutsche Fußball Bund dafür im Gegenzug für so viel Revoluzzertum beinahe ein Verfahren an den Hals. Da schlug es mächtig 13 und ganz Deutschland hob vor Empörung geschlossen die LGBTQ-Flagge und die Nationalmannschaft ging sofort aufs Kaepernick-Gedächtnis-Knie. Auch wenn 80 Prozent hierzulande gar nicht wissen, wofür das T geschweige denn das Q überhaupt stehen. Und keinen Plan haben, wie sie mit einem Menschen umgehen sollen, der sich weder als Frau noch als Mann definiert. Aber auch wieder wurscht. Soll einer sagen, wir seien nicht tolerant. Oder? Herrje ja, Punk ist bei Licht auch nur das, was man macht. Danke Pascow für meinen Leitsatz fürs Leben! Doch nix für ungut. Und freilich ist manches noch besser als den schwarzen Block aus Ungarn gewähren lassen. Das ist komischerweise kein politisches Statement. Nur so als Beispiel. Naja, zügig drüberwischen, im Gegenzug tat mein neuer Freund Ceferin lieber chronisch so, als hätte es Corona nie gegeben und die Delta-Variante sei nur ein dämlicher Witz. Hhmm. Wohl dem, der die Mehrzahl Hirnkreisläufe noch richtig gesteckt hat. Und anstatt London zu ermuntern, die Zuschauerzahlen zu reduzieren und im Gegenzug die Sicherheits- und Hygienestandards zu erhöhen, baute ein umsatzgetriebener Fußballapparat lieber mal mächtig Druck auf und erwartete, dass die Hütten ausgiebig gefüllt werden. Und London? Macht aus Angst kein Happy-Place-To-Be sein zu können ruckizucki besser mit, lässt sich treiben wie ein nasser Dackel im Wind und der verrückte Boris öffnet alle Schranken. Freunde, da kann ich gar nicht so viel die Augen reiben, wie ich immer noch ungläubig staune. Jetzt mit Abstand, allesamt mal kurz sammeln und nachdenken: Wer zur Hölle denkt die UEFA überhaupt, dass sie ist. Die WHO? Oder die Avengers? Homelander? Oder am Ende der liebe Gott? Aber ok, die Fußballparty brummte munter, da blieb es mal ganz schnell nur bei der kurzen Empörung. Und wir wunderten uns nur einen Augenblick, warum die Veranstalter nach dem Herzstillstand des Dänen Eriksen den Spielern die Entscheidung offenhielt, ob sie das Spiel fortsetzen wollen oder nicht. Lieber ergötzten wir uns alle am Genesungsdrama. Das ist nur so, als frage man die Beteiligten eines mächtig schweren Verkehrsunfalls, ob sie nach dem heftigen Zusammenstoß noch selbst nach Hause fahren können. Logo geht das. Stehen alle nur unter Schock. Also UEFA, so als Chef der Sause ein bisschen Verantwortung übernehmen, wenn schon die Kasse klingelt und gegen die Business-und-Show-must-go-on-Stimmung entscheiden, wäre durchaus eine Option gewesen. Und ein echtes Statement. Dabei war die Idee, so ein Turnier mal transkontinental in ganz Europa stattfinden zu lassen, sogar eine richtige gute. Aber bitte, was reg’ ich mich auf. Nächstes Jahr ist Winter-WM in Katar. Ich sag’s doch, es geht immer schlimmer und doller.

Geht aufs Haus 8|2021
Ralph Rußmann ärgert sich grad weiter.