So, jetzt muss ich doch mal nachfragen. Ganz im Vertrauen. Wie immer. Haben alle die Eiswalze und den darauffolgenden Schneesturm im Jenner heil überstanden? Ohne Verletzungen und größere Verluste? Nicht eingefroren, eingeschneit, weder von der Lawine erwischt noch vom Blizzard überwältigt oder geradewegs am Hauseingang vorbeigerutscht und auf dem Arsch im Nirgendwo gelandet? Ohne Chance auf schnelle Rückkehr aufs heimische Chaiselongue. Alle gesund wieder am Esstisch versammelt? Ja? Gut! Das freut mich. Wirklich. Von Herzen. Ich will nämlich die Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen. Vorsicht ist schließlich die Mutter der Porzellankiste und des Schneeschiebers.
Wenn mich eine „amtliche Warnung“ vor „leichtem Schneefall und leichtem Frost zwischen 0 und -3 Grad Celsius“ erreicht
Aber diesmal, Ende Januar 2024, habe ich im Rückblick leider doch das Gefühl, die Richtwerte sind etwas verrutscht. Wenn mich eine „amtliche Warnung“ vor „leichtem Schneefall und leichtem Frost zwischen 0 und -3 Grad Celsius“ erreicht, dann schaue ich erst irritiert aus der Skiwäsche und fühle mich im zweiten Schritt etwas veräppelt. Und es umschleicht mich das dumpfe Gefühl, dass irgendetwas schiefgelaufen ist. Zwischen Corona, dem Ahrtal und dem ersten Kälteeinbruch in Deutschland im Jahr 2024. Und wir – bei aller berechtigten Sorge um die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger – etwas inflationär mit amtlichen Warnungen umgehen. Leider so unkontrolliert, dass wir uns nicht wundern brauchen, wenn bald niemand mehr etwas ernst nimmt. Oder im Gegenentwurf aus Angst vor Platzregen oder Sonnenfinsternis das Haus nicht mehr verlässt. Ich bin jetzt knapp über 50 Jahre und ich habe schon einige Winter hier und sogar in Übersee erlebt. Ich bin bei einem Meter Neuschnee mit einer Sackkarre von einer Straßenseite zur anderen umgezogen, habe mein Auto mitten auf dem Feldberg im Schwarzwald aus einem Schneeberg ausgegraben und steuerte vor etlichen Jahren meinen abgehalfterten Škoda bei einem Jahrhundert-Blitzeis über die A3 von Frankfurt bis in die Innenstadt von Aschaffenburg auf eine Party und wieder zurück.
Ich will mit diesen Erlebnissen nicht prahlen und schon gar nicht die Jugend animieren, es mir nachzutun.
In Chicago fuhr ich mit meiner damaligen Freundin bei mindestens -20 Grad durch das Umland und hatte vor allem Sorge, meine lange Unterhose könnte an meinen Beinen festfrieren. Ich will mit diesen Erlebnissen nicht prahlen und schon gar nicht die Jugend animieren, es mir nachzutun. In manche Situation bin ich reingeraten, bei anderen dachte ich mir naiv, es geht schon gut. Treu nach dem Motto „Schauen wir einfach, wie weit die Füße tragen und Reifen fahren“. Mit Glück und Verstand schlitterte ich durch diese Szenarien. Mit ausreichend Dussel, aber eben auch – genau richtig gemerkt – mit Verstand. Wenn ich jetzt vor -3 Grad und leichtem Schneefall gewarnt werde, dann appelliert das an vieles, aber leider nicht richtig an meinen Verstand. Genau hier liegt dann auch der Hase im Pfefferhaus. Denn es fehlt mir gerade ein bisschen Maß und Mitte. Bei der Flutkatastrophe im Ahrtal haben alle im Vorfeld ausreichend gepennt, aber zuvor mit Gottvertrauen bauen und in die Natur eingreifen lassen, was das Zeug hält. Jetzt rufen wir bei Blitzeis und möglichem überdurchschnittlichem Schneefall einen Notstand aus, schließen vorsorglich die Schulen und animieren alle Menschen sich im Haus zu verschanzen. Ja, da frage ich mich, was wir unternehmen, wenn einmal wirklich ein Schneeorkan kommt. Und rätsele gleich hinterher, wie das wohl die Menschen in Finnland oder im Norden Kanadas an solchen Tagen lösen. Die gehen doch auch einer geregelten Arbeit nach. Vermute ich zumindest. Wer glaubt bei Ankündigung von Blitzeis eine Radtour unternehmen zu müssen, dem ist nicht mehr zu helfen. Wer allerdings nicht einmal selbst prüft, ob ein Weg zur Arbeit, zur Schule oder in den Supermarkt mit den Öffentlichen oder per Pedes noch möglich ist, der hat die Eigenverantwortung endgültig an der Pforte zur treuen Fremdbestimmung abgegeben und muss sich nicht wundern, wenn damit irgendwann alle Kraft für jede Form von Mündigkeit und Zutrauen verloren gegangen ist. Das macht auf lange Sicht auch etwas mit uns Menschen.