© Till Benzin
MPS
Volksfest, Kulturtage, Stadtfest: Wenn regionale Events dazu einladen, die Gläser klirren zu lassen, schlüpfen die Aschaffenburger fix in die ausgehfeinen Höschen. Doch nicht nur genannte Großveranstaltungen sorgen dafür, dass das heimische Polster gern gegen rustikale Bierbank getauscht wird: Wenn Mitte Mai Fakire, Feuerspucker oder Burgfräulein den Schlosshof einnehmen, tun es jenen viele gleich, um in historischem Ambiente das Familienfest zum Internationalen MPS-Tag zu feiern.
Mittelalterlicher Musik lauschen, Feuerspucker bestaunen oder am Glücksrad verausgaben: Seit 2009 ist das MPS-Ritterfest schon im Ausgehkalender notiert – dieses Jahr wird Zehnjähriges gefeiert. „Losgelegt haben wir im Schlosshof damals ganz klein“, erklärt Carmen Kunkel, Geschäftsführerin der Gesellschaft für Mukopolysaccharidosen e. V., 1986 als Selbsthilfegruppe in Bochum gegründet, und fügt hinzu: „Genutzt haben wir nur ein Viertel der Fläche. Mehr hatten wir uns nicht zugetraut!“ Doch das Ereignis stieß auf reges Interesse, „obwohl es im ersten Jahr fürchterlich geregnet hat“, schmunzelt sie. Dabei ist der Anlass der Veranstaltung ein ganz und gar nicht erfreulicher: Das Bewusstsein für einen seltenen, gnadenlosen Gendefekt zu schärfen steht im Fokus des Ritterfests. Mukopolysaccharidosen. Eine angeborene, nicht heilbare Stoffwechselerkrankung, die dafür verantwortlich ist, dass Zellen geschaädigt werden und – je nach Ausprägung (man unterscheidet sechs Hauptformen der MPS) – die körperlichen oder kognitiven Einschränkungen überwiegen.
Ungefähr 1.000 Personen seien deutschlandweit, davon 80 im Großraum Unterfranken betroffen, so Kunkel. Durch den täglichen Kontakt mit Leidtragenden lerne man, die Prioritäten im eigenen Leben anders zu setzen, erklärt die studierte Soziologin. Auch wenn die Lebenserwartung variiert, kann der 20. Geburtstag selten gefeiert werden. Die bescheidenen Ziele lauten: Symptome mildern, Lebensqualität erhöhen. Oder wie es der erkrankte Luis simpel formuliert: „Ich will erwachsen werden!“
„Da MPS nicht viele betrifft, wird dem Gendefekt oft wenig Aufmerksamkeit zuteil“, erklärt die 51-Jährige. Um daran etwas zu ändern, Spenden zu sammeln, Betroffene zu beraten und die Forschung vorzuantreiben, wurde der Internationale MPS-Tag am 15.5. ins Leben gerufen. An einem Samstag Mitte Mai wird zudem in Aschaffenburg, dem Sitz der Beratungs- und Geschäftsstelle, das Ritterfest gefeiert.
An dem geht es im Innenhof des Schlosses hoch her: Ritter Bernd präsentiert auf kindgerechte Weise mittelalterliche Waffen, Fakir Horst macht es sich auf dem Nagelbrett bequem und Triskilian entlocken ihren Instrumenten mittelalterliche Töne. Erstmalig bereichere ein mittelalterliches Varieté um 19.30 Uhr im Ridingersaal das Benefizprogramm, berichtet Tabea Friedel. Die 25-jährige Kommunikationswissenschaftlerin verstärkt seit September 2017 das Team in der Geschäftsstelle. Zu tun gibt es dort neben der Festorganisation so einiges: Projektgelder wollen beantragt, Vereinspräsentationen – zum Beispiel bei den Selbsthilfetagen in der City Galerie –, der Kinderkunstwettbewerb oder die Geschwisterwochen geplant werden. Verständlich, dass bei solch vielfältigen Aufgaben stets ehrenamtliche Helfer gefragt sind. Gemeinsam Großes bewirken. Gemeinsam stark sein. Stark wie Ritter.