
© Timo Raab
Wunsch am Horizont
Sich noch einmal im Panorama der Alpen verlieren, ein letztes Mal das Meer schmecken oder einem weißen Hai in die Augen blicken: Kein Traum gleicht dem anderen. Auch nicht, wenn es der letzte ist. Dieser eine verbliebene Wunsch liegt Barbara Amrhein-Krug am Herzen. Der eine letzte Wunsch unheilbar erkrankter Mitmenschen. Und so hat die 56-Jährige als Motor des Vereins Wunsch am Horizont ein Ziel: Schwerstkranke ihre letzten Träume erleben zu lassen.
Angehörige. Immer wieder die Angehörigen. Freunde, Familie, Partner. Die Bedürfnisse der Personen, die zurückbleiben. Die weiterleben. Die lernen müssen, den Verlust zu überwinden. Sie sind es, die in den meisten Fällen im Fokus stehen – auch bereits dann, wenn noch gar keine Trauerarbeit geleistet werden muss. Oftmals ist es der Schwerstkranke sogar selbst, der dem Sehnen der Liebsten den Vortritt lässt. Barbara Amrhein-Krug hat genau das endlose Male erlebt. „Oft wird der persönlich letzte Wunsch nicht ausgesprochen“, erklärt die Schöllkrippenerin. Egal, ob aufgrund fehlenden Mutes, finanzieller oder organisatorischer Gründe: Die 56-Jährige möchte jedem ermöglichen, erfüllt zu gehen. „Menschen, die unheilbar erkrankt sind, fragen sich, wo noch eine innere Sehnsucht brennt“ – davon ist Amrhein-Krug überzeugt.
Deshalb macht sie im Februar 2014 Nägel mit Köpfen und setzt ihre lang gehegte Idee in die Tat um: Sie gründet mit Gleichgesinnten den Verein Wunsch am Horizont e. V., um „Menschen vor ihrem Tod einen persönlichen Wunsch zu erfüllen oder Angehörigen und Freunden dabei zu helfen, diesen zu realisieren“. Ein großer Schritt, mit dem sich die hauptberufliche Heilpraktikerin für Psychotherapie nicht zuletzt ihren eigenen Lebenstraum verwirklichte. „Mein Ansporn ist es, Menschen zu unterstützen, damit sie glücklich und zufrieden leben und auch sterben können.“ Und so folgte auf die Vereinsgründung eine zeitintensive Phase des Wachsens – in die Rolle der Wunscherfüller. Bereits vier Monate später, im Juni 2014, wurde Barbara Amrhein-Krugs Herzensprojekt als gemeinnützig anerkannt, im Oktober 2015 trat man „mit einem soliden Fundament“ erstmalig an die Öffentlichkeit: Ein Netzwerk war aufgebaut, Unterstützung bei ähnlichen Vereinen eingeholt und Licht ins rechtliche Grau gebracht.
Eigenes Wunschmobil
Unlängst hatte die erste Patientin angeklopft: „Noch einmal in die Berge, noch einmal die Alpen sehen!“ – so lautete der Traum einer 44-Jährigen. Kein leichter Auftakt. Doch alle Vereinsrädchen griffen. Der Wunsch erfüllte sich im österreichischen Silberleiten. In die gänzlich andere Richtung zog es eine Dame, die im Alzenauer Hospiz letzte Wochen verlebte und noch einmal Meeresluft atmen wollte. Innerhalb einer Woche konnte ein rollstuhlgeeignetes Zimmer gebucht und alles vorbereitet werden. Nicht nur der Besuch von Robbenbänken machten die Tage auf Amrum unvergesslich. Sechs Tage später verstarb die Frau. „Dies zeigt uns einmal mehr, wie zeitnah Wünsche erfüllt werden sollten und was ein erfüllter letzter Herzenswunsch bewirkt – die Kraft finden, um friedlich über den Horizont zu gehen“, so die Initiatorin. Erstmals im Einsatz auf der Fahrt gen Norden war das vereinseigene Wunschmobil, ein in 109 Arbeitsstunden aufgemöbelter Mercedes Vito, der als Krankentransporter schon einige Jährchen auf dem Buckel hatte.
Doch der Verein „kann“ nicht nur national: So wurde der Vorsitzenden zugetragen, dass sich ein gebürtiger Kosovare im Frankfurter Nordwestkrankenhaus nichts sehnlicher wünschte, als noch einmal Frau und Kinder zu sehen. „Ein Rücktransport war aus medizinischer Sicht nicht mehr möglich. Es war wirklich fünf vor zwölf“, so die 56-Jährige. Die Botschaft wurde aktiviert – und um schnellste Ausstellung der Visa gebeten. Vier Tage später reisten die Angehörigen nach Frankfurt, weitere zwei Tage später verstarb der Familienvater.
Auch den Wunsch einer afghanischen Frau aus Aschaffenburg, die noch einmal ihre Tochter samt Familie in die Arme schließen wollte, konnten die ehrenamtlich Agierenden realisieren. Ebenso den Abschiedsbesuch vom eigenen Haus, von dem eine 92-Jährige träumte. Oder den Tag im Rosenpark samt Picknick und Museumsbesuch: Wertvolle Momente nicht nur für die Wünschende, sondern auch für die begleitenden Freundinnen. Eine andere Traumerfüllung führte ins Disneyland Paris: Eine 68-jährige Frau hoffte auf ein Date mit Pluto – noch einmal wollte sie dem weltberühmten Comic-Hund die Hand schütteln. Ein 29-Jähriger hatte da ein ganz anderes Begehren: Abtauchen – mit einem weißen Hai! In Südafrika konnte der unheilbar an einem Karzinom Erkrankte dem Meeresbewohner dann endlich in die Augen blicken.
Zehn Wunscherfüllungen in 2016
Zehn Wünsche am Horizont konnten die 36 Vereinsmitglieder in diesem Jahr Wirklichkeit werden lassen, zwei wurden immerhin vorbereitet. „Visa zu erhalten ist allerdings die Königsdisziplin“, erklärt die Vorsitzende mit einem Lächeln. Dabei müssen geäußerte Wünsche weder räumliche noch finanzielle Ausreißer sein: Ein letzter Besuch im Spessart, ein überfälliges Treffen mit Verwandten oder ein Theaterabend können ebenso Herzensangelegenheiten sein. Keine Rolle spielt es, ob sich der Patient zuhause, im Hospiz, in palliativ-ambulanter oder stationärer Umgebung befindet. Sehr wohl von Bedeutung ist jedoch grünes Licht seitens des betreuenden Arztes oder der Verantwortlichen im Hospiz sowie das Selbstbestimmungsrecht des Wünschenden. Die Schöllkrippenerin erläutert: „Wir werden ohne Wertung alles dafür tun, dass auf dem Weg zum Horizont Unerledigtes erfüllt wird – auch wenn wir uns sicher sind: Hinter dem Horizont geht’s weiter!“
Um für Menschen in der letzten Lebensphase aktiv werden zu können, ist der Verein nicht nur auf ehrenamtliche Mitarbeit, sondern auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen. „Wünsche werden zu 100 Prozent aus Spenden realisiert, sonstige Ausgaben decken wir durch den Verkauf von Bastelarbeiten auf Weihnachtsmärkten“, so Amrhein-Krug. So wird der bemerkenswerte Verein bei der Schöllkrippener Adventsstimmung am 11. sowie 12.12. Präsenz zeigen, ebenso beim vom Rotary Club Schöllkrippen-Kahlgrund initiierten Christbaumschlagen am 4.12. an der Rodberghütte. Erlöse verdanken die Engagierten individuellen Engelfiguren, Wunscharmbändern oder dem bis zum 12.12. andauernden Spendenmarathon, bei dem man in den drei Disziplinen „Laufen“, „Online“ und „Spezial“ teilnehmen kann (siehe Homepage).
Zu den vorrangigen Zielen gehört der Umbau des Wunschmobils, der sowohl einen liegenden Krankentransport als auch einen solchen im Rollstuhl zulässt. „Zusätzlich soll der Wagen so optimiert werden, dass neben einer Pflegekraft auch zwei Angehörige bei einer Wunscherfüllung dabei sein können“, fügt die Heilpraktikerin hinzu, die viele Jahre ehrenamtliche Trauerarbeit bei den Maltesern geleistet hat und lange Zeit als Hospiz- und Sterbebegleiterin tätig war. „Es sind immer wieder die Augen, die Freude und Dankbarkeit zeigen“, erklärt sie zum Schluss. Und man glaubt es ihr nur zu gerne.
Dieses Jahr versenden die FRIZZen keine Weihnachtswünsche & -geschenke an Partner, Kunden sowie Freunde, sondern investieren das hierfür vorgesehene Budget stattdessen in ein lokales Charity-Projekt. Die FRIZZsche Abstimmung wählte den Verein Wunsch am Horizont, dem dieses Sümmchen bestimmt helfen wird, seine wertvolle Arbeit fortzusetzen.