© Till Benzin
Godelsberg
Es soll sie ja tatsächlich geben: Unkenrufe, die Spezies Unterfranke habe so gar keinen Sinn für Genuss. Wie auch – aufgewachsen zwischen Maßkrug und Bembel kennt der Nordbayer eben nur prickelnden Gerstensaft oder süffigen Ebbelwoi. Ist es um die Unterfranken also schlecht bestellt? Nicht um alle. Einige haben schon den Weg ins rebenumrankte Paradies am Fuß des Godelsbergs gefunden und laben sich dort an sonnigen Tagen mit feinen Tropfen der Familie Orth.
Ein Fleckchen Erde, das idyllischer kaum gelegen sein könnte: Auf dem Weg von Aschaffenburg nach Haibach erhascht das Auge nur nach aufmerksamen Blicken einen sonnenverwöhnten Weinberg in Südlage, der sich an den Fuß des Godelsbergs schmiegt. Doch wer einmal da war, nimmt souverän die enge Schotterpiste, an deren Ende sich ein großes Tor zum noch größeren Rebenglück befindet: Urbani Häcker, das verwunschene Paradies für Weintrinker und diejenigen, die es nach einem Besuch garantiert geworden sind.
Eine entscheidende Veränderung erleichtert seit letztem Jahr allerdings die Anreise: Seit Juli 2017 weist ein von der Straße gut ersichtliches, komplett neu errichtetes Funktionsgebäude den Weg zum Weinberg Godelsberg. Nach elf Jahren erfolgreicher Häckerwirtschaft spürte Winzerin Katrin Orth, die den Weinberg gemeinsam mit ihren Eltern sowie Bruder Dieter bewirtschaftet, den Wunsch, „sich zu professionalisieren“: „Losgelegt haben wir 2005 und dann jährlich ein langes Wochenende den Weinberg geöffnet. Im Herbst 2016 kam dann der Punkt, an dem mein Wunsch, mich inhaltlich weiterzuentwickeln, auf infrastrukturelle Grenzen gestoßen ist“, erklärt sie. Das positive Feedback zahlreicher Gäste habe sie schlussendlich darin bestärkt, die Investition zu wagen: Eine scheinbar nicht enden wollende Panoramabar inmitten der Weinstöcke lädt nun seit knapp einem Jahr zum Verweilen ein, während ein zwanzig Meter langes Funktionsgebäude die Arbeitsabläufe enorm vereinfacht. „Alles darin befindet sich auf Rollen“, so Katrin Orth. Ein langer Gang verbindet Lager, Spüle, Küche und den Ausschank, das Herzstück.
Die Aschaffenburger Architekten Nanna Hirsch und Lex Rijkers zeichnen für das visionäre Holzgebäude verantwortlich, das nicht nur praktisch und modern, sondern auch temperaturneutral daherkommt und ebenso als Unterstand dienen kann, sollte der Wettergott kurzfristig zürnen. Eine Schiebetür ermöglicht die Öffnung des schmalen Baus zu beiden Seiten, da der Abzug kalter Fallwinde von großer Bedeutung für die empfindlichen Weinstöcke ist. Während Knirpse auf dem neuen Spielplatz nach Lust und Laune toben dürfen, erspart ein fest installiertes WC-Häuschen Gästen den abenteuerlichen Weg zum vormals mobilen Toilettenwagen.
Gütesiegel Q.b.A.
Während sich in Bezug auf Komfort für die Besucher einiges verbessert hat, hat sich anderes glücklicherweise nicht geändert: der Rebensaft. Der war nämlich schon immer von hoher Güte, was auch das Siegel Q.b.A. belegt: „Die Abkürzung bedeutet Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete – in unserem Fall Franken“, erläutert die diplomierte Künstlerin, die 2012 ihre Kenntnisse im Weinanbau vertieft hat, stolz. „Ein Beleg dafür, dass unsere Trauben sehr gut, gesund und ausgereift sind!“ Allgemein unterscheidet man in Deutschland zwischen Tafel-, Land- und Qualitätsweinen bestimmter Anbaugebiete – letztere können zusätzlich noch die Prädikate Kabinett, Spätlese, Auslese, Beeren- oder Trockenbeerenauslese sowie Eiswein erhalten.
„Richtig gute Stöffchen“
Auf dem einzigartigen Stück Kulturlandschaft – bis Anfang des 20. Jahrhunderts war übrigens der komplette Godelsberg mit Weinreben bepflanzt – mundet Bacchus, Müller-Thurgau, Silvaner sowie Riesling (alle in Schoppengröße, versteht sich!) genauso wie Rotling oder ein perliger Secco. Die zum Teil 50 Jahre alten Weinstöcke, die bei den Orths auf circa 3.300 Quadratmetern gedeien, bringen hochwertigen Bacchus sowie Müller-Thurgau hervor – jene Flaschen sind es auch, die das Godelsberg-Etikett tragen dürfen. Um jedoch „das komplette fränkische Portfolio abzubilden“, so die Winzerin, kaufe sie für ihre Urbani-Weine – Silvaner, Riesling sowie Rotling – Moste und überlasse ihrem Kellermeister Joachim Kempf aus Kleinheubach den fachmännischen Ausbau. Selbstverständlich muss der Konsument keine qualitativen Einbüßen hinnehmen, alle Erzeugnisse sind „richtig gute Stöffchen zu einem richtig guten Preis“, wie die Aschaffenburgerin es schlichtweg auf den Punkt bringt.
Der Orthsche Winzersecco beispielsweise weiß durch eine bemerkenswerte Fruchtigkeit zu bestechen: „Diese entsteht durch die Zugabe von 15 Prozent Gewürztraminer Auslese zum für den Secco als Basis verwendeten Müller-Thurgau“, erklärt die Winzerin, die im vergangenen Jahr zudem erstmalig Spätburgunder-Trauben ernten konnte. Drei Jahre zuvor, 2014, wurde im östlichen Bereich des Weinbergs Pinotin angepflanzt, eine erst im Jahr 1991 gezüchtete, lockerbeerige Rotweinsorte, die bereits an Klimawandel und ökologische Herausforderungen angepasst ist, eine hohe Resistenz aufweist und außerdem als enorm pflegeleicht gilt. Der Ertrag darf in einem alten Eichenfass bei Kellermeister Kempf ruhen, wie es auch der 2015er Großheubacher Bischofsberg, ebenfalls ein Spätburgunder, der in der Häckerwirtschaft ab Saisonstart am ersten Mai wieder ausgeschenkt wird, getan hat.
Bühne für regionale Produkte
Bis in den goldenen Oktober hinein können sich Freunde des Rebensaftes dann jeweils am Wochenende das ein oder andere Gläschen gönnen: In der Regel ist freitags und samstags ab 16 Uhr, sonn- und feiertags ab 14 Uhr geöffnet – selbstverständlich nur bei geeignetem Wetter. Mit einem Proviantpaket bewaffnet muss man den Weinberg keinesfalls erklimmen: Herzhafte Käseplatten oder Leckeres vom Grill (samstags) stillen den kleinen Hunger, sonntags erweitern Kaffee und Kuchen das Angebot. Da Katrin Orth ihre Häckerwirtschaft als „Bühne für regionale Produkte“ betrachtet, stammen Wurst und Käse aus Schöllkrippen, Brote werden auf den Elterhöfen oder in Dörrmorsbach gebacken und die aromatischen Tomaten durften bei Main Tomatenglück reifen. Sabina Wirthmann-Touchburn, die wie auch Barchef Robbi Fietzek zum unschlagbaren Godelsberg-Team gehört, backt zudem Grissinis aus Grieß, Weizenmehl, Dinkel, Olivenöl, getrockneten Tomaten, schwarzen Oliven und Salz. „Unser Team ist organisch gewachsen“, erklärt die Chefin. Das Familienunternehmen – Katrins Mutter zeichnet für Küche und Qualitätsmanagement, der Vater für den Ausschank verantwortlich – bereichern zudem Freunde, Onkel, Cousine sowie Aushilfen. Auf ihre Truppe kann Familie Orth auch Mitte September zählen: Ungefähr am zweiten Wochenende beginnt die Weinlese, 20–25 Leute sind dann an einem halben Tag mit Rückenkiepen ausgerüstet zwischen den Weinstöcken unterwegs, um die wertvolle Ernte schnellstmöglich auf den Weg in die Kleinheubacher Presse zu schicken. Spätestens dann zeigt sich auch, ob Sankt Urban als Schutzheiliger der Winzer ein gutes Werk vollbracht hat und einem goldenen Herbst im Weinberg – selbstverständlich mit Zwiebel- oder Zwetschgen-Kuchen – hoffentlich nichts im Wege steht.
Vier Aschaffenburger – Luigi & Dominique Monaco, Uday Shah sowie Robbi Fietzek – haben sich die Weine exklusiv für FRIZZ Das Magazin schmecken lassen. Hier das Ergebnis der Weinprobe am Godelsberg:
Riesling: charakterstark, mild & feinsäurig
Silvaner: fruchtig, süffig & unkompliziert
Bacchus: vollmundig, feinherb im Abgang
Müller-Thurgau: erdig, mineralisch
Rotling: fruchtig, mit Nuancen der Walderdbeere