„Der Frühling in Aschaffenburg ist schöner als in Mainz“, so Wilhelm Heinse (1746–1803) nach dem unfreiwilligen Umzug vom Rhein an den Main. Da pflichtet man doch gerne bei! Heinse war ab 1786 bis zu seinem Tod Vorleser und schließlich Bibliothekar des Mainzer Kurfürsten Friedrich Karl Joseph von Erthal.
Doch warum überhaupt der Umzug? Tja, die revolutionsfreudigen Franzosen, die 1792 Mainz eingenommen haben, waren nicht unbedingt die größten Fans von Obrigkeiten. Erthal hielt es deshalb für klüger, seinen Wohnsitz nach Aschaffenburg zu verlegen. Wilhelm wer? Wilhelm Heinse ist, wie der junge Johann Goethe, ein Vertreter der literarischen Strömung des Sturm und Drangs, die ab den 1760er-Jahren aufkam und bis in die 1780er-Jahre anhielt. Typisch für die Autoren (ja, nur Männer) dieser Epoche war der unbedingte Wille, Althergebrachtes in Frage zu stellen und sich ganz unbescheiden als Genie zu verstehen. Heinse und Co. waren gewissermaßen die Rebellen des Literaturbetriebs.
Heute erinnert in Aschaffenburg die Heinsestraße an den Autor. Um diesen spannenden Menschen und seine Texte wieder ins Bewusstsein zu rücken, hat das Stadt- und Stiftsarchiv Aschaffenburg gemeinsam mit dem Zwerchfell-Verlag die Graphic Novel „Wilhelm und die glückseligen Inseln“ herausgegeben, die Leben und Wirken Heinses nachzeichnet – im wahrsten Sinne des Wortes. FRIZZ Das Magazin hat mit dem Illustratoren Jan Hochbruck gesprochen.
FRIZZ Das Magazin: Wie haben Sie sich dem Menschen Wilhelm Heinse genähert?
Jan Hochbruck: Das haben die sagenhaft vielseitige und großartige Angela Pfenninger und ich gemeinsam getan. Angela hat den Text zu „Wilhelm“ verfasst und schon zu Beginn war uns klar, dass wir keine lineare Lebensgeschichte machen können, dafür verlief sein Leben zu sprunghaft und dafür ist sein Werk zu vielfältig. Es wurden dann eher kurze, abstrakte Episoden und wilde, unaufgeräumte Seiten – das passt gut zu diesem flackernd strahlenden Helden. Zu Heinses Aussehen gibt es widersprüchliche Beschreibungen, ich konnte ihn nicht fassen. Letztlich habe ich auch ihn eher als abstrakte Idealperson gezeichnet, mehr Figur als Abbild. Aber so konnte er loslaufen.
Hand aufs Herz: Was war die größte Herausforderung während der Beschäftigung mit Heinse?
Ehrlich gesagt: ihn sympathisch zu finden. Sein Werk ist brillant, überraschend, streckenweise modern, aber bei einigen Aussagen blieb mir die Spucke weg: vor allem sexistische Sprüche, die bei aller Berücksichtigung „seiner Zeit“ nicht schönzureden sind.
Ui, schwierig. Und was ist das Besondere an seiner Literatur?
Ein Beispiel: Wilhelms „Ardinghello“ ist eine Achterbahnfahrt aus kulturhistorisch wertvollen Bild- und Kunstbetrachtungen und wilden Sex- und Actionszenen, getoppt von einer kruden sozialen Utopie und einem frustrierten Schluss erster Güte … das hat schon eine besondere Qualität. Übrigens finde ich nicht nur seine literarischen Leistungen erwähnenswert. Eine Bibliothek über mehrere Fluchten nicht nur zusammenzuhalten, sondern zu erweitern und zu ordnen, ist absolut außergewöhnlich.
Wie ist es gelungen, die Gedankenwelt Heinses zu strukturieren und bildlich darzustellen?
Mir waren die oben schon erwähnten freien Seitengestaltungen wichtig, um mit Bildzitaten, Meta-Ebenen und Abstraktionen die „Gedankenebene“ zu schaffen: Es sollte klar sein, dass wir hier keine realistischen Darstellungen seines Lebens zeigen. Schwieriger war eher die Kohärenz zwischen den Geschichten und den Episoden seines Lebens: Da hat uns die Kunstfigur der Muse einen unschätzbaren Dienst geleistet. Die hat mir schon vor vielen, vielen Jahren beim Schubert geholfen.
Sehen Sie Parallelen zwischen dem, was Heinse vor über 200 Jahren beschäftigt hat und Themen, die uns heute umtreiben?
Das „Abenteuer Aufklärung“ ist noch nicht abgeschlossen. Damals wie heute gab und gibt es Leute, die sich lieber mit aller Macht an alte Zöpfe, überkommene Strukturen und das-war-schon-immer-so hängen, als Neues zu wagen oder sich nur darauf einzulassen.
Bis heute ist ja der Verbleib von Heinses Schädel unbekannt. Was meinen Sie, wo er sich befindet?
Ich fürchte, der wurde mit dem Bombenschutt des Senckenberg-Instituts abgeräumt. Ich halte Wilhelm aber für aufgeklärt genug, um nicht als kopfloser Geist herumzuspuken.
Eine letzte Frage: Am Ende des Comics unterhalten sich die Totengräber über den Autor „Heinze“, dessen Texte wohl „richtig versaut“ sein sollen. Was hat es mit den unterschiedlichen Schreibweisen des Nachnamens auf sich?
Vielleicht wollte er sich damit von den „Heinzen“ seiner Zeit absetzen? Tiefer bin ich in das Nachnamen-Thema bei ihm nicht eingestiegen. Aber die Totengräber haben recht: Der „Ardinghello“ hat überaus explizite Passagen. Wer sich allerdings das dicke Buch nur aus diesem Grund vornimmt, muss durch viele, viele Seiten Kunst- und Bildbeschreibungen durch. Wenn das ein inhaltliches Konzept ist, den Leuten Kultur nahezubringen, ist es ziemlich gerissen.
Vielen Dank für das nette und aufschlussreiche Gespräch.
www.janhochbruck.de, www.stadtarchiv-aschaffenburg.de
Wilhelm und die glückseligen Inseln
Comic über Wilhelm Heinse
Angela Pfenninger & Jan Hochbruck
84 Seiten
Zwerchfell-Verlag (Stuttgart)
ISBN 978-3-943547-68-9
20 Euro