Uns allen geht es so, dass wir uns unserer eigenen Wirkung auf andere meistens gar nicht bewusst sind. Führungskräfte beispielsweise stehen jeden Tag auf der Bühne des Unternehmens, werden beobachtet und hinterlassen einen Eindruck. Aber ist das auch der Eindruck, den sie hinterlassen wollen oder wirken sie durch ihr Auftreten ganz anders als sie beabsichtigen?
Gerd-Inno Spindler hat sich in seinem Buch „Und Action, bitte!“ dieser Thematik angenommen und Wege entwickelt, wie Manager mit den schauspielerischen Methoden des „Method Actings“ auch abseits des gesprochenen Wortes punkten können. Ein hochspannendes Thema, über das FRIZZ Das Magazin mit dem Autor sprechen konnte.
FRIZZ Das Magazin: Sie vergleichen das Führen eines Teams mit der Arbeit eines Theaterregisseurs. Welche Parallelen gibt es zwischen diesen Positionen?
Gerd-Inno Spindler: Ein Regisseur und der Leader eines Teams brauchen ein Team, das sich ergänzt und keines, in dem jeder versucht, den anderen auszustechen. So benötigt auch ein Team in einem Wirtschaftsunternehmen immer wieder neue Charaktere, die losgelöst von einer historischen Rollenverteilung frischen Wind, neue Ideen und moderne Handlungsweisen ins Team tragen.
Sie sprechen aus Erfahrung: Sie sind gelernter Schauspieler sowie langjährige Führungskraft und Geschäftsführer in der freien Wirtschaft. Was (und wann) war der ausschlaggebende Punkt, an dem Sie merkten, dass man diese zwei unterschiedlichen Welten zusammenbringen sollte? Gab es so etwas wie ein Schlüsselerlebnis?
Mein Schlüsselerlebnis war ich selbst. Ich wollte meine Organisation von einer notwendigen strategischen Änderung überzeugen und sie mit meiner Präsentation mitreißen, ich wollte das Feuer und die Begeisterung in mir übertragen. Aber schon während meines Vortrags hatte ich das Gefühl, kaum einen mit meiner Euphorie anstecken zu können. Ich klebte am Pult fest und wusste nicht wohin mit meinen Armen und Augen. Danach habe ich mir gesagt „niemals wieder so“. Ich wollte mir das Handwerkszeug besorgen und habe eine Schauspielausbildung begonnen. Meistens ist man sich der eigenen Wirkung nicht bewusst. Als Führungskraft in einem Unternehmen stehen Sie jeden Tag auf der Bühne des Unternehmens. Bei jedem Gespräch, bei jedem Vortrag, bei jeder Präsentation und jeder Teamsitzung werden Sie beobachtet und hinterlassen einen Eindruck. Aber ist das auch der Eindruck, den Sie hinterlassen wollen oder wirken Sie durch Ihr Auftreten ganz anders als Sie beabsichtigen?
Ein Schauspieler, der vor Publikum in einem Theaterstück auf der Bühne steht, hat die Aufgabe Eindruck zu machen und er hat für seine Wirkung auf Andere eine spezielle Schauspielausbildung durchlaufen. Ein Manager spricht oft vor und mit seinen Mitarbeitern oder bei Präsentationen und Pressekonferenzen vor größerem Publikum. Die meisten tun dies ohne Übung der Sprache, der Stimme und der Atmung. Man spricht eben wie man spricht. Wir kennen das alle, eine Person spricht viel zu schnell, sodass man nicht folgen kann, eine andere spricht so langsam, dass man einschläft, eine ist zu laut, die andere zu leise. Einige sprechen Sätze nicht zu Ende, sondern fangen schon mit dem nächsten an, ohne dass der vorherige Satz beendet wurde. Sie verschlucken regelrecht einen Teil ihrer Aussage. Und manchen spielt einfach die Aufregung oder Nervosität einen Streich. Ich habe mir als Geschäftsführer nie Gedanken über meinen Auftritt gemacht. Das schien mir nicht wichtig, da gab es viele Dinge zu überlegen und zu entscheiden, da blieb keine Zeit für solche Themen. Alle Projekte und Strategien werden bis ins Kleinste geplant und die eigene Wirkung auf die Mitarbeiter total ausgeblendet. Ein Millionenprojekt wird vor der Belegschaft verkündet, wichtige personelle Entscheidungen bekannt gemacht, auf Betriebsrats- oder Gesellschafterversammlungen präsentiert, externe Vorträge gehalten und das alles, ohne sich Gedanken über die Wirkung des eigenen Auftritts bei so banalen Dingen wie Gehen, Stehen oder Sitzen zu machen. Bei einem „falschen“ Auftritt und wenn Worte und Auftritt nicht zusammenpassen, wird viel verschenkt. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Möglichkeit, Ihren Gesellschaftern Ihr neues Projekt vorzustellen, bahnbrechend aus Ihrer Sicht, Sie würden alles dafür geben. Und dann schlurfen Sie durch den Meetingraum, wirken unsicher, stellen sich von einem Bein auf das andere. Sie wirken wie ein Schüler, der das erste Mal vor Leuten spricht. Ihre ganze Kompetenz, Ihr Knowhow und Ihre Kreativität kommen einfach nicht rüber. Der Zuhörer nimmt den Inhalt Ihrer Worte nicht wahr, weil Ihr Auftritt Ihre Worte nicht unterstützt.
Ihre Intention ist, dass Führungskräfte mit den schauspielerischen Ansätzen des „Method Actings“ ihre eigenen Ziele nicht nur inhaltlich, sondern auch durch Körpersprache und sicheres Auftreten transportieren und festigen können. Warum ist die Körpersprache so wichtig?
Das Auftreten im Unternehmen gegenüber den Mitarbeitern und den Kollegen sagt viel, wenn nicht alles, über den Vorgesetzten aus. Seine Zielsetzung und seine Durchsetzungsfähigkeit werden durch sein Auftreten oft erst wahrgenommen, zumindest aber intensiv verstärkt. Im positiven und auch im negativen Sinne. Genauso ist es auf der Bühne. Dort wird das Auftreten, das Gehen und das Sprechen intensiv trainiert und gehört zur Ausbildung eines Schauspielers. Bei einem Kind ist die Körpersprache am natürlichsten und am ehrlichsten. Später fangen wir an uns zu verstellen und doch verrät unsere Haltung die wahren Motive unseres Handelns. Ein Schauspieler lernt in seiner Ausbildung, seine Körpersprache gezielt einzusetzen. Er darf nicht absichtslos wirken, er muss auf der Bühne Gefühle und Emotionen dem Publikum glaubhaft vermitteln können. Führungskräfte in Unternehmen sollten sich bewusst sein, dass ihre Körpersprache deutliche Signale an andere aussendet. Und sie sollten in der Lage sein, Körpersignale anderer aufzunehmen und sie zu deuten. Stehen unsere Worte und unsere Körpersprache im Widerspruch, wirken wir nicht authentisch. Etwas passt dann für die anderen nicht.
Glaubwürdigkeit basiert ja auch auf der Authentizität. Gibt der Manager durch den Einsatz von schauspielerischen Elementen nicht seine Authentizität ein Stück weit auf? Besteht die Gefahr des „Over-Actings“?
Das passiert nur, wenn er oder sie die Rolle eines Anderen imitiert. Als Schauspieler konzentriere ich mich auf mich in meiner zu spielenden Rolle. Ich spiele nicht, ich bin. Stress im Unternehmen entsteht auch dadurch, eine Rolle zu spielen, die man selbst nicht ist. Das sollten wir Schauspielern überlassen. Nachahmen erfordert Konzentration an der falschen Stelle. Am besten bin ich, wenn ich „ich bin“. Das kann keiner besser als ich selbst. Beim Imitieren einer anderen Person kann ich nur gegen das Original verlieren. Wer echt ist, braucht nichts vorzutäuschen, nicht spielen „als ob“.
Wenn Sie als Vorgesetzter sich selbst „spielen“, sind Sie in allen Situationen Herr der Lage. Spielen Sie einen Vorgesetzten, weil Sie ihn besonders mögen oder zu ihm aufschauen, sind Sie das nicht. Beim kleinsten Gegenwind fällt Ihre Interpretation zusammen. Wie der Schauspieler sollten Sie einen glaubhaften Charakter erschaffen. Der verhält sich logisch und wahrhaftig. Wenn ich den Text einer Rolle lerne, bin ich schon beim Textlernen die darzustellende Person. Dann kann ich als diese Person Angst, Ärger oder Freude zeigen, die der Zuschauer glaubt. Und nebenbei kann ich dann als diese Person auch Text einbauen oder verändern, sollte es einmal nötig sein. Das Stück und die Handlung kenne ich nach dem Lesen, was passiert und wie es ausgeht, ist dann bekannt. Jetzt „erlebe“ ich das Stück als die Person, die ich darstelle. Was soll mir da auf der Bühne schon passieren? Auf jede Aktion erfolgt eine Reaktion meiner Figur, die ich dann selbst bin.
Ein Kapitel ihres Buches heißt „Körpersprache ist eine laute Sprache“. Wie laut im Vergleich zum gesprochenen Wort ist die Körpersprache? Und kann sie genauso unvergänglich sein?
Worte sind vergänglich, das Bild, das man von jemanden hat, nicht. Der erste Eindruck, den man hinterlässt ist prägend und nur schwer korrigierbar. Sofort erfolgt eine Einordnung bzw. Typisierung. Wir empfinden Sympathie oder Antipathie, Gefahr, Freude, Interesse oder Rivalität. Wir sind bemüht, diesen ersten Eindruck, den wir von jemandem haben, auch immer wieder bestätigt zu sehen. In der Wissenschaft wird das als kognitive Dissonanz bezeichnet. Wir interpretieren alle Handlungen und Worte einer Person in die Richtung des ersten Eindrucks, selbst dann, wenn es nicht immer passt. Viele gehen mit dem ersten Eindruck, den sie hinterlassen, sehr leichtsinnig um und sind sich dessen Wirkung nicht bewusst. Es wird später äußerst schwierig, diesen ersten Eindruck zu korrigieren. Darum ist es wichtig, an unserem Auftritt zu arbeiten. In der Schauspielausbildung wird der Auftritt, der Gang über die Bühne, geübt und trainiert. Wie geht ein Schauspieler über die Bühne? Sein Gang ist immer zielgerichtet, d. h. er hat eine Motivation, einen bestimmten Gang oder eine bestimmte Handlung zu machen. Dies muss der Zuschauer erkennen können. Sich diese Motivation zu schaffen, ist ein wesentlicher Bestandteil der Schauspielausbildung.
Als Manager ist man sich der Wirkung allein des Gehens durch einen Raum oder zum Mikrofon selten bewusst. Ich hätte mir vor der Schauspielausbildung nicht denken können, dass ich vielleicht „falsch“ gehe oder stehe. Der Schauspieler hat eine Wirkung auf der Bühne. Er erzeugt mit dem vermeintlich simplen Stehen oder Gehen eine Assoziation beim Zuschauer. Der Schauspieler muss mit seinem Körper, seiner Stimme und seinen Gesten den Raum ausfüllen. Er muss Größe entwickeln. Und das unabhängig von der Größe des Raumes. Ein Manager sollte dazu genauso in der Lage sein. Egal, ob in einem Vieraugengespräch oder in einer Präsentation vor 500 Zuhörern in einer Stadthalle.
Gemeinsam mit dem Leiter der „actor’s company“, Torsten Stoll, haben Sie, begleitend zum Buch, ein Workshopprogramm entwickelt. Kann man Führungskräften die Geheimnisse und goldenen Regeln des „Method Actings“ in einem einzigen Workshop näherbringen oder bedarf es nicht vielmehr eines dauerhaften Coachings, um nachhaltige Erfolge zu erzielen?
Die „Basics“ können sehr gut in einem Workshop veranschaulicht und ausprobiert werden, aber selbst hier unterscheiden wir zwischen Stimme, Sprache und Körper. Das „Feintuning“ ist durch persönliches Coaching ein permanentes Thema, wie auch bei einem Fußballspieler, der täglich trainiert. Nachdem einem die Wirkung der eigenen Körpersprache bewusst geworden ist, kann sie aktiv und gezielt eingesetzt werden. Ein zweiter sich anschließender Themenkomplex spiegelt quasi das Gelernte und interpretiert die Körpersprache des gegenüber z. B. in Verhandlungen oder Meetings. Deswegen ist das Wissen darum so wichtig für den eigenen Auftritt. In unseren Workshops „Method Acting für Manager“ bearbeiten wir – Torsten Stoll und ich – mit unseren Teilnehmern die verschiedenen Themenfelder wie Körpersprache, Auftritt, Ausdruck, Stimme, Sprache, Lampenfieber, Führungsverhalten und strategisches Management. Viele Übungen und Tipps können Sie in meinem Buch „Und Action, bitte!“ nachlesen.
Eine richtige Körpersprache kommt ja jedem von uns auch im Alltag zugute. Haben Sie einen (oder ein paar) kleine Tipps für uns, wie man sich auch ohne schauspielerische Vorkenntnisse „besser in Szene setzen kann“?
Machen Sie Dinge bewusst, denken Sie an die Reaktion des Anderen und bleiben sich selbst treu, dann wirken Sie authentisch. Nehmen wir nur einmal die Gesten, die wir mit unseren Händen machen. Sie verraten so viel über uns und erfolgen doch oft ganz unbewusst. Klopft Ihnen Ihr Vorgesetzter von oben auf die Schulter, ist das ein Zeichen von „Ich bin hier der Chef und Du mein Untergebener“. Er ist distanzlos und übergriffig in seiner Handlung. Ein Klopfer auf die Schulter, verbunden mit dem Satz „Das ist doch auch Ihre Meinung, oder?“ ist eine Haltung, die keinen Widerspruch duldet. Er behandelt Sie von oben herab. Und auch dieses Verhalten löst natürlich wieder entsprechende Reaktionen bei Ihnen aus. Wenn es denn sein muss, erfolgt ein Schulterklopfen besser von der Seite auf den Arm. Auf jeden Fall ist das „Schauspielern“ sowohl auf der Bühne, als auch im Unternehmen keine Alternative. Wer „schauspielert“ wird auch als „Schauspieler“ wahrgenommen, wer sich als Person authentisch benimmt, wird als genau diese Person wahrgenommen. Wenn man mit dem Vorsatz „ich will gewinnen“ in eine Verhandlung geht, wird man dem Partner keine Chance lassen, sich ebenfalls als Gewinner zu fühlen. Wo es einen Gewinner gibt, wird es auch einen Verlierer geben. Das ist keine Verhandlung, das ist bloßer Druck und Machtgehabe. Geben Sie Ihren Verhandlungspartnern immer das Gefühl, sich nicht selbst aufgeben zu müssen, sondern sich genauso wie Sie selbst als Gewinner zu fühlen.
Wenn ich merke, dass eine Verhandlung stockt oder sogar zu scheitern droht, weil sich keiner von seiner Position wegbewegt, dann verändere ich die Situation und schaffe einen „Drehpunkt“. Auf der Bühne ist ein Drehpunkt der Moment, ab dem sich eine Handlung ändert. Nach einem Drehpunkt geht es nicht weiter wie bisher. Es wird etwas passieren, was vorher nicht passiert wäre. Das kann ich auch in einer Verhandlung aktiv herbeiführen, indem ich dem Gegenüber ein Glas Wasser anbiete, aufstehe und ein Fenster öffne, ihn nach der Bedeutung eines Bildes an der Wand frage oder seine schöne Armbanduhr bewundere. Dadurch ändert sich die Situation und von dem Moment läuft das Gespräch anders. An vielen Merkmalen und Veränderungen an dem Gesprächspartner kann ich erkennen, dass ein Drehpunkt notwendig wird. Seine Augen, seine Arme und Hände, seine Schulter- oder Kopfhaltung oder seine Fußstellung verraten mir das, denn die Körpersprache ist eine laute Sprache.
Vielen Dank für das spannende Gespräch!
Lese-Tipp
Gerd-Inno Spindler
Und Action, bitte! Method Acting für Manager
Vom Mitspieler zum Regisseur im Unternehmen
Springer Gabler
1. Auflage 2020, 261 Seiten
ISBN 13: 978-36 58 30 98 62