„Papa?“– „Ja, was gibt es?“ – „Warum trägst Du eigentlich nie einen Fahrradhelm?“. Das ist eine gute Frage. Auf die ich leider keine noch nicht mal halbwegs ausreichend fundierte Antwort finde. Ich sage dann so etwas wie „Weil ich keinen vernünftigen Helm habe. Denn mit dem, den ich besitze, schwitze ich so stark. Und ich habe gleich einen Termin und deshalb ist das besser, denn sonst würde ich mit ganz nassen Haaren und derangierter Frisur ankommen. Das wäre ja auch blöd, oder? Also Ciao alle zusammen, ich muss jetzt los!“ Ich bin immer wieder überrascht, dass dann für eine bestimmte Zeit Ruhe im Karton herrscht, denn das ist ja wirklich eine sehr hanebüchene Antwort mit sehr brüchigen Argumenten. Irgendwann ist das auch wieder verpufft und es geht wieder von vorne los. „Papa?“ – „Ja, was gibt es?“ – „Warum trägst Du eigentlich nie einen Fahrradhelm?“
Ja, warum trage ich eigentlich nie einen Fahrradhelm? Ich trage keinen Helm, weil ich tatsächlich finde, dass ein Fahrradhelm – rein optisch betrachtet – eines der hässlichsten Accessoires ist, die sich ein erwachsener Mensch aufziehen kann. Ich finde, jeder sieht mit Fahrradhelm bescheuert aus. Würde Cameron Diaz beispielsweise mit mir auf eine Kugel Stracciatella zum Eis-Kaiser nach Seligenstadt fahren und hätte dabei einen Fahrradhelm auf. Leute, ich fände sie für diesen Zeitpunkt nur halb so sexy wie sonst. Was Helme betrifft, geht es mir nur beim Fahrradhelm im Alltagskontext so. Wäre ich Bahnradfahrer oder bei der Tour de France dabei, logo, Helm her! Oder ich fall um. Und auch weder an einem Ski-Helm noch an einem Roller-Helm störe ich mich. Ganz im Gegenteil. Welcher Idiot fährt denn noch ohne Helm Ski?
Ich weiß es ist eine fast schon fatale Haltung. Einmal mehr vor dem Hintergrund, dass ich jeden Tag quer durch die Frankfurter Innenstadt zu meiner Arbeit brettere. Wer das nur einmal gemacht hat, weiß, dass selbst ein Stierkampf manchmal gefahrenfreier ist. Viele meiner Freunde und Bekannte tragen auch deshalb mittlerweile ordentlichen Kopfschutz. Und es macht mich nicht sehr glaubwürdig, weil ich im Gegenzug permanent von meinen Kindern fordere, dass sie ihren Helm aufziehen müssen und ihnen, halten sie sich nicht dran, das Hof-Verlassen verbiete. Lange Rede, ganz kurzer Sinn: Ich bin, was das betrifft, ein verflixt schlechtes Vorbild. Und meine Argumente und Hintergründe gehen kaum unreflektierter und blöder. Allein, ich komm nicht aus meiner Haut. Furchtbar. Es sieht aber auch selten dämlich aus. Und schwitzen tue ich wirklich wie verrückt.
Das mit dem Vorbild-Sein ist allerdings und grundsätzlich eine ganz schöne Bürde für uns Eltern. Keine WhatsApp am Esstisch schnell checken und antworten, dauernd Hände waschen, wenn Du nach Hause kommst, Kleidung sofort aufräumen, statt im Haus verteilen. Keine Leute im Straßenverkehr beleidigen, auf üble Schimpfwörter schon mal grundsätzlich verzichten, bei schrecklichem Essen nicht laut „Bäh“ rufen. Und überhaupt: Keinesfalls mit dem Essen anfangen, bevor nicht alle am Tisch sitzen. Egal, ob ich schon 45 Minuten hungrig auf das Eintreffen der Restfamilie warte. Permanent sollst Du mit gutem Beispiel vorangehen. Jetzt wo ich so aufliste, fällt mir erst auf, was für ein fürchterlicher Druck das ist. Ich glaube nach wie vor fest und treu, dass ich ein ganz guter Vater bin. Ich mache fast alles gerne mit meinen Kindern und versuche sie einzubinden, wo es nur geht. Aber das macht mir das Vorbild-Sein auch nicht immer leichter.
Die Nachsichtigen rufen dann „Hey Rußmann, mach Dich doch nicht immer so verrückt. Darum geht es doch auch: Zeigen, dass man nicht perfekt ist. Wo machen Regeln Sinn und wo sind sie schlicht gesellschaftlich konstruiert und damit auch behämmert? Und es gibt ja ernsthaft viele Idioten im Alltag, denen ordentlich der Marsch geblasen gehört“. Alles richtig und stimmt. Aber ich könnte wirklich das Handy zum Abendessen auf den höchsten Schrank im Haus packen und erst nachdem die Kinder im Bett sind, wieder runterholen. Und es wäre auch ok, wenn ich mir nicht direkt vor dem Abendessen noch ein Stück blanke Fleischwurst im Stehen reinpfeife. Vor den Augen der Kinder. Und das mit dem Fahrradhelm ist völlig hirnrissig. Aber lieber Himmel, wer will denn schon bei 100 Prozent sein. „Kinder, ich trage keinen Fahrradhelm, weil ich einfach am Kopf sehr stark schwitze und er mir schlichtweg nicht steht! Das ist bei Euch doch ganz anders. Und außerdem trage ich zur Sicherheit eine Kappe.“ So. Das muss als Antwort auch mal genügen.
Bruno und ich hören: Fortuna Ehrenfeld „Hey Sexy“ (Grand Hotel van Cleef)