Burnout
Ich glaube, es ist so weit. Ich habe Kinder-Burnout! Diese Krankheit gibt es offiziell noch nicht. Was mich aber wundert. Wieso ich das vermute mit dem Kinder-Burnout? Meine Symptome sind sehr eindeutig und häufen sich. Massiv. Ein Beispiel? Gerne. Ruft meine Frau am Abend: „So, ich denke es wird Zeit, dass die Kinder ins Bett gehen“, will ich nicht mehr von der Couch aufstehen. Einfach sitzen bleiben und irgendwas schauen. Wegen mir auch Florian Silbereisen oder nur blöd aus dem Fenster glotzen. Mir kommt der blanke Schrecken und tiefste Schwermut an manchen Abenden, wenn ich nur an das Fertigmachen der Kinder denke. Immer wieder das gleiche. Bruno auf geht’s ins Bett. „Maj, Maj!“ ist dann seine Antwort. „Maj, Maj“ heißt „Nein, Nein“ in seiner Sprache. „Maj, Maj“. Jeden Abend „Maj, Maj“. Ich kann es nicht mehr hören: „Maj, Maj“. Ich kann auch nicht einfach „Maj, Maj“ sagen. Ich muss einen der beiden an jedem verfluchten Abend fertig machen und ganz ehrlich: Es hängt mir zum Hals raus. Ich melde mich sogar freiwillig für den Besuch des Elternabends, weil ich weiß, dass das dann meine Frau übernimmt.
Dann gehe ich ins Bett und weiß morgen früh wird es nicht besser. Da wird mir gleich wieder schlecht. Dazwischen noch die Nacht. In unserem Fall ist auch die schon lange nicht mehr allein zum Schlafen da. Auf Bruno ist immer Verlass. Wenn er ausnahmsweise durchschläft, wache ich in größter Sorge auf, irgendjemand könnte ihn nachts gestohlen haben, weil es so ungewöhnlich ist. Manchmal höre ich ihn nachts und kann es ignorieren. Dann tue ich vor meiner Frau so, als ob ich noch weiter schlafe. Nur, dass ich nicht rüber muss. Sie macht es dann und ist sauer auf mich. Ich kann sie verstehen, aber es ist meine Krankheit: Burnout. Ich kann eigentlich nichts dazu. „Maj, Maj“, Ich kann es nicht mehr hören. Dann geht meine Frau an vier von fünf Tagen in der Früh vor mir aus dem Haus und da steh ich wieder allein. Meine Tochter will das nicht anziehen, was wir am Abend vorher gemeinsam mit ihr besprochen haben. Und auch diese Diskussion quillt mir mittlerweile aus den Ohren. Und dann kommt auch noch der Allerschönste um die Ecke. „Maj, Maj!“
Kurz bevor wir aus dem Haus gehen, kackt Bruno dann nochmal die Windel randvoll und ich muss ihn wickeln. Seine Reaktion? Natürlich „Maj, Maj“. „Bruno, du stinkst wie ein Bock, komm jetzt!“ „Maj, Maj“. Ich weiß manchmal nicht mehr, wo ich die Kraft für die Arbeit finde. Ich bin leer wie eine Flasche. Ich beschimpfe auf dem Weg zur Arbeit Menschen, weil sie nicht erkennen, was ich alles bereits geleistet habe und mir im Weg stehen. Auch ein Anzeichen meiner misslichen Lage. Aber Herrgott! Sieht das denn keiner? Ich habe bereits Großes vollbracht. Wieder den Schweinehund überwunden. Die Zähne meines Sohnes gegen seinen Willen geputzt. „Maj, Maj“. Ihn gegen seinen Willen aufs Fahrrad gesetzt. „Maj, Maj“. Ich werde ungerecht. Auch das ist ein Anzeichen. Bruno lacht 80 Prozent am Tag mit seinen dicken Backen. Ich höre aber nur noch „Maj, Maj“. „Maj, Maj“, „Maj, Maj“: Das bleibt in meinem Kopf haften. Ich weiß es nicht, ich frage ganz ehrlich: Geht es den Müttern da draußen manchmal ähnlich? Oder gibt es ein Mutter-Gen, das automatisch gegen Kinder-Burnout wirkt, das wir Väter einfach nicht haben? Waschen, Kochen, zum hundertsten Mal den ganzen Dreck um seinen Hochstuhl sauber machen. Meine Frau macht das auch und schimpft. Aber ich glaube sie hat kein Burnout.
Ich aber habe Kinder-Burnout! Je länger ich an diesem Beitrag sitze, merke ich es. Ich will mal wieder mit meinen Freunden mit leichtem Glimmer in der Kurve stehen. Die Betonung liegt auf leichtem Glimmer. Nach einem Konzert im Elfer in Sachsenhausen versacken. Drei Stunden in einem Plattenladen stöbern. Nur für mich. Ein ganzes Wochenende nach Berlin fahren, ohne schlechtes Gewissen. Einen kompletten Tag Sport im Fernsehen schauen. Oder nur im Bett bleiben und Filme durchjagen. Das würde vielleicht helfen. So aber bleibt nur „Maj, Maj“. Immer wieder. Jeden Tag aufs Neue. „Los geht’s Bruno, ich rieche es bis hierher“. „Maj, Maj!“.
Heute brachte ich unsere Nachbarn zum Flughafen. Ich hatte meinen Geldbeutel samt Kreditkarte dabei, dafür mein Mobiltelefon zuhause liegen lassen. Ohne Absicht. Ganz ehrlich. Es war die größte Chance auf einen Genesungsurlaub. Zum Greifen nah. Niemand hätte gewusst, wo ich bin. Ich wäre nicht erreichbar gewesen. Und genug Geld wäre gerade auch auf dem Konto. Tick, tack, tick, tack. 10 Sekunden nachdenken. Dann habe ich mich wieder ins Auto gesetzt und bin zurück nach Praunheim gebrettert. Irgendeine Stimme in mir sagte „Maj, Maj“!
Bruno und ich hören: Turbostaat „Vormann Leiss“ (Same Same But Different/ Warner)