Bing, Bing … Bing, Bing, Bing, Bingbingbing … Bing … Bing … Bingbingbingbing … Bing, Bing, Bing, Bing … Um 7 Uhr beginnt die Sache! Mal mehr, mal weniger. Aber los geht es immer. Von Montag bis Freitag. Am Samstag und Sonntag setzt es später ein. Da startet das penetrante Gebimmel und Gesurre vielleicht so gegen 10 Uhr und bei weitem nicht so dauerhaft und geballt. Vielleicht schlafen da alle länger oder es gibt noch nicht so viel zu berichten? Anders als beispielsweise heute früh. Bing, Bing, Bing, Bingbingbing … Bing … Bing … Bingbingbingbing … Bing, Bing, Bing, Bing … Meine Güte. Weiter geht es. Selbst der Kanzler empfängt um 7.15 Uhr noch nicht so viele Nachrichten. Da möchte ich meinen Arsch für verwetten. Vielleicht sonst nur die Leitzentrale des Rettungsdienstes in Frankfurt am Main.
Bing, Bing … Bing, Bing, Bing, Bingbingbing … Bing … Bing … Bingbingbingbing … Bing, Bing, Bing, Bing … Als ich das erste Mal das stoische Gebrumme und Gebimmel in der Früh hörte, schreckte ich hoch und dachte, auf der Arbeit sei etwas Schlimmes passiert. Dann fiel mit ein, dass mein Handy nahezu immer lautlos ist. Ich prüfte zur Sicherheit. Ok. Nur zwei neue Nachrichten. Ohne größere Bedeutung. Das Gerät meiner Frau vielleicht? Schulnotstand? Alle krank? Auch Fehlanzeige. Alles lief auf das Gerät meiner Tochter hinaus und schon surrte der nächste Schwung an Nachrichten herein. Bing, Bing, Bing, Bingbingbing … Bing … Bing … Bingbingbingbing … Bing, Bing, Bing, Bing.
Ich habe in meinem ganzen Leben noch nie so viele Nachrichten innerhalb kürzester Zeit um diese Uhrzeit bekommen. Gestern waren es um 7.24 Uhr bei meiner Tochter zehn Mitteilungen von Snapchat, 38 weitere von Telefon, Signal, WhatsApp und noch wiederholte Anrufe über Snapchat von einer ihrer Freundinnen. DRINGLICH wohlgemerkt. Ich hatte noch nie ein DRINGLICH in Großbuchstaben über irgendeinem Anruf stehen. Und ich wage zu behaupten, dass die Anrufe, die ich erhalte, weitaus dringlicher sind. Anyway. Wahrscheinlich liegt es im Auge des Betrachters. Ich behaupte, dass 90 Prozent dieser Nachrichten komplett belanglos sind. „Hey“, „Hey“, „Was machst Du“, „Ich mach so und so“. Ich weiß es aber nicht, denn ich lese die Nachrichten nicht. So viel Anstand habe ich. Die Privatsphäre muss ich auch bei meiner Tochter respektieren, denn … ach, vergessen wir es … denn Achtung, weiter geht’s: Bing, Bing, Bing, Bingbingbing … Bing … Bing … Bingbingbingbing.
Egal, wie belanglos diese Nachtrichten aber auch sein mögen, sie müssen dennoch wahrgenommen, gelesen und eingeordnet werden. Und jetzt beginnt unser durchaus schwieriger Job als Eltern. Einerseits ist mir völlig bewusst, dass die digitale Welt die Zukunft ist, Chat GPT, KI, Robotik, wir können uns alle miteinander nicht im Keller verstecken. Die normative Kraft des Faktischen und so. Die Kenntnisse auf diesem Gebiet können einmal so wichtig werden wie Lesen, Rechnen, Schreiben. Falls sie es nicht schon bereits sind. Auch miteinander vernetzt denken und sich austauschen ist ein hohes Gut. Man lebt in Shanghai, Rohrbrunn, New York City und trifft sich dennoch im digitalen Raum und plant, entwickelt und kommuniziert. Apps erleichtern den Tag, künstliche Programme erlösen uns von allen lästigen Tätigkeiten, digitale Übersetzer machen es sogar mir möglich, in Tokio stressfrei einen Teller Suppe zu bestellen. Einerseits.
Andererseits hat das, was meine Tochter und ihre Freundinnen hier veranstalten, so wenig mit Zukunft, Weiterentwicklung und Welt neu gestalten zu tun, wie permanentes 230-km/h-Brettern auf deutschen Autobahnen. Es sind völlig sinnfreie Handlungen. Irre, enthemmt und ohne Maß. Die eine Seite der Medaille ist also Digitalisierung und künstliche Intelligenz, die andere Social Media. Und Letzteres ist Herbergsvater für eine permanente und nie enden wollende Kommunikation. Ein Austausch ohne jede Effizienz, Ziel oder Nachhaltigkeit. Statt Brumm-Brumm, nur BingBingBingBing. Einfach Schreiben um des Schreibens wegen. Am besten über drei oder vier Formate gleichzeitig. Statt zu telefonieren, gehen Nachrichten hin und her und her und hin und hin und her. Eingebettet in hanebüchene Selfies. Denn von allen Angeboten bietet die größte Sinnfreiheit das Format Snapchat. Meiner Einschätzung nach ist Snapchat ein lupenreiner, in eine App gegossener Bullshit. Ausgegorener Bockmist. Reinste Ochsenscheiße galore. Und ich weiß bis heute nicht, was uns dazu getrieben hat, die Nutzung überhaupt zu ermöglichen. Der Druck der Peer Group? Die Sorge, unsere Tochter könne nicht dabei sein? Dabei ist sie seit jeher mittendrin. Fatal.
Ich würde an dieser Stelle gerne erklären, wie Snapchat funktioniert. Allein, ich kann es nicht wirklich. Daran wird so einiges deutlich. Ich glaube, es ist wichtig, so schnell als möglich und dauernd auf alles zu antworten. Dann sichert man sich irgendwelche Flammen, die am Laufen gehalten werden müssen, sofern ich das richtig verstanden habe. Wenn das nicht gelingt, ist man in der Snapchat-Welt total „lost“. Um ein beliebtes Wort aus dem Jugendsprech zu bemühen. Erinnert sich noch jemand an das Tamagotchi? Genauso absurd. Nur noch viel schlimmer. Sag ich als alter, grauer Vater über 50. Der US-Psychologe Jonathan Haidt empfiehlt in seinem Buch „Generation Angst“ handyfreie Schulen und Social Media erst ab 16 Jahren. Auf den ersten Blick hat dies einen ganz besonderen Charme. Ich weiß nur tatsächlich nicht, ob es der richtige Weg ist. Ich will es sogar bezweifeln. Die Jugend hat nämlich mehr Aufmerksamkeit statt strikter Verbote verdient. Aber tägliches Bing, Bing … Bing, Bing, Bing, Bingbingbing … Bing … Bing … Bingbingbingbing … Bing, Bing, Bing, Bing … ab 7 Uhr scheint mir gegenwärtig auch kein tragbarer Zustand. Definitiv nicht. Ein paar Regeln würden schon helfen. Puuh. Wir haben einige Herausforderungen vor uns.
Bruno und ich hören: The Beastie Boys „To the 5 Boroughs”