Manchmal erschrecke ich über mich selbst. Über meine plötzliche Lautstärke, wenn ich mich über die Dickköpfigkeit der Kinder ärgere, meine eigene Verbohrtheit im Zuge des zunehmenden Alters, mein nie aufhörendes „Wenn/Dann“ – bei vollem Bewusstsein, dass dies glorreich scheitern wird. Und seit kurzem auch über meine eigene Sprache. Da lästere ich über das ganze „Unfair“ und „Guckmal“ meiner Kinder, nur um kurze Zeit später ein Wort bis zum Erbrechen zu malträtieren, das dümmer kaum klingen kann.
Aber so bescheuert es sich auch anhört, also das Wort, ich verwende es tagtäglich. Ohne Erbarmen und Gnade. Seit einigen Wochen eigentlich permanent und dauernd hintereinander. Immer als Satzauftakt. Grausig. Das war mir die ganze Zeit gar nicht bewusst. Aber kürzlich schien es mir, als ob ich aus meiner eigenen Haut gefahren wäre. Und ausnahmsweise nicht aus Wut, weil die Kinder zum fünften Mal meine eindeutige Ansage jetzt einmal ihre eigenen verdreckten Teller in die Spülmaschine zu räumen, gepflegt ignorierten. Als hätten sie wie immer mit den Vorgängen im Haus nur rudimentär zu tun und wären ausschließlich zu Besuch bei einer reichen Gastfamilie in Südfrankreich. Mit eigenem Butler und persönlicher Zofe.
Mir schien in diesem magischen Augenblick, ich würde eine Metaebene einnehmen. So nicht mehr in meinem Körper anwesend und stattdessen vogelperspektiven-mäßig über den Dingen schwebend. Oder geradewegs als hätte ich mich höchstpersönlich für meine eigene Coachingeinheit engagiert und täte mich nun jetzt selbst beobachten. Kritisch und gleichzeitig wohlwollend, aufmerksam und verflixt beständig. Genau. Eben wie ein guter Coach. Warm, aber immer mit dem Finger in der Wunde. Und da fiel es mir auf. Fast in jedem zweiten Satz. Und wenn ich etwas von Hanni und Bruno in der direkten Ausübung sofort verlange, in nahezu jedem zusammenhängenden Satzgebilde.
Wir wollen los und aufbrechen, ich möchte, dass sie den Tisch abräumen, ich hätte gerne, dass sie ihren jeweiligen Ranzen in der Früh endlich schultern. Sorry, Hanni hat schon lange keinen Ranzen mehr, sondern einen Rucksack. Aber das soll gerade mal egal sein. Ich will, dass einer der beiden oder das dynamische Duo gleich im Doppelpack in den Aktionsmodus wechselt und da ertönt es. Als ob ich einen Hund rufen würde. Oder in der Schweiz die Schafe zusammentrommeln wollen würde. One Word – One Mission. Hier kommt mein neues Lieblingswort: Auffi!
„Auffi! Pack jetzt mal die Fußballtasche“, „Auffi, los geht’s, der Bus fährt gleich!“, „Auffi! Die Gläser laufen nicht von allein in die Spülmaschine!“, „Auffi, Beeilung, Mara wartet schon seit fünf Minuten vor der Tür auf Dich!“ „Auffi, ich habe um 9.00 Uhr einen Termin im Büro, der geht nicht zu verschieben.“ Wenn es ganz drängt, dann gerne auch nur ein „Auffi, Auffi, Auffi geht’s!“ Dreimal Auffi. Ich bin mir wirklich für nichts mehr zu schade. Und genau hier endet die warme Coachingsitzung und ich rede Tacheles mit mir selbst. Schonungslos. Was ist denn das überhaupt für ein Wort? Auffi. Das ist ja das Wort eines Deppen. Eines mittlerweile in die Jahre gekommenen Deppen wohlgemerkt. Auffi. Jesses und Heiland der Welt.
Ursachenforschung. Wie kam es dazu? Wo ist es hin das „Aufstehen, jetzt sofort!“, das „Zähneputzen, jetzt sofort“. Auffi klingt wie weichgekochte Scheiße. Es tut mir leid, mir fällt kein anderer Vergleich ein. Auffi ist Resignation. Aufgabe. Verzweiflung in ein kindisches Wort gepackt. Auffi. Allein wenn ich es halblaut vor mir hersage. Auffi. Leute, Leute, Leute! Je mehr ich darüber nachdenke, desto bewusster wird mir, dass „Auffi“ unterm Strich eine ins Wort gegossene Kapitulation vor der Starrköpfigkeit meiner Kinder und auch das Resultat des jahrelangen Abarbeitens an Hanni und Bruno ist. Das dauernde etwas Wiederholen müssen. Mein Einknicken vor ihrem immer erst einmal steten und durchaus beeindruckenden Verweigern meiner Ansagen. Ihr Ignorieren meiner Handlungsanweisungen, die sie erst beim vierten – dann massiven – Auffordern befolgen. Das Ergebnis ihrer gelebten Ignoranz. Die mich unendlich müde gemacht hat. Weil ich gleichzeitig auch einem Beruf nachgehen muss, der ebenfalls Kraft fordert. Das ist „Auffi“. Ein nur noch halbgarer Aufruf, jetzt doch endlich einmal in die Puschen zu kommen. Der so weich wie Pudding ist. Auffi, Auffi, Auffi. Selbst meine Tochter nimmt mich damit schon auf die Schippe. „Jaja Papa, Auffi, auffi, auffi …“
Ein bisschen fühle ich mich wie Clarence, der schielende Löwe. Falls den jetzt noch jemand kennt. Den hat auch niemand für voll genommen. Wer will denn allen Ernstes meinen Appellen folgen, wenn sie mit diesem vermaledeitem „Auffi“ beginnen? Schluss mit lustig, aber ganz schnell. Spricht der strenge Coach mit mir. Ich sammle nochmal die letzten Kräfte. So kann es nicht weitergehen. Ich habe noch etliche Jahre vor mir als Vater. Auf diese Weise komme ich nicht über die Runden. Das „Auffi“ muss weg. Zurück zu alter vermeintlicher Stärke. Auffi, geht’s Rußmann. Ach verflixt, das wird ein langer Weg. Das spüre ich jetzt schon.
Bruno und ich hören: Chris Cresswell „One Week“ (One Week Records)