Heute Abend fuhr ich gemeinsam mit meiner Tochter eine ihrer Freundinnen nach Hause. Ich bin mittlerweile ein wahrgewordenes Elterntaxi. Elterntaxi ist im Übrigen ein klassisches Elternwort. Es wird ausschließlich von Eltern verwendet. Es existiert nirgendwo sonst. Nur im Sprachschatz der Eltern. Ich fand den Begriff bislang immer recht dämlich, bis ich selbst eines wurde. Also ein Elterntaxi. Das Elterntaxi mit mir als Fahrer holte das Mädchen nämlich vorher auch noch zuhause ab. Weil sie irgendwie den Bus zu uns nicht fand, dann etwas halbgar am Rödelheimer Bahnhof in der Kälte rumstand. Während meine Tochter auf sie wartete, weil sie nämlich zusammen - am Freitagabend wohlgemerkt - noch ein Modell der menschlichen Bandscheibe für die Schule basteln wollten. Oder mussten.
An diesem vielleicht für manchen etwas langatmigen Entree zur eigentlichen Story sind drei Dinge bemerkenswert. Zum einen die Tatsache, dass ich in der sechsten Klasse allerlei Zeug als Hausaufgabe erledigen musste, das Modell der menschlichen Bandscheibe zum Basteln war allerdings nie dabei. Hut ab also für die Kreativität der Lehrer und Lehrerinnen. Auf welche Ideen die so alles kommen. Zum anderen ist erstaunlich, dass die Jugend von heute sich trotz Handy und multimedialen Overkills seltsam schwertut, einfache Treffen pragmatisch hinzubekommen. Da wird viel „Gemessengert“, Sprachnachrichten verschickt und haufenweise telefoniert, aber mal reibungslos ein Date ohne fünf Rückrufe und Nachfragen zu organisieren, ist so weit entfernt wie das Abitur. Und zum Dritten will ich allen Nicht-Frankfurtern einmal wieder ins Stammbuch schreiben: Rödelheim ist kein gefährlicher Ort zum Leben. Da hat Moses Pelham das Land vor Jahren ganz schön an der Nase rumgeführt. Aber nach Rödelheim fuhr das Elterntaxi. Und ich verspreche, ich benutze diesen Begriff hiermit das letzte Mal in diesem Beitrag.
Ich saß also am Steuer des Eltern… ach verflixt … und dachte so bei mir, dass ich zum Einläuten des Wochenendes mir oder besser dem Streamingdienst einfach ein paar Klassiker der alternativen Musikgeschichte aus den Rippen leiere. Keine derben Nummern aus den späten 80ern und nicht zu anstrengende Sachen. Aber solche, die meine Tochter und ihre Freundin bestimmt ganz spitze finden. Eben weil es ja gute Songs sind. Juwelen aus den 90ern. Aus einer Zeit, in der Alternative endgültig explodierte. Und bei denen meine Tochter sicherlich für sich denkt, „Mensch, mein Vater ist ja doch noch ein lässiger Typ, denn wer solche Lieder im Player laufen lässt, ist für immer jung und cool. Auch wenn er sonst seit kurzem manchen unverständlichen und konservativen Bockmist vom Stapel lässt.“ So hoffte ich es. Ich wählte die Foo Fighters mit „Everlong“, switchte dann auf Rage against the Machine und „Killing in the Name“. Ich saß beschwingt im Cockpit und die Mädchen auf dem Rücksitz.
Mir wurde relativ schnell klar: Meine Songs kümmerten die beiden einen feuchten Kehricht. Selbst als Zack de la Rocha zum finalen „Fuck you, I won’t do what you tell me“ ansetzte und bekanntermaßen nicht mehr damit aufhören wollte, saßen die beiden hinten und schauten sich den Status von irgendwelchen Schulfreunden an. „Fuck you, I won’t do what you tell me“. Ein Statement, das Seinesgleichen musikalisch sucht. Wehrhaft sein, für ein Thema einstehen. Ein wunderbares Coming-of-Age-Motto. Ein Mittelfinger ans herrschende System. Nur, es juckte die beiden null die Bohne. Ich musste an Tom Morello denken und sein Erlebnis mit seinem Sohn. Als der nämlich plötzlich einen alten RatM-Song über Gebühr lobte, ohne zu wissen, dass sein Vater dahintersteckt. Hier bei mir Auto war dagegen nichts zu holen. Ich hätte auch Peter Maffay oder Andy Borg hören können. Da fühlte ich mich schlagartig wie einer dieser Rolling Stones- oder Deep-Purple-Väter. Die uns immer erzählen wollten, dass „Smoke on the Water“ oder „Stairway to Heaven“ entscheidender Musikkram ist und alles, was danach kam, nur noch ein müder Abklatsch sei. So denke ich ja gar nicht. Ich stelle auch die Bedeutung von Deep Purple oder Led Zeppelin nicht hinten an. Es hat nur keinerlei entscheidenden Einfluss auf mein Leben gehabt. Aber was Ende der 80er- bis in die späten 90er-Jahre veröffentlicht wurde, was da musikalisch los war, das sucht schon Seinesgleichen. Ohne Bad Religion, die New Bomb Turks, Chokebore oder Helmet wäre ich nicht der, der ich heute bin.
Dachte ich für mich. Und dann wurde mir wieder einmal bewusst, dass wir schlichtweg fast 40 Jahre auseinanderliegen. Meine Tochter und ich. In großen musikalischen Wellen gedacht, sind meine Freunde und ich am Ende doch wohl oder übel die Generation Grunge. Ich mag Billie Eilish und auch Harry Styles hören, verstehen und anerkennen wollen. Es bleibt die Musik ihrer Generation. Dann legte ich zuhause Nirvanas „In Utero“ auf. Nur für mich. Die Spezial-Edition zum 30-jährigen Jubiläum und schaute durch meine LPs. Ich glaube, selbst mein umfangreicher Vinyl-Katalog wird für meine Kinder eine Herausforderung in der Nachlassverwaltung. Wie die Münzsammlung meines Großvaters für mich.
Ich höre ohne Hanni und Bruno: Nirvana „In Utero“ (Geffen)