Das Stadt- & Stiftsarchiv lässt mit der Ausstellung POP AB tief in die Geschichte der Popkultur in Aschaffenburg eintauchen und startet zeitgleich ein digitales Archiv, an dem sich alle beteiligen können. Ein absolutes FRIZZ-Thema!
Die Ausstellung POP AB ist ein wirkliches Highlight in diesem Kulturjahr und das beileibe nicht nur für Musiker, Kulturarbeiter oder Nerds. Ganz im Gegenteil, diese Schau der heimischen Popkultur sollte gleich aus mehreren Gründen auf jedem To-Do-Zettel für diesen Sommer stehen, denn sie zeigt einen spannenden und vielfältigen Querschnitt durch die heimische Musik- und Liveeventszene ab der Nachkriegszeit und die vielen Projekte, die sich daraus entwickelt haben.
Unumstritten sind Aschaffenburg und die direkte Umgebung einer der am heißesten kochenden Töpfe in Sachen Popkultur im Freistaat, wenn nicht sogar bundesweit. Eine unglaublich große Anzahl an professionellen, semi-professionellen, Hobby- und Nachwuchsbands und -künstlern hatten und haben das Bayerische Nizza in ihrer Geburtsurkunde stehen, darüber hinaus verfügt Aschaffenburg über ein riesengroßes Aufgebot an Studios, öffentlichen und privaten Musikschulen mit deutschlandweitem Spitzenruf, Technikern und entsprechenden Firmen, Agenturen und zahlreichen weiteren Herzblutmenschen und Fachleuten rund um alle Themen vor, auf und hinter der Bühne. Einige Player der Szene sind auch weit über die Grenzen hinaus bekannt und haben das popkulturelle Leben in Aschaffenburg über Jahre und Jahrzehnte hinweg geprägt und beeinflusst.
Popkultur in Aschaffenburg: Ein kleiner Querschnitt
Und diese Liste geht weit über Namen wie Claus Berninger mit dem Colos-Saal oder Musiker, Mentoren und Masterminds wie Franz Ullrich oder Andy Kirchner hinaus. Eine vollständige Aufzählung würde sicher mehrere FRIZZ-Ausgaben alleine füllen, trotzdem seien an dieser Stelle mal ein paar stellvertretende Namen, Einrichtungen und Fakten erwähnt, die die Bandbreite der jahrzehntelangen Popkultur in good old Aschebersch als kleine Spitze des Eisbergs verdeutlichen könnten: Bands wie Toga und People waren vor vielen Jahren Vorreiter der musikalischen Exportschlager unserer Stadt, Acts wie Aloha From Hell stürmten die Charts, BoppinB’ halten über drei Jahrzehnte unsere Fahne quer durch die Republik hoch,
My Sleeping Karma, The Intersphere und die Metaller von Enemy Inside sind auf allen großen Festivals Stammgäste auf der Bühne, letztere bis hin zum Wacken Open Air. Auch bundesweit erfolgreiche Tributebands wie Echoes, One Step Closer, AB/CD oder die Music Monks haben hier ihre Heimat. Der Volksfestplatz hat schon so manche Welt- und Superstars wie Whitney Houston, Elton John, Wyclef Jean, Sean Paul oder James Blunt eine Bühne geboten und das Afrika-Karibik-Festival lockte Jahr für Jahr mehrere Zehntausend Besucher in die Stadt. Apropos Festival: Zahlreiche Formate aus allen erdenklichen Genres bereichern den Kulturkalender in der Stadt und drumherum jedes Jahr aufs Neue und auf dem KOMMZ spielten schon öfters (damals) noch weitestgehend unbekannte Acts, die ein paar Jahre später die ganz dicken Fische wie RIP, RAR oder das Southside headlinten. Mike Staab drehte mit Mysterious Arts und Magic Affair Anfang der 90er die Eurodance-Welt auf den Kopf, genauso wie die Indiehelden von UnterTagen zu Beginn der 2010er-Dekade mit einem DIY-Video die Millionenmarke auf Youtube knackten und anschließend erfolgreich auf Deutschland-Tour gingen. Natürlich kommen aus unserer liebsten Kleinstadt auch viele, unfassbar gute Instrumentalisten, die quasi schon immer mit der Creme de la Creme der bundesweiten Chartstürmer auf Tour sind. Aktuell stehen unter anderem bei Helene Fischer, Vanessa Mai, Gregor Meyle und dem TV-Erfolgsformat „Sing meinen Song“ ein paar Aschaffenburger im Line-up. Und auch hinter den Kulissen, in den Büros, Schaltzentralen und hardest working Reisegruppen der Popindustrie, haben zahlreiche Aschaffenburger ihren festen Platz. Eine stattliche Armee fachlich unangefochtener Licht-, Ton-, System- und Videotechniker lümmeln sich mit breitestem Ascheberscher Slang in den Nightlinern und Tourtrossen der angesagtesten Popacts des Landes, eine gute Handvoll Booker und Manager haben ihren Sitz in AB, der langjährige Pressereferent von DJ-Legende Sven Väth sitzt regelmäßig im Hannebambel, die Onkelz kommen aus Hösbach, der Entdecker von Thomas Gottschalk, Günther Jauch und Ricky Martin hatte jahrelang seine Agentur am Hauptbahnhof und mit Steffen Gerlach hat die Stadt Aschaffenburg weiland als bayerisches Leuchtturmprojekt einen eigenen Musikbeauftragten installiert. Von den ganzen Merch-Herstellern, Logistikern, Caterern, Grafikern, Instrumentenhändlern und Erfindern von Europas größtem Online-Musiker-Forum mal ganz zu schweigen …
Von der Ausstellung zum digitalen Archiv
Nochmal, das alles ist nur ein minimaler Abriss dessen, was die Popkultur „Made in Aschaffenburg“ seit den 1950er-Jahren so zu bieten hat. Die Initiatoren von POP AB, in Persona Dr. Joachim Kemper als Leiter des Stadt- und Stiftsarchivs der Stadt Aschaffenburg und Christian Hahn vom Büro für Erinnerungskultur in Babenhausen, haben also ein wahres Großprojekt auf die Beine gestellt, das den Startschuss für ein digitales Poparchiv darstellt, das unter Beteiligung der Gesellschaft zu einem echten Erinnerungsschatz wachsen soll. Hierzu gibt es im Rahmen der POP-AB-Schau auch einen Sammlungsaufruf an alle, ihre Geschichten, ihr Know-How oder ihre Devotionalien für das Archiv digitalisieren zu lassen. Oder, wie es Christian Hahn so schön zusammenfasst: „Archiv bedeutet ja nicht nur aufheben, sondern auch mit dem Inhalt präsent sein und Leute dafür begeistern. Daher ist auch die Ausstellung ein perfekter Weg, den Boden für ein von Bürgern gestaltetes digitales Archiv zu begründen.“
www.stadtarchiv-aschaffenburg.de/pop-ab-ausstellung
![Dr. Joachim Kemper & Christian Hahn Dr. Joachim Kemper & Christian Hahn](https://frizz-ab.de/downloads/54511/download/joachim-christian.jpg?cb=94133354c43f0cf983df459737234814&w={width}&h={height})
Dr. Joachim Kemper & Christian Hahn
Vier Fragen an die Initiatoren Dr. Joachim Kemper (JK) und Christian Hahn (CH) haben FRIZZ obendrein ein paar wichtige Fragen rund um POP AB beantwortet.
Warum ist es eurer Meinung nach an der Zeit, die Popkultur in Aschaffenburg zu porträtieren und zu archivieren?
JK: Wir sehen uns ja als offenes Archiv für alle Bürgerinnen und Bürger. Und eine Kernaufgabe ist eben auch, dass wir viele gesellschaftliche Bereiche abbilden und dokumentieren. Und die Arbeit an der Ausstellung hat ja auch gezeigt, wie viel Wissen, wie viele Geschichten, Fotos und vieles mehr bei den Menschen der Region vorhanden sind, oft zu ihrer eigenen „popkulturellen“ Vergangenheit. Über den Sammlungsaufruf erhoffen wir uns also noch viel mehr dieser Inhalte.
Aschaffenburg verfügt über eine vergleichsweise große und lange Geschichte der Popkultur. Nach welchen Gesichtspunkten wurden die
Inhalte ausgewählt, die im Rahmen der physischen Ausstellung präsentiert werden?
CH: Zuallererst muss ich feststellen, dass wir mit der Ausstellung natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit erheben können und daher einen möglichst bunten Querschnitt zeigen. Alles andere würde aufgrund des Umfangs und der Vielfalt auch gar nicht gehen und wäre für das Thema Pop aufgrund seiner Dynamik und Lebendigkeit auch der falsche Ansatz. Da wir historische Themen normalerweise umfassend und wasserdicht durchrecherchieren, war das für uns eher ungewohnt und wir mussten lernen, mit den Leerstellen umzugehen (lacht). Aber mir hat die Arbeit an POP AB einen Riesenspaß gemacht, ich habe mich mit so vielen tollen Leuten unterhalten, so viel interessante Musik und so viele wunderbare Geschichten gehört, die ich selbst noch nicht kannte. Und das ist auch ein Ziel der Ausstellung: Auch Leute, die sich in der Aschaffenburger Popkultur bewegen, mit Infos und Geschichten zu bereichern, die sie so vielleicht gar nicht auf dem Schirm hatten.
Zu welchem Zeitpunkt steigen die Ausstellung und das digitale Archiv ein?
CH: Wir beginnen die Ausstellung mit Pop als Massenphänomen in der Nachkriegszeit. Keine Angst, wir ordnen das jetzt nicht mit seitenlangen Texten historisch ein (lacht). Aber Pop hat im Sinne von Jugendkultur zu diesem Zeitpunkt in Aschaffenburg einen Anfang genommen.
Eure ganz persönliche Meinung: Wer oder was hat die Popkultur in Aschaffenburg maßgeblich beeinflusst und warum?
JK: Die Anwesenheit der US-Amerikaner, ganz klar! Und vor gar nicht so langer Zeit war es ja auch so, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Musikkultur, ja das Hören von Musik als Gegenkultur wahrgenommen wurde, viel mehr wie vielleicht heute. Auch lange Haare waren ja mal Ausdruck von Protest. Aber nochmal zum Anfang: Der Einfluss der US-Soldaten ist nicht zu unterschätzen, wie auch in anderen Städten und deutschen Regionen.