Foto: Till Benzin
VIOLINE TRIFFT KEYS
Da hat unser Mucker-O-Mat diesmal eine ganz wunderbare Paarung ausbaldowert. Spannende Frage wieder: Kennen sich Daniela Reimertz, Full-Time-Violonistin in zahlreichen Projekten und Gründerin der Formation La Finesse, und Jürgen Wüst, Deutschsoul-Papst und Gesicht, Gründer, Tastenmagier und Stimme der Houzeband, bereits? Wie immer wussten beide im Vorfeld nicht, mit wem sie sich unsere Couch teilen dürfen. Die Antwort: Sie kannte ihn vom sehen, er hatte just einen Tag vor dem Zusammentreffen Daniela via facebook-Vorschlagsliste geaddet.
FRIZZ Das Magazin: Jürgen, wie war der Urlaub?
Jürgen: Sehr schön! War unter anderem drei Wochen in Peru.
Daniela: Echt? Bist du auch den Inka-Trail gelaufen?
J: Nee, aber ich hab das fest vor, irgendwann mache ich das mal!
D: Nur zu empfehlen! Aber auch nicht ohne – wir waren in einer gemischten Gruppe unterwegs und je höher wir kamen, desto mehr hat sich die Spreu vom Weizen getrennt.
J: Wir haben in Aschaffenburg eine Freundin, die ist Peruanerin und hat in Peru ein Hilfsprojekt gegründet. Das haben wir uns unter anderem mal live vor Ort angeschaut.
D: Finde ich toll, wenn man sieht, dass Hilfe direkt vor Ort ankommt. Wir organisieren ja jedes Jahr Klassik-Crossover-Benefizkonzerte für die Kinderkrebsstation in Würzburg und haben in den vergangenen Jahren insgesamt über 700.000 Euro zusammenbekommen. Mir ist dabei sehr wichtig, dass alle Erlöse ungefiltert am Ziel ankommen. Jetzt haben wir aber noch keinen Ton über Musik gesprochen!
J: Kein Problem! Denn die peruanische Musik an sich … (springt mitten im Satz auf, holt eine Kreuzung aus Ukulele und Gitarre aus seiner Tasche und beginnt darauf zu spielen) Das ist eine Charango! Habe ich mir dort direkt gekauft. Bin nämlich ein Jäger und Sammler (lacht)!
D: Bist du Gitarrist?
J: Nein, eigentlich Keyboarder und Sänger. Aber ursprünglich hab ich mal mit der Gitarre angefangen. Und neben meinen ganzen Tasteninstrumenten auch eine Sammlung an ganz vielen anderen Instrumenten daheim. Du spielst Geige, richtig?
D: Ja, genau!
J: Eine Geige habe ich auch. Aber wir kommen musikalisch wohl aus anderen Welten …
D: Ja, ursprünglich schon, wobei wir ja mit La Finesse auch viel Richtung Pop gehen. Das ist wirklich eine interessante Sache, denn viele Klassiker haben mit Pop große Probleme, denn da geht’s ja auch darum, perfekt auf einen Beat zu spielen. Ich musste das auch erst ganz neu lernen.
J: Stimmt, die Erfahrung habe ich auch schon gemacht! Ich hatte einige Schüler mit klassischer Vorbildung, die irgendwann vom Klavier total frustriert waren, weil sie nicht weitergekommen sind. Die sind mit den spezifischen Anforderungen im Pop nicht klargekommen und konnten teilweise noch nicht mal Tonarten raushören. Mit denen eine Nummer wie „Let it be“ zu machen, war unmöglich.
D: Das ist ein Grundproblem der klassischen Ausbildung. Eine Öffnung zu anderen Richtungen gibt es nicht.
J: Eine fast schon autistische Blickweise. Da studierst du Klassik und bist technisch auf einem viel höheren Level …
D: … und scheiterst dann im Pop an den einfachsten Dingen. Ich weiß, was du meinst. Bei uns haben fantastische Klassiker vorgespielt, das waren wirklich Hammermusiker. Konnten aber leider nicht zu einem Beat spielen.
Gibt es da keine Möglichkeit von der Ausbildungsseite her, das zu ändern?
J: Im Pop schon – Stichwort Musikakademien.
D: In der Klassik nicht wirklich. Leute wie David Garrett oder Nigel Kennedy tun schon viel bezüglich der öffentlichen Wahrnehmung, aber an der Basis – den Musikhochschulen – tut sich diesbezüglich viel zu wenig.
J: Wo kommst du musikalisch her?
D: Mein Vater war auch Berufsmusiker und hat unter anderem die Posaune auf den Touren von Marianne und Michael gespielt.
J: Ja sauber!
D: Ich habe zuerst Klavier gelernt und bin über meinen Opa dann zur Geige gekommen. Ich bin in der Nähe von Schweinfurt auf einem Hof aufgewachsen, dort hatten wir eine Scheune, die zur Veranstaltungslocation umgebaut wurde. Da bin ich manchmal aufgetreten und habe mich da – auch bereits zu Zeiten des Studiums – in Richtung Pop orientiert. Und wie war’s bei dir?
J: Meine Hobbys sind schwimmen, malen, lesen … (alle lachen) Nein im Ernst, bei uns in der Familie war keiner Musiker. Ich fand als Junge so Sachen wie Led Zeppelin und Deep Purple toll und habe dann irgendwann Gitarre gelernt – so wie jeder damals. Im SMV-Zimmer meines Gymnasiums stand ein Klavier, da habe ich in Freistunden immer drauf rumgedödelt. Dieses Instrument hat mich nicht mehr losgelassen und ich habe mir alles selber beigebracht. Ich hatte damals keine Ahnung von Noten und kann die auch heute nur sehr langsam lesen. Aber improvisieren konnte ich schon immer gut.
Könnte man sich die Geige auch selbst beibringen?
D: Nee, ich denke nicht, das ist relativ komplex.
J: Bei manchen Popinstrumenten ist manchmal das Gefühl, die Produktion oder der Glamour wichtiger als das Können. Das geht bei der Geige nicht!
Ist Aschaffenburg ein guter Standort für Berufsmusiker?
J: Für mich persönlich super! Das Rhein-Main-Gebiet bietet viele Locations und ein sehr interessiertes Publikum. Für eigenes Material wäre Hamburg oder Berlin als Homebase vielleicht besser, aber ich bin in Aschaffenburg total glücklich!
D: Kann ich komplett so unterschreiben. Nur die Baustellen nerven (alle lachen)!
J: Dass die Region hier so eine große Szene hat, liegt vielleicht auch an den Amis. Die haben damals neue Musik und neue Möglichkeiten hierher gebracht. Und dann trägt natürlich der Colos-Saal seinen Teil dazu bei …
Habt ihr eure Berufswahl schon mal bereut?
D: Nee, aber du musst dafür geboren sein, denn die Tage bestehen nicht nur aus Musikmachen. Das Leben eines Berufsmusikers hat auch viel mit Struktur, Disziplin und Orga zu tun. Viel Üben ist bei mir nicht mehr, dafür umso mehr Bürozeit. Das bekommst du aber beim Klassikstudium nicht vermittelt.
J: Das ist im Pop inzwischen anders, die modernen Akademien bereiten dich diesbezüglich schon auch aufs Berufsleben vor. Aber Daniela hat Recht, das können oder wollen nicht alle. Ich kenne einige Talente, denen ich das Berufsmusikerdasein aus diesen Gründen nicht empfehlen würde.
Quickies: Habt ihr ein bestimmtes Ritual vor einem Auftritt?
D: Nein, nicht wirklich.
J: Nein. Ich sollte mich warmsingen – mach ich aber nicht.
Was war eure erste Platte?
J: Emerson, Lake and Palmer: „Pictures at an Exhibition“.
D: Oh Gott, jetzt habt ihr mich erwischt! Eine Platte von Nicky! Hab ich mir von meinen Eltern gewünscht …
Daniela Reimertz lernte ab dem achten Lebensjahr Violine, gewann zahlreiche Preise, war Stipendiatin des Würzburger Hermann-Zilcher-Konservatoriums und absolvierte 2004 ihre Diplomprüfung. Neben ihrer Arbeit als Solokünstlerin gründete sie unter anderem das weibliche Streichquartett La Finesse, mit dem sie deutschlandweit unterwegs ist und regelmäßig die Grenze zwischen Klassik und Pop durchbricht. Sie begleitete namhafte Künstler auf der Bühne und hat 2004 ihre erste Solo-CD veröffentlicht – zahlreiche Studioproduktionen folgten.
Seit über 30 Jahren ist Jürgen Wüst als Keyboarder und Sänger aktiv. Vom Autodidakt geht sein Weg zum Bandleader der legendären Houzeband, die mit Gästen wie Ayman, Lucy Diakovska, Mike Leon Grosch und vielen anderen Woche für Woche begeistert. Er wirkte bei über 35 Alben als Musiker mit – unter anderem für Edo Zanki, Rodgau Monotones und Jule Neigel –, teilte sich die Bühne mit Elton John, Toto und Whitney Houston, spielt in den verschiedensten Formationen Gigs quer durch Europa und arbeitet parallel dazu an seinem zweiten Soloalbum.