
Foto: Till Benzin
Das Experiment: Haben sich ein eingefleischter Jazzer und ein überzeugter Heavyrocker überhaupt etwas zu sagen? Auf der einen Seite Peter Linhart, der erst jüngst mit seiner Jazzbigband ein musikalisch anspruchsvolles Publikum im Stadttheater beglückte, auf der anderen Seite Chris Heun, der nicht wenig Zeit seines Lebens mit diversen Metalbands im Nightliner und auf Bühnen europäischer Rockclubs verbrachte. Vorab: Es kam alles anders.
Irgendein Mittwoch, 19.30 Uhr. Die FRIZZEN treffen sich mit Chris Heun, um mit ihm zu seinem „Blind Date“ zu fahren. Kurze Zeit später stehen wir vor dem Haus von Peter Linhart. Peter empfängt uns freundlich: „Wenn ihr Lust habt, können wir ja nach dem Interview noch was essen gehen!“. Wir haben Lust. Aber erst Gespräch und Bier auf der Linhartschen Couch.
FRIZZ Das Magazin: Kennt ihr euch?
Peter Linhart (P): Nö. Ist das jetzt schlimm?
Chris Heun (C): Ich kenne Peter vom Namen her. Ein Bekannter von mir hatte mal Unterricht bei ihm.
(Es entwickelt sich sofort eine angeregte Plauderei über gemeinsame Bekannte, die gute alte Zeit damals, den Syrienkonflikt und die richtige Trinktemperatur von Weizenbier.)
Wie und wann seid ihr zu eurem Instrument gekommen?
P: Das war Zufall. Als 17-Jähriger hatte ich viel mit der damals sehr angesagten Band Voice zu tun. Als mir der Gitarrist in einer Bierlaune ein altes Saxofon für 300 Mark angebot, habe ich zugegriffen in der Hoffnung, im Handumdrehen Musiker zu sein. Mit viel Motivation und jahrelangem Unterricht hab ich es dann bis auf die Musikhochschule Köln geschafft.
C: Durch meinen Opa bin ich zu allererst auch mit dem Saxofon in Berührung gekommen, hab das aber auch genauso schnell wieder sein lassen. Meine erste große Liebe galt dem Schlagzeug, leider auch ohne großen Erfolg. Eine Freundin hat mich dann auf Gitarrenunterricht in Aschaffenburg aufmerksam gemacht – dann nahm das seinen Lauf. Schon zu Schulzeiten hab ich bei Lanzer mitgespielt, da ging’s direkt vom Abi zum Plattenvertrag und mein Weg war entschieden.
P: Nach dem Verlassen der Hochschule – wie damals alle ohne Abschluss – musste ich schnell feststellen, dass du vom Jazz nicht leben kannst. Ich hab’ sogar bei Kölner Karnevalbands mitgespielt. Grauenhaft, aber irgendwie mussten die Flocken beikommen. Heute ist das zum Glück anders.
C: Da hast du es im Rockbereich leichter, auch weil die Musiker flexibler sind. Es gibt das Vorurteil, dass Jazzer gegenüber dem Kommerz abgeneigt sind, was ich nicht verstehen kann.
P: Da gibt es tatsächlich welche, die sich nicht verbiegen lassen wollen und das finde ich auch OK so. Ich persönlich zähle mich aber nicht dazu. Mit der Darmstädter Bigband erarbeiten wir gerade ein Programm mit Stücken von Genesis und Phil Collins. Zugegeben, die haben mich dazu erst überreden müssen. Aber mittlerweile komme ich da immer mehr an und fühle mich sogar fast wohl (lacht).
C: Wenn ich nicht offen wäre gegenüber Neuem hätte ich –
gerade als Lehrer – ein Problem, denn das, was mir persönlich gut gefällt, finden die Kids von heute uncool. Blues, AOR - da käme ich nicht weit mit …
P: Also bist du quasi ein Jazzer unter den Rockern?
C: Nicht wirklich (lacht). Man muss schon drauf schauen, wofür es Publikum gibt. Ich war mal mit einem Mantra-Sänger auf Tour. Da war das Motto „Hauptsache mehr Besucher als Musiker“. Irgendwann hatten wir mal drei Zuschauer – auch sowas kann vorkommen.
P: Wir haben mit der Bigband in Heppenheim auch mal vor drei Leuten gespielt …
(Inzwischen ist es 21.49 Uhr. Das mit dem Essen hat sich wohl erledigt. Denn das Gespräch dreht sich inzwischen auch um Strömungen im Jazz und Rock, den bemerkenswerten Begriff der „geführten Demokratie“ in Sachen interner Bandstruktur, Kostenexplosion bei Studioproduktionen und das Problem mit dem Fußgeruch in Nightlinern …)
C: Wie bist du überhaupt zum Jazz gekommen, Peter?
P: Witzigerweise über die Rockschiene. Lange Stücke fand ich schon immer cool, also Sachen von Cream, Pink Floyd und so. Irgendwann hab ich dann mal eine Scheibe von John Coltrane in die Hand bekommen. Und siehe da, dessen Nummern waren noch viel länger – auch wenn mir der Style anfangs überhaupt nicht gefallen hat. Dann bin ich auf Pat Metheny gestoßen und der hat mich geknackt. Einer meiner großen Helden!
C: Aber John Coltrane findest du heute schon gut, oder?
P: Tierisch! Das hat aber auch zehn Jahre gedauert!
C: Carlos Santana hat angeblich auch Jahre gebraucht, um
„Love Supreme“ von Coltrane überhaupt zu verstehen. Damit hat er mir was voraus – ich hab’s bis heute nicht kapiert.
P: Du hast Jazzplatten?
C: Sogar viele! Den Jazzgitarristen Al Di Meola verehre ich.
Platten sind ein gutes Stichwort. Man spielt sich gegenseitig Material vor. Peter zeigt Mitschnitte der A’burger Jazzbigband mit Stargast Martin Scales bei einem Pat-Metheny-Special.
C: Abgefahrenes Zeug! Würde ich aber niemals spielen wollen!
Danach kommt Chris’ letztes Projekt Razorback zur Audition. Amtlicher Heavyrock mit messerscharfen Riffs, viel Doublebass und der obligaten Herzschmerz-Ballade.
P: Handwerklich sauber und sehr gut produziert. Aber nicht meine Musik! Rock und Pop sind für mich zu berechenbar.
C: Hm, ein Stück weit hast du vielleicht sogar Recht. Ein Schüler fragte mich neulich, warum Rocksongs immer nach dem Schema Strophe-Bridge-Refrain-Strophe-Bridge-Refrain aufgebaut sind. Und soll ich dir was sagen? Ich hatte nicht wirklich eine Antwort darauf …
Abschließend ein Spiel: lieber auf der Bühne/im Studio mit …
… Beatles oder Stones?
Beide: Beatles!! Überhaupt keine Frage!
… Helene Fischer oder Dieter Thomas Kuhn?
C: Schwer! Ich glaub’, ich hätte mehr Spaß mit Herrn Kuhn.
P: Ich entscheide mich auch fürs Chaos: DTK!
… DJ Bobo oder Sven Väth?
C: Sven Väth! Wäre reizvoll …
P: Sven Väth, obwohl mir der Name nicht viel sagt.
… Bob Marley oder die Busters?
C: Bob Marley! Find ich geil!
P: Nein! Reggae mag ich so gar nicht! Ich nehm die Busters. Die Musik ist zwar auch nicht meins, aber die Jungs kenne ich zum Teil und finde die super!
(Es ist 0.30 Uhr. FRIZZ unterbricht eine Gesprächsrunde, die wohl noch bis zum nächsten Morgen gedauert hätte. Man lädt sich gegenseitig zur Fortführung ein, dann aber mit Kochen und Weinprobe! Höchstwahrscheinlich haben wir eine Freundschaft fürs Leben gestiftet. Ein gutes Gefühl!)
Der Gitarrist und Bassist Chris Heun betreibt in Kleinwallstadt eine private Gitarrenschule und hat im Laufe seiner Karriere in unterschiedlichen Formationen gespielt, an zahlreichen Studioproduktionen mitgewirkt und mit Musikern von Accept, U.D.O., Whitesnake, Yngwie Malmsteen, Cradle of Filth und vielen anderen zusammengearbeitet. Mit den Combos Majesty und Razorback war er zuletzt auf ausgedehnten Tourneen in Europa unterwegs.
Der Obernburger Saxofonist Peter Linhart gehört nach übereinstimmender Meinung zu den besten Instrumentalisten des Rhein-Main-Gebiets und darüber hinaus. Aktuell arbeitet er als Instrumentaldozent und leitet mehrere Jazzbigbands und Ensembles. In seiner Vita stehen Koops und Konzerte mit Mike Stern, Earnie Watts, Charlie Mariano, Peter Herbolzheimer, Wolfgang Dauner, Till Brönner und vielen anderen.