Über 30.000 Besucher, im wahrsten Sinne des Wortes aus aller Welt, lockt das Fest „Brüderschaft der Völker“ (FBDV) jedes Jahr für drei Tage auf den Aschaffenburger Volksfestplatz. Kein Wunder, denn hier feiern unter der Führung des Stadtjugendrings (SJR) über 120 Gruppen, Vereine und Jugendorganisationen friedlich und partnerschaftlich sich selbst, die anderen und das Leben.
Unabhängig von ethnischer Herkunft, Religion, Hautfarbe oder sonstigen Eigenschaften haben sich diese drei magischen Sommertage zu einem Familien- und Freundefest entwickelt, bei dem man ohne Konventionen einfach man selbst sein kann. Und auch 2020 hätte es alles wieder so schön werden können am Mainufer, wenn nicht Corona uns allen einen fetten Strich durch alle Rechnungen gemacht hätte. Grund genug, sich mit den führenden Köpfen des FBDV, Andi Hefter (Bild rechts) und Elisa Narloch (Bild links), zu treffen, um die aktuelle Situation mal durchzuschnacken. Inklusive Sicherheitsabstand und leckerem Kaffee.
Erleichterung & einen Schnaps
Für die beiden ist das Fest mehr als eine Herzensangelegenheit – professionell wie privat. Andi, die hauptberuflich die Themen Partizipation, Inklusion und interkulturelle Arbeit beim SJR leitet, ist das Brüderschafts-Urgestein und wird von der Festfamilie konsequent als „Sonne“ bezeichnet. Nuff said. Elisa ist die Vorsitzende des SJR-Vorstands und hat eine Bilderbuch-Festkarriere vorzuweisen: begeisterte Besucherin – erste Mitwirkungen – Praktika – Radio Klangbrett – BDKJ – SJR – Vorstand. Mit dem Gedanken an eine Absage haben sie sich bereits Ende März beschäftigt. So schmerzlich die ausgemalten Bilder eines Sommers ohne FBDV auch waren, musste eine Deadline her, um im Fall der Fälle eine (Rück-)Abwicklung so geordnet wie möglich angehen zu können. Bis Ende April war es ein Pendeln zwischen Hoffen und Bangen. Als dann die Entscheidung fiel, das Fest abzusagen, war es trotzdem ein Schock. Und zwar einer dieser Art, bei dem man erstmal einen Schnaps braucht, wie uns Andi schildert. Was allerdings nie zur Debatte stand, wäre ein Fest mit Auflagen oder Beschränkungen gewesen. „Das hätte in jedem Falle allem widersprochen, für was das Fest steht: Begegnung, Nähe, Interaktion“, meinen Elisa und Andi übereinstimmend dazu.
280 x Danke
Doch Andi Hefter wäre nicht Andi Hefter, wenn sie nicht relativ schnell eine wunderbare Methode gegen ihren persönlichen Absagefrust gefunden hätte: Sie suchte die schönsten Bilder und Motive vom Fest zusammen, ließ daraus Grußkarten drucken und machte sich an die Arbeit. 280 (!) Karten hat sie geschrieben, an Helfer, beteiligte Gruppen, Jugendverbände, Sponsoren, Zulieferer und Freunde des FBDV. Alle handschriftlich und individuell. Den Grundtenor fasst sie mit „Hey, wir denken an euch und wünschen euch alles Gute in dieser verrückten Zeit. Und nächstes Jahr machen wir einfach alles nochmal geiler als jemals zuvor“. Und der Rücklauf? „Sensationell!“, meint Andi und erzählt uns von emotionalen Antworten auf die Karten aus allen Bereichen. Eine Aktion, die kaum treffender den Spirit dieses Fests und den Zusammenhalt transportieren kann.
Elisa ergänzt, dass „im März jedes Jahres alle Jugendverbände ihre Jahresabfrage abgeben müssen. Eine Art Tätigkeitsbericht, bei denen Gruppenstunden, Workshops, Beteiligungen und weitere Aktivitäten dokumentiert werden. Und bei fast allen stand die Beteiligung beim FBDV als absolutes Highlight an allererster Stelle“. Ein weiteres Zeichen für den gesellschaftlichen Stellenwert des Fests. Nicht wirklich verwunderlich, wenn man sich anschaut, mit welchem Eifer die Nachwuchsorganisationen von BRK, Feuerwehr und Pfadfindern über KJG, evangelische Jugend, Naturschutzjugend, rAinBows und den zahlreichen Migrantenverbänden bis hin zu Radio Klangbrett und den diversen Jungendhäusern und -treffs an der inhaltlichen Ausgestaltung mitarbeiten und ihren Beitrag zur Weiterentwicklung leisten.
Apropos Weiterentwicklung
Der richtige Zeitpunkt im Text, einen Blick auf das zu werfen, was in diesem Jahr neu gewesen wäre. Im Mittelpunkt dieser Überlegungen hätte das Zukunftszelt gestanden, das seit acht Jahren als Plattform für Workshops, Vorträge, Präsentationen und Aktionen dient. Mit dem Team des Zukunftszelts fanden bereits zwei Workshops statt, um selbiges weiterzuentwickeln. Und die Ideen waren weit gediehen, mit der Einbindung von Institutionen wie dem Jugendparlament oder beispielsweise Fridays For Future hätte das Zelt die Funktion einer Austauschplattform für jugendrelevante Themen einnehmen sollen. Passend dazu hat der SJR darüber nachgedacht, seinen eigenen Stand auch hierhin zu verlagern. Hintergedanke: Da Zukunft immer Bewegung bedeutet, sollte auch im Zukunftszelt mehr Bewegung sein.
Andis und Elisas Wunschzettel
Auch wenn Corona den sonst so mitreißenden Drive in den Planungsrunden vorübergehend gekillt hat, füllt sich der Wunschzettel der beiden Macherinnen. „Unser größter Wunsch wäre es natürlich, noch vor der Sommerpause mindestens einmal die große Runde mit allen teilnehmenden Gruppen zusammenkommen zu lassen. Aber das ist wohl aktuell nicht möglich. Dafür gehen wir dann nach der Sommerpause wieder in die Vollen“, zeigen sich beide optimistisch. Ein weiterer Wunsch wäre es, wenn sich zukünftig mehr Sportverbände und -vereine mit ihren Jugendabteilungen beteiligen würden. Schließlich ist Sport mit seiner integrativen Grundeigenschaft ein perfektes Thema für ein Fest, das auch 2021 wieder wie kein zweites für Völkerverständigung, Integration und das Bauen von Brücken stehen wird.
Bis dahin hat sich Andi aber noch ein neues Projekt ausgedacht: Eine Dokumentation der letzten zehn Jahre Fest „Brüderschaft der Völker“ mit Porträts der einzelnen Jugendverbände soll als Broschüre erscheinen und belegen, wie sich die Jugendarbeit bei den Teilnehmern durch das Fest weiterentwickelt hat. Zudem macht so eine Broschüre eines sichtbar: Die Identifikation der Vereine mit dieser wunderbaren, kulturellen Institution dieser Stadt. Weil sie alle eines feiern: die Vielfalt.
Vielen Dank für alles, liebe Andi und Elisa, wir freuen uns einfach schon mal auf 2021!