Umgehend kam ein Statement von Stefan Schornstein, Chef der in Schaafheim ansässigen und im gesamten deutschsprachigen Raum agierenden S-Promotion Event GmbH, der sich klar und deutlich dagegen positionierte.
Die Kultur ist in der Dauerkrise, so weit, so oft besprochen. Seit ziemlich genau einem Jahr liegt einer der größten Wirtschaftsfaktoren des Landes im künstlichen Koma – und versprochene staatliche Hilfen entpuppen sich immer wieder als heiße Luft. Jetzt, da die Impfstrategie so langsam ein wenig in Schwung kommt, sieht unter anderem auch die Entertainmentbranche wieder ein kleines, blasses Lichtlein am Ende des Tunnels. Doch stellt sich die Frage, wie man in naher Zukunft mit geimpften und (noch) nicht geimpften Personen umgeht.
FRIZZ Das Magazin: Hi Stefan, wo erwischen wir dich gerade?
Stefan Schornstein: Ich bin gerade auf dem Rückweg aus Mannheim, wo ich mir ein digitales Studio angesehen habe. Wir planen aktuell eine dauerhafte Produktion mit einem sehr bekannten Künstler und deswegen war ich dort. Das heißt natürlich nicht, dass wir das Livesegment ersetzen wollen, aber wir werden natürlich die zuletzt gesammelten Erfahrungen nutzen, um in Zukunft auch andere Formate voranzutreiben und uns somit breiter aufzustellen.
Neue Erfahrungen, gutes Stichwort. Seit ziemlich genau einem Jahr habt ihr dazu ja quasi mehr Zeit, als euch lieb ist. Wie ist der Status Quo im Hause S-Promotion?
Also uns geht’s verhältnismäßig gut, die Betonung liegt aber auf „Verhältnis“. Wir profitieren im Moment allein davon, dass wir uns in den letzten Jahren sehr konservativ aufgestellt haben und somit ein bisschen mehr Luft zum Atmen haben. Von den versprochenen staatlichen Hilfen ist bisher nur das Geringste angekommen, das hat bei weitem nichts mit den Summen zu tun, die von Regierungsseite immer propagiert werden. Ein Hoffnungsschimmer waren in den vergangenen Monaten die Online-Events, die wir beispielsweise mit den Ehrlich Brothers aus dem Boden gestampft haben und bei denen die Zuschauer zuhause im Wohnzimmer mit den Künstlern zaubern konnten. Wir haben sehr viel Geld in die Entwicklung und die Werbung gesteckt, aber das hat sich am Ende gelohnt. Wir konnten 30.000 Streamings verbuchen und das hat sowohl uns als auch den Künstlern ein wenig Luft verschafft. Viel schlimmer sieht es allerdings bei vielen Kollegen, Dienstleistern und Subunternehmern aus. Unser Hauscaterer beispielsweise, mit dem wir 25 Jahre zusammengearbeitet und unter anderem die ganzen Mario-Barth-Tourneen gemacht haben, ist bereits im letzten Frühherbst Konkurs gegangen. Eine unfassbar schwierige Zeit für die gesamte Branche, schau dir alleine die Situation in unserer Region an. Institutionen wie Gully, Colos-Saal oder vergleichbare Locations in Frankfurt leben größtenteils nur noch durch Spenden. Wir alle haben in den letzten Monaten immer das gleiche „noch mal einen Monat, noch mal zwei Wochen, noch mal vier Wochen“ gehört und immer wieder zumindest auf eine Perspektive gehofft. Aber diese Perspektive gibt es immer noch nicht.
„Wir konnten 30.000 Streamings verbuchen und das hat sowohl uns als auch den Künstlern ein wenig Luft verschafft.“
Ihr habt euch eine Position als großer Player in eurem Kerngenre Comedy und Kabarett erarbeitet, was natürlich aber auch zu einem Wachstum der internen Strukturen geführt hat. Betrachtest du eure aktuelle Aufstellung in der jetzigen Situation eher als Segen oder Fluch?
Man muss ganz klar sagen, dass allein unsere konservative Arbeitsweise zu dem Fundament geführt hat, das uns gerade am Leben erhält. Mit allen Sparten haben wir 36 Mitarbeiter in Festanstellung und die wollen wir auch alle behalten. Allein das kostet uns einen siebenstelligen Betrag, das Geld ist weg und das ist einfach Fakt. Dazu kommt noch die Problemstellung, dass wir noch 500.000 Tickets im Umlauf haben für zum Teil bereits dreifach verschobene Events, die ja auch erst mal „abgespielt“ werden müssen. Im Unterschied zu anderen Wettbewerbern im Ticketmarkt sind wir mit Printyourticket allerdings durchgehend für unsere Kunden ansprechbar und haben bereits im März vergangenes Jahres, übrigens zwei Monate bevor Eventim oder Ticketmaster überhaupt mal reagiert haben, auf eigene Kosten eine Tauschplattform aufgelegt, wo die Ticketbesitzer bei Bedarf auf andere Veranstaltungen umtauschen können. Es gibt hier ja eine klare Gesetzgebung – und wir sind gefühlt die einzigen, die das nach außen vertreten. Natürlich ist es verständlich, dass die Leute wissen wollen, was mit ihren Tickets passiert, aber du machst dir keine Vorstellung davon, was unsere Mitarbeiter in den letzten Monaten an Beleidigungen einstecken mussten.
Meiner persönlichen Auffassung nach habt ihr euch in den vergangenen Monaten mit öffentlichen Statements zur Lage der Veranstaltungswirtschaft im Vergleich zu anderen eher zurückgehalten …
… nein, da muss ich dir klar widersprechen. Wir haben von März bis Ende Juni 2020 eigentlich regelmäßig Statements veröffentlicht, ich habe in verschiedenen Panels gesessen, habe mich mit der hessischen Ministerin für Wissenschaft und Kunst in der Centralstation getroffen, wir haben die Demonstration an der Jahrhunderthalle in Frankfurt organisiert, bei der 16 Künstler aufgetreten sind und Kamerateams aus aller Welt anwesend waren und insgesamt eine ganz klare Meinung vertreten. Du spielst wahrscheinlich auf die Zeit ab Herbst an, zu der wir uns etwas zurückgenommen haben. Aber irgendwann wirst du müde, wenn du zunehmend merkst, dass du eigentlich als Einzelkämpfer agierst. Wir haben das Riesenproblem, dass wir keine Lobby haben – und das wird sich nicht ändern, wenn jeder alleine für sich kämpft. Sieht man aktuell auch wieder beim Thema Eventim, da waren wir die einzigen, die dazu überhaupt ein Statement abgegeben und sich klar positioniert haben. Eigentlich ein Armutszeugnis.
Wie ist die Rolle der öffentlichen Hand in dieser Situation?
Die ganzen Städte müssten ja eigentlich durch die beachtliche Wertschöpfung ein riesengroßes Interesse daran haben, dass Kultur wieder schnellstmöglich stattfinden kann. Wir reden da von durchschnittlich 30 Euro pro Person, die jeder Besucher zusätzlich zum Event durch Parkhaus, Restaurant, Hotel, externer Gastro etc. in der Stadt lässt. (Anm. d. Red.: Was das alleine bei einer einzigen Veranstaltung in einer mit über 3.000 Leuten ausverkauften f.a.n. frankenstolz Arena dann folglich bedeutet, darf sich jeder selber ausrechnen.). Bei den ganzen Veranstaltungen pro Jahr allein in einer Stadt wie Aschaffenburg bedeutet die Livekultur eine massive Wertschöpfungskette. Und dass das trotz bestehender und funktionierender Konzepte einfach alles weggebügelt wird, irritiert mich sehr.
Apropos funktionierende Konzepte: Wir haben am 19.9. im Düsseldorfer ISS-Dome vor 3.100 Besuchern die Ehrlich Brothers mit Maske und ohne Abstand veranstaltet. Das haben wir gerichtlich erstritten, komplett dokumentiert und es hat nachweislich alles super funktioniert. Wir werden das auch vom Herrn Streeck noch medizinisch beurteilen lassen, aber leider wird dessen Expertise hierzulande nicht beachtet.
„Aber irgendwann wirst du müde, wenn du zunehmend merkst, dass du eigentlich als Einzelkämpfer agierst.“
Du hast die Eventim-Thematik schon angesprochen. Sie haben die Möglichkeit in den Raum geworfen, geimpfte Personen bei der Vergabe von Tickets zu bevorzugen. In eurer entsprechenden Pressemitteilung wendest du dich entschieden dagegen und appellierst an die politisch Verantwortlichen, Möglichkeiten zu finden, dass alle Ticketkäufer Veranstaltungen besuchen können. Beispielhaft nennst du Schnelltests, Maskenpflicht, Abstände, Konzepte. Vieles davon wurde schon erfolgreich erprobt, Studien belegen die Wirksamkeit solcher Ansätze. Kommst du dir schlicht verarscht vor?
Natürlich fühlen wir uns verarscht, da wir selbst mit den nachweisbar funktionierenden Konzepten permanent gegen Wände laufen. Wir haben zwei Anwaltskanzleien beschäftigt, aber aufgrund des Infektionsschutzgesetzes haben auch die Richter aktuell de facto kaum noch Möglichkeiten, selbst etwas zu entscheiden. Das Gesetz kann frühestens zum 30.6. auslaufen und dann bekommen wir vielleicht wieder eine andere Rechtslage. Jetzt kommen Eventim und unsere Justizministerin Frau Lambrecht auf die Idee, dass Geimpfte früher Zugang zu Veranstaltungen erhalten sollen. Da frage ich mich zuerst mal, wer denn bis zum Sommer geimpft ist? Maximal die über 60-Jährigen! Und was ist mit den ganzen jüngeren Menschen, die auch alle raus wollen? Die haben schon über ein Jahr ihres gesellschaftlichen Lebens verloren und die werden sich im Sommer nicht mehr länger einsperren lassen. Da muss es, gerade von Seiten der Politik, Möglichkeiten geben wieder Events durchführen zu können. Darüber hinaus geht der Eventim-Vorschlag alleine schon aus Datenschutzgründen nicht, da geht es um gesundheitliche Infos über unsere Besucher, die uns nichts angehen dürfen.
Wenn es eine entsprechende Gesetzgrundlage gäbe, hätten wir so etwas wie eine indirekte Impfpflicht. Würdest du das Spiel mitmachen oder geht dir das prinzipiell gegen den Strich?
Nein, und das aus Prinzip. Ich kann und will nicht irgendwelchen Leuten den Zugang zu Veranstaltungen verwehren. Erstens sind derlei Überlegungen wirtschaftlich überhaupt nicht machbar, weil da Auslastungsquoten im Raum stehen, die überhaupt nicht sinnvoll abbildbar sind. Zweitens: Was machen wir mit den Leuten, die überhaupt kein Impfangebot bekommen haben oder aufgrund Allergien oder sonstigen Vorgeschichten überhaupt nicht geimpft werden dürfen? Lassen wir die zukünftig alle daheim und schließen sie vom gesellschaftlichen Leben aus? Das kann doch nicht wirklich der Ernst der Entscheider sein. Die Eventim-Gedankenspiele werden im Moment vielleicht auch propagiert, um die Impfbereitschaft hochzutreiben, aber als langfristiges Konzept ist das völlig unrealistisch. Drittens würden die Ticketkäufer völlig zu Recht auf die Barrikaden gehen. Wir reden hier gerade über Livecomedy, aber denk mal alleine an Fußball. Erklär mal der Dortmunder Südtribüne, dass da jetzt nur noch Geimpfte stehen dürfen. Viel Spaß! Wenn du das mal weiter denkst, merkst du relativ schnell, dass unsere Politik eigentlich völlig planlos agiert, was den Kultur- und Live-Eventbereich betrifft.
„Erklär mal der Dortmunder Südtribüne, dass da jetzt nur noch Geimpfte stehen dürfen.“
Wird ein Teil der Zuschauer Social Distancing derlei verinnerlicht haben, dass sie auch nach Corona größere Veranstaltungen meiden werden?
Das glaube ich grundsätzlich nicht. Es wird in allen Zielgruppen eine Übergangszeit geben, klar. Aber der größte Teil wartet sehnlichst darauf, dass es endlich wieder losgeht. Ich bin ja prinzipiell Optimist und glaube schon, dass wir ab Mai in ganz strengen Rahmen kleine Events veranstalten können. Und hoffentlich ab Juli auch größere Sachen in Angriff nehmen. Dabei setze ich meine Hoffnungen zum Beispiel auf neuartige Schnelltests.
Du klingst nach wie vor sehr motiviert und kämpferisch.
Ganz einfach: Unser Job ist es ja prinzipiell, am Puls der Zeit zu bleiben. Von daher bleibt uns gar nichts anderes übrig, als sofort wieder richtig Gas zu geben, sobald es irgend möglich ist. Es geht darum, sofort die Zeichen zu setzen, dass auch in unserem Bereich der Rückkehr zur Normalität eingeleitet wird. Das ist das wichtigste Signal, sowohl ans Publikum als auch an die Künstler und alle, die in unserer Branche arbeiten!
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Zur Streamingshow: „Die Magic-Show in Eurem Wohnzimmer – Das Osterspecial!“ am 4. & 5.4.