Beachtlich! Die Karriere von Eric Leiderer ist eine aus dem Bilderbuch: Ausgebildet als Zerspannungsmechaniker und ab diesem Zeitpunkt Mitglied der IG Metall, arbeitete er sich auf seinem beruflichen Weg vor: Jugend- und Auszubildendenvertreter, Betriebsrat und später Leiter des Ressorts Organisationsentwicklung beim IG Metall, Leiter des Ressorts „Jugend“ beim Vorstand in der IG Metall-Zentrale, Gewerkschaftssekretär, Bürgermeister. Dieser stringente Werdegang erfordert viel Kraft, Willen und verdient vor allem großen Respekt.
FRIZZ Das Magazin bat den (gebürtigen) Schweinheimer zum launigen Gespräch. Vom digitalen Update einer ganzen Gesellschaft, der Leiderer Kerb und suboptimalen Nachnamen in beliebten Aschaffenburger Wohngebieten.
FRIZZ Das Magazin: Eine Frage, die uns am allermeisten umtreibt. Hast du als gebürtiger Schwoijer nicht den völlig falschen Nachnamen?
Eric Leiderer: (lacht …) ja, könnte man meinen. In meiner Jugend ging es mir oft so, dass viele dachten, ich wäre aus Leider. Klingt ja erst mal logisch, wenn man vom „Leiderer“ spricht. Als ich bei meinen Eltern ausgezogen bin, hatte ich mir sogar eine Wohnung im Leiderer Stadtweg angeschaut. Aber ich fühle mich als Ascheberscher und da gehört Leider genauso dazu wie Schweinheim.
Bist du somit auch Veranstalter und/oder Namensgeber der „Leiderer Kerb“?
Da müsste ich in der Ahnenforschung mal nachschauen … Spaß beiseite. Ich bin auf jeden Fall guter Kunde der Kerb. Aber natürlich besteht unterschwellig durch den Namen eine gewisse Verbundenheit.
Du bist 2019 zum Vorsitzenden des Schweinheimer Vereinsrings gewählt worden. Wie sehen deine aktuellen Vereinsaktivitäten aus?
Äußerst schwierig. Nach knapp fünf Monaten im neuen Amt hat uns der Lockdown erwischt. Seitdem finden – wie überall – die meisten Vereinsaktivitäten nur sehr eingeschränkt statt. Wir unterstützen mit Beratung und Informationen und führen derzeit Interviews mit den Vereinen zur aktuellen Lage der Corona-Pandemie und deren Situation durch. Darüber berichten wir auf unserer Website und in unserem Stadtteilblättchen.
„Dein“ Stadtteil hat sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten extrem gewandelt. Viele sprechen von einem zum Hipster-Stadtteil avancierten Ort. Welches Schweinheim gefällt dir besser: das aus deiner Kindheit und Jugend oder das heutige?
„Hipster“-Stadtteil habe ich so in der Form noch nicht gehört. Ich glaube, Schweinheim ist sehr ausgewogen und hat eine breit aufgestellte Vereinskultur. Und ob das Schweinheim aus meiner Kindheit und Jugend zu heute anders ist, liegt wahrscheinlich im Blick der jeweiligen Altersinteressen. Als Kind war der Spiel- und Bolzplatz die wichtigste Infrastruktur. Als Jugendlicher stand die Innenstadt im Fokus. Und heute freue ich mich auf die vielen kulturellen Veranstaltungen und Feste der Vereine (wenn sie wieder stattfinden).
Digitallabor
Was vermisst du privat wie beruflich in der aktuellen Corona-Zeit am meisten?
In erster Linie die Gemeinschaft, kulturelle Veranstaltungen und natürlich das Vereinsleben. Vereine haben mich geprägt und in den Vereinen schlägt das Herz von Aschaffenburg. Da ich ein eher geselliger Typ bin, vermisse ich die Begegnungen und den direkten Austausch mit Menschen am meisten.
Wie kommst du damit klar, dass du lange hauptamtlich Gewerkschafter warst und jetzt fast ein bisschen die Seiten gewechselt hast?
Die Seite gewechselt? Das sehe ich anders und stellt für mich keinen Widerspruch dar. Ich engagiere mich seit 30 Jahren ehren- und hauptamtlich als Interessensvertreter. Hier stand immer der Dialog mit den Beteiligten im Vordergrund. Mit dieser Erfahrung möchte ich gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern deren Interessen für Aschaffenburg vertreten.
Als Bürgermeister bist du mit vielen verschiedenen Erwartungen und Anforderungen konfrontiert. Wie wirst du diesen gerecht?
Ein Teil der Anforderungen kann zur Zufriedenheit umgesetzt werden. Der anderen Hälfte der Bürgeranfragen stehen oft Gesetze, Richtlinien oder anderweitige Regularien entgegen. Das ist für die Betroffenen nicht befriedigend. Aber meine einjährige Erfahrung in diesem Amt zeigt mir, dass die Bürgerinnen und Bürger es trotzdem würdigen, wenn man versucht, die Interessen in ihrem Sinne umzusetzen, auch wenn es nicht immer klappt.
Du bist „qua Amt“, wie unsere Bundes-Angie zu sagen pflegt, als Referatsleiter für Digitalstrategie, Personalmanagement und zentrale Dienste zuständig für die Digitalisierung der Stadt Aschaffenburg. Was hast du bereits vorangebracht?
Zunächst geht es darum, die Strukturen aufzubauen und das Amt für IT und Digitalstrategie zu entwickeln, das es in dieser Form erst seit 1.3.2021 gibt. Daneben haben wir bereits einen analogen und digitalen Anlaufpunkt in der Innenstadt geschaffen. Der Digitalladen mit dem Stadtlabor (Anm. d. Red.: siehe ab Seite 18 dieser Ausgabe). Über die digitale Plattform „Aschaffenburgzweipunktnull“ haben wir die partizipative Möglichkeit geschaffen, an der Aschaffenburger Geschichte mitzuschreiben. Wir haben uns an zahlreichen Förderausschreibungen beteiligt, bei denen wir noch auf das Ergebnis warten. Viele kleinere Fördertöpfe konnten wir schon nutzen, um unseren Digitalladen technisch auszustatten. Die aufwändigste Ausschreibung war die Bewerbung zur „Smart City“ beim Bundesministerium des Inneren. Derzeit arbeiten wir noch an weiteren Ausschreibungen beim bayerischen Digitalministerium und an einem EU-Projekt. Wir bauen kontinuierlich den Bürgerservice aus und führen neue digitale Tools in der Stadtverwaltung ein. Und über das Bildungsbüro erscheint im Mai eine neue Aschaffenburg-App.
Die Digitalisierung durchdringt alle Arbeits- und Lebensbereiche. Sie ist ein Update einer ganzen Gesellschaft.
Wo liegen große Schwächen bei der Digitalisierung in Aschaffenburg?
Die größte Schwäche ist das Verständnis und die Auswirkungen der Digitalisierung auf unsere Stadtgesellschaft. Dies war in der Vergangenheit kein Schwerpunkt. Insgesamt stelle ich fest, dass die Komplexität der Digitalisierung schwer zu vermitteln ist. Jeder versteht aus seiner Sicht darunter etwas anderes. So ist es aus unterschiedlichem Blickwinkel mal die Hardware wie Smartphones, Laptops, die Infrastruktur wie Glasfaser oder WLAN. Oder Internetseiten, Plattformen, Apps oder digitale Games. Allerdings durchdringt die Digitalisierung alle Arbeits- und Lebensbereiche. Neben dem Begriff Digitalisierung wird bei einer digitalen Stadtentwicklung auch von einer „nachhaltigen Smart City“ gesprochen. Dadurch wird es noch komplexer und betrifft beispielsweise die kommunalen Infrastrukturen wie Energie, Gebäude, Verkehr, Müllabfuhr, Wasser und vieles mehr. Die Digitalisierung durchdringt alle Arbeits- und Lebensbereiche. Sie ist ein Update einer ganzen Gesellschaft. Um dies zu thematisieren, gilt es einen Bürgerdialog zu führen. Zum einen zu informieren und die digitale Kompetenz zu erweitern und zum anderen mit den Ideen der Bürgerinnen und Bürger Aschaffenburg zu gestalten.
Mir liegen die Themen -Vereine, Ehrenamt, Einzelhandel, Kultur und ein -soziales Aschaffenburg sehr am Herzen.
Was hattest du dir (als Stadtrat) eigentlich im Wahlprogramm vorgenommen? Kannst du als Bürgermeister auch etwas davon umsetzen?
Viele Themen davon werden auch über die Fraktion in den Stadtrat eingebracht. Hier bin ich Teil des Ganzen und kann mich für meine Schwerpunkte engagieren. Dabei liegen mir die Themen Vereine, Ehrenamt, Einzelhandel, Kultur und ein soziales Aschaffenburg nach wie vor sehr am Herzen. Dies spielt aber auch gerade in der Digitalstrategie eine wesentliche Rolle.
Gehst du mittlerweile mit einem anderen Blick durch die Stadt als vor einem oder zwei Jahren?
Aschaffenburg ist nach wie vor eine sehr schöne Stadt. Aber ja, der Blick hat sich verändert und man ist betroffener. Ich schaue viel genauer hin und höre den Gesprächen unter den Bürgerinnen und Bürgern gezielter zu, auch zwischen den Zeilen.
Wie beurteilst du die Lage der SPD im Land und im Bund? Was kann die „überregionale“ SPD von der erfolgreichen Aschaffenburger SPD „lernen“?
Die SPD ist traditionell stark in Aschaffenburg verwurzelt. Bei der Kommunalwahl haben wir überproportional hoch mit 27% gegen den Bundestrend abgeschlossen. Das liegt vor allem daran, dass wir ein klares Profil haben und unser Wahlprogramm gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern für ein gutes Aschaffenburg entwickelt haben.
Sollte – deiner Meinung nach – die SPD nach der Bundestagswahl in der Regierung bleiben oder besser in die Opposition gehen?
Das haben zunächst die Bürgerinnen und Bürger selbst in der Hand. Sie können die Partei mit den für sie besten Ideen und Konzepten wählen. Da gilt es bei der Wahl genau hinzuschauen. Danach hängt das Ergebnis von der Wahl und den möglichen Konstellationen ab. Daraus lässt sich dann ein Regierungsauftrag oder eine Oppositionspolitik ableiten.
Vielen Dank für das nette und unkomplizierte Gespräch.