Das kommt davon, wenn man seine Glaskugel bei Wish bestellt. Das Angebot klang tatsächlich aber auch zu verlockend und als hauptberuflich Kulturschaffende im Lockdown kam es für uns zwei – allein aus finanziellen Aspekten – überhaupt gar nicht erst zu dem Gedankengang, sich auch mal in den entsprechenden Online-Angebotspaletten der gut sortierten Glaskugel-Fachhändler oder zumindest mal auf der Reste-Rampe des Jeff B. umzuschauen. Wobei sich Letzteres ja inzwischen allein schon mehr oder weniger aus moralischen Gründen verbietet.
Auch den Tipp eines weiteren, dauerlockdowngeschädigten Kollegen, wir sollten doch mal bei seinem neuen Lieblingssender Astro-TV anrufen und fragen, ob bei denen im Lager nicht noch irgendwas altes Gebrauchtes rumliegt (also Glaskugel, nicht Moderatorin), schlugen wir viel zu leichtfertig in den, für die Jahreszeit viel zu lauen, vorfrühlingshaften Wind.
Zugegeben, die Tatsache, dass wir uns zum Erreichen der Versandkostenfrei-Grenze von 30 Euro noch ein Maktia-Baustellenradio (sic est!, der Schriftzug war aber auch recht verpixelt …), einen Slim-Fit-Jumpsuit mit Super Mario vornedrauf und ein komplettes Sportfahrwerk für Manus VW-Bus mit dazu bestellen konnten, hätte uns stutzig werden lassen müssen. Wir waren schlicht geblendet von den Hochglanzbildern und den vielen tollen Farben in der frisch heruntergeladenen App – und hatten vielleicht zwo Äppler zu viel.
Egal jetzt, das Ding hat einfach schlichtweg versagt. Von den vielen wunderschönen Voraussagungen, die sich laut dieser schlechten Karikatur einer Glaskugel ab dem 1. September über die ausgemergelten Körper und Seelen einer kulturhungernden Gesellschaft wie ein warmer Teppich aus Zuckerwatte ergießen sollte, ist ja wirklich nichts, nichts, nichts eingetroffen.
Wobei, halt, stop! Einen Treffer hatten wir ja! Wenn man sich noch nicht mal mehr auf Dead Energy verlassen kann – und die fürchten sich ja bekanntlich sonst vor gar nix – hat der Colos-Saal als einzige Institution der Stadt unsere Billig-Visionen als halbwegs verbindliche Vorgabe angesehen und seine Schlagzahl vor dem neuerlichen November-„Lockdown light“ brav auf bis zu vier Shows pro Künstler ausgebaut. Im Falle dessen zwar an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, aber immerhin.
Und überhaupt, „Lockdown light“ – so wichtig gleichsam besonnene und nachhaltige Konzepte und Maßnahmen zur Bewältigung der Pandemie und (mindestens ebenso wichtig) für eine nahe Zukunft mit dem Virus sind, so niederschmetternd fühlt sich die neuerliche, kalt gepresste Zwangspause für unsere kulturhaltige Zunft sowie alle Gastronomen, Hoteliers, Freizeiteinrichtungen, Schausteller, Fitnessstudios, Sportstätten und -vereine sowie unzählige Solo-Selbständige und Dienstleister an. Viele der Genannten dürfen sich nun ungefragt von den ganzen Strapazen erholen, die die Konzeption, Umsetzung und auch Finanzierung von nachgewiesenermaßen leistungsfähigen Hygiene- und Infektionsschutzmaßnahmen für ihre Betriebe und Einrichtungen verursacht haben. Und gut und gerne 100 Prozent von ihnen hätten furchtbar gerne darauf verzichtet. Wobei man der Vollständigkeit halber darauf hinweisen muss, dass Schausteller und der gesamte Kulturbetrieb sich faktisch seit dem 15.3. im Dauerlockdown befinden. Und nein, da ändern auch keine liebgemeinten Sommerbühnen, Balkonkonzerte, Streamingshows, Autokinos, fünf Mini-Karussells und Magenbrot-Buden in der Innenstadt oder sonstige Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zur Vorbeugung des Selbstachtungsverlustes was dran.
Ziehen wir lieber die Lehren daraus. Wenn Kultur für die führenden Kräfte im Land nach wie vor eine problemlos abzuschaltende Nebensache ist, dann müssen wir Kulturheinzen uns vielleicht eben einfach nach den entsprechenden Nebenerwerbsmöglichkeiten umschauen. Und siehe da, ein, zwei, zwölf Äppler später sind uns da, auch ganz ohne Glaskugel, richtig töfte Ideen gekommen. Vorausgesetzt wäre in diesem Fall die Tatsache, dass von den nationalen Entscheidern irgendwann mal so komplizierte und revolutionäre Dinge wie Bewegung, Sport, ausgewogene Ernährung, Vitamine und seelische Ausgeglichenheit als winzig kleine, helfende Bausteine für den bestmöglichen, individuellen Umgang mit einer gegebenenfalls eintretenden Virusinfektion identifiziert werden würden. Absolutes Neuland für den durchschnittlichen Politiker, ist uns auch klar, aber träumen darf man ja mal.
Fürs härter gesottene Stammpublikum gibt’s Bier-Yoga.
Also angenommen, in Zeiten von Corona könnten neben Kontaktbeschränkungen, Gottesdiensten und Impfstoffrallye auch genannte Schlagwörter an Wert in Sachen Volksgesundheit gewinnen, könnte das Colos Saal doch die freien Slots mit Zumba, Poledance-Workshops und Pilates füllen. Und fürs härter gesottene Stammpublikum gibt’s Bier-Yoga. Die Belegschaft kann dann im Gegenzug weiter an ihrer Zweitkarriere als Influencer, Fachrichtung „Schöner Wohnen/DIY-Renovierung“, basteln. Im Sedgwick sind zukünftig Kurse im freien Gestalten und Seidenmalerei buchbar und auch im Hofgarten Kabarett stehen als Ersatz Kursangebote im Programmheft. Und ja verdammt, für den Basiskurs „humorvolles Schreiben – Einführung, Grundlagen, erste Schritte“ haben wir uns selbstverständlich schon angemeldet. Welche Fortbildungsmaßnahme garantiert auch laufen würde wie geschnitten Brot, wäre „Verschiebung der eigenen Toleranzgrenzen – so bekomme ich meinen Würgereiz beim Abstrich in den Griff“. Bestenfalls sollte die interessierte Einrichtung über einen vollgefliesten Bereich mit Bodenabfluss verfügen, Bewerbungen gerne an uns.
Und auch in der Zukunft wird sich das Kulturangebot insgesamt neu sortieren müssen. Ohne finanzielle Unterstützung von Dritten wird nicht mehr viel laufen, denn große Rücklagen für Experimente oder Ausrutscher im Tourneegeschäft sind dann keine mehr vorhanden. Jede Show muss abgesichert profitabel sein. Das bringt uns zu Stichwörtern wie Crossmarketing und Sponsoring: Wenn vormittags das Autohaus Ehrlich in der Stadthalle zum Proberutschen im vollelektrischen Renault Zoe lädt, können sie abends auch direkt die gleichnamigen Zauberbrüder präsentieren, die auf der Bühne mit Hilfe eines desinfizierten Vorschlaghammers einen VW up! verbiegen. It’s magic!
Scherben bringen doch kein Glück: Die Glaskugelkulturprognose ist geplatzt.
Wie auch immer die „neue Realität“ im kleinteiligen Kulturbetrieb aussehen wird – wir lagen beim letzten Mal definitiv weit daneben und sind garantiert auch dieses Mal mit unseren Prognosen Lichtjahre am Ziel vorbeigeschossen. Unsere Glaskugel haben wir reklamiert, sie befindet sich schon mit irgendeinem Frachter auf dem Rückweg nach Asien (Nachhaltigkeit ist was anderes, wissen wir).
Wir warten also einfach ab und schauen, was die nächsten Wochen und Monate für uns bereithalten. Und da wir ja noch ein bisschen viel Zeit übrig haben, bauen wir solange das neue Sportfahrwerk in Manus Bus. Die Bedienungsanleitung lässt – im Gegensatz zur Glaskugel – keine Fragen offen: „Mit sensazionell Spurtfarwerk GWT 7053 Sie bekomen nicht teutonische Genauigkeit fuer trautes Automobil nur, auch Erfolg als moderner Mensch bei anderes Geschleckt nach Sonntagsauzfahrt und laenger, weil Material viel Zeit gut lange. Zu erreischen Gluckseligkeit mit tiefes schnelles Automobil, ganz einfach Bau ein und Handbedienung von GWT 7053: 1. Auspack und freu. 2. Slippel A kaum abbiegen und verklappen in Gegenstippel B fuer passen Genau einbau von GWT 7053. 3. Mit Klamer C in Motor und Auspuf von Automobil einfraesen und laecheln fuer Erfolg. 4. Fuer kaput oder Spurtfarwerk beschädig beschweren an: wir, Hugenottenstrasse 17. Fuer neue Spurtfarwerk alt Spurtfarwerk zurueck fuer Sauberwelt in deutscher Wald.“ In diesem Sinne …