Ich weiß, ich weiß. Es ist mittlerweile schwierig mit all den Online-Hatern da draußen und den fiesen Kommentaren in den sozialen Medien. Respekt- und niveaulos. Ohne Rücksicht auf Verluste. Da werden Kartoffeln mit Birnen verglichen, alles in einen Topf geschmissen und am Ende stumpf Menschen beleidigt. Die digitale Welt ist ein dunkler Ort des Verderbens, ohne Seele und Liebe, voller fehlender Achtsamkeit und schon mal überhaupt keinem Sinn für wirkliche Werte. Das ist selten schön und macht auch mich oft genug fassungslos. Aber bevor der DFB und der Ausrüster Adidas sich im Lager der missverstandenen Freigeister gemütlich einrichten, will ich ganz ehrlich und aufrichtig sein: Das neue Auswärtstrikot der deutschen Nationalmannschaft sieht nach meinem Geschmack schlichtweg aus wie Arsch und Friedrich. Und wenn jetzt etliche Online-Foren steil gehen und digitale Kübel voll mit Häme und Kritik auskippen, kann zumindest ich ihnen leider nicht widersprechen. Ich weiß nicht, was sowohl Designer und den Deutschen Fußball Bund hier geritten hat, aber wie zur Hölle ist denn diese Besonderheit der deutschen Trikothistorie zu erklären? Okay, okay. Jetzt soll ich mal wieder nicht so sein und ein bisschen Toleranz in diesen defensiven Zeiten entfalten. Freunde des gepflegten Ballsports und der androgynen Mode. Ich bin durchsetzt von Toleranz. It could be my second name. Ralph Tolerance Rußmann.
Es darf gekifft werden und wenn Heinrich mit 18 spürt, dass er lieber Gerlinde wäre, dann wünsche ich viel Glück im neuen Geschlecht.
In meiner Welt dürfen Jungs Jungs lieben, Mädchen Mädchen küssen, Menschen aus allen Kontinenten sich hier gerne die Klinke in die Hand geben. Es darf gekifft werden und wenn Heinrich mit 18 spürt, dass er lieber Gerlinde wäre, dann wünsche ich viel Glück im neuen Geschlecht. Ich stehe nicht auf übertriebene Männlichkeit und auf toxische schon mal gar nicht. Und ich weiß auch, dass das mit der Mode so eine Sache ist. Ich brauche mit über 50 das Comeback von Plateauschuhen nicht kapieren und Mum-Jeans muss ich auch nicht tragen. Aber Freunde, das hier ist Fucking-Fußball und die EM findet im eigenen Land statt. Was machen wir denn noch für Firlefanz? 50 Jahre nach dem WM-Titel in München. Deutschland spielt seit jeher in schwarz und weiß und ganz früher als Ausweichfarbe in Grün. Zum Beispiel 1974. Verdammt: Grün. Jawoll. Wie die Hoffnung. Gerade die fehlt doch in diesem Land. Stattdessen jetzt pink, lila und blau. Als würde uns das nur einen Furz lebensfroher und mutiger Fußball spielen lassen. Oder am Ende noch das leidige AFD-Thema lösen. Und warum verflucht nochmal überfrachten wir seit geraumer Zeit permanent den Fußball mit so viel Symbolpolitik? Während sich im Gegenzug im aktiven Profifußball bis heute noch kein einziger Fußballer als Homosexueller geoutet hat. Check und kapiert? So viel nämlich zur Realität in dieser Fußballwelt. Aber wahrscheinlich sitzt dem DFB treu das Fiasko mit der Regenbogen-Binde in den Knochen und jetzt muss er hartnäckig zeigen welch politisch-inspirierter Verband er doch ist. Gender-friendly und ganz anders als der Rest der üblen Fußballwelt. Und vor allem viel besser als diese vermaledeiten Scheichs aus dem Nahen Osten. Die uns auch noch verspottet haben, nachdem wir als Superprotest den Finger auf den Mund gelegt haben. Das Problem an diesem Trikot ist neben der brachialen Symbolik jedoch, dass der Schuss in mehrere Richtungen nach hinten losgehen kann. Gewinnst du in diesem Sweater die EM, geht es in 30 Jahren allen Fans wie mir, wenn ich heute die Bilder meiner Firmung anschaue und mich frage, wer mir eigentlich diese bescheuerte karierte Hose zum Anziehen bereitgelegt hatte. Scheidest Du in der Vorrunde aus, bist Du in dieser Kluft – „im gezackten Farbverlauf und inspiriert vom Federkleid des Adlers“ – ein heißer Anwärter für die Witznummer von Europa.
„Geht’s raus und spielt’s Fußball“.
Selbst mein siebenjähriger Sohn kann mit dem Shirt wenig anfangen. So viel zum Abholen der neuen Generation. Ach, ach. Da vermisse ich sogar den Kaiser Franz. Was hätte der wohl dazu gesagt? „Geht’s raus und spielt’s Fußball“. Es ist ja auch nur ein Trikot. Was rege ich mich eigentlich auf.