©Saskia Schmidt
Hannah Bockarie
Scheint, als hätte der betagte Strippenzieher hoch droben dies schönes Fleckchen Erde im Westen Afrikas einfach vergessen: Ein Jahrzehnt blutiger Bürgerkrieg, zehntausende Todesopfer, traumatisierte Überlebende, hohe Kindersterblichkeit, Gewalt gegen Frauen, erschwerter Zugang zu Trinkwasser, immense Armut, kaum asphaltierte Straßen oder medizinische Versorgung, eine Lebenserwartung von durchschnittlich 45 Jahren. Kann für Sierra Leone nicht schlimmer kommen, oder?
Doch es kam das Jahr 2014 – und mit ihm das Ebolafieber. Eine Epidemie, die unfassbares Leid brachte und die nach der Zahl der erfassten Erkrankungen und Todesfälle als bisher größte ihrer Art gilt. Ein gnadenloser Virus, der Kinder zu Waisen und Dörfer zu Geistersiedlungen machte. Besonders schlimm gebeutelt wurde das 450-Seelen-Örtchen Kalia. Über 90 Knirpsen nahm die Seuche beide Elternteile – und somit jegliche Hoffnung auf Zukunft. Doch der Aschaffenburger Verein commit and act e. V., der es sich zur Aufgabe gemacht hat, Menschen in Krisengebieten psychotherapeutische Unterstützung zukommen zu lassen, erfuhr von Kalias Schicksal und holte den ebenfalls in Aschaffenburg ansässigen One Day e. V. ins Boot. Jene Herzblutmenschen, die bis dato in Namibia Hilfe zur Selbsthilfe leisteten, fackelten nicht lange und starteten ein Nothilfe- und Wiederaufbauprojekt, finanziert durch Paten für Vollwaisen.
Schnittstelle, Vermittlerin und Betreuerin vor Ort: Hannah Bockarie. Die Sierra Leonerin erlebte selbst Krieg und Gewalt und möchte nun all jenen unterstützend zur Seite stehen, denen Ähnliches widerfahren ist. So arbeitete die heute 40-Jährige als Psychotherapeutin für Ärzte ohne Grenzen sowie in einem Zentrum für Traumaopfer in ihrer Heimatstadt Bo. 2014 übernahm die Westafrikanerin dann eine ganz entscheidende Aufgabe:
Während der Ebola-Krise setzte sie sich mit dem Team von commit and act für psychosoziale Präventionsarbeit ein. Ihr Einsatz glich einer Mission: Die Bevölkerung aufklären, Verhaltensalternativen aufzeigen, Hygiene predigen und immer wieder erklären, weshalb der Verzicht auf Bestattungszeremonien unabdingbar dafür ist, die Epidemie zu besiegen. Im November 2015 erklärte die Weltgesundheitsorganisation WHO Sierra Leone endlich für Ebola-frei – und die Staatsregierung ließ es sich nicht nehmen, Hannah für ihren mutigen Einsatz auszuzeichnen. Mittlerweile hat sich das psychosoziale Zentrum in Bo, dessen Leiterin Hannah ist, zu einem Zufluchtsort für junge Mädchen gewandelt. Sexuelle und geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen – im Land an der westafrikanischen Atlantikküste noch immer alltäglich. Im einzigen Girls Shelter der südlichen Region finden Betroffene Sicherheit, Rechtsbeistand sowie medizinische und psychologische Hilfe. Die Heimat auf Zeit bietet einen Schlafplatz, regelmäßige Mahlzeiten sowie Schulbesuche und hilft dabei, das nötige Selbstbewusstsein zu erlangen, um auf eigenen Beinen zu stehen.
Bei ihrem dritten Deutschland-Besuch hat Hannah nun mit One-Day-Gründerin Saskia Schmidt den nächsten Coup eingetütet – ein Baby-Waisenhaus. 42 Zwerge sollen im vergrößerten Girls Shelter ein Zuhause finden. Das Erdgeschoss ist bezugsfertig, Elektrizität nicht vorhanden. One Day startet nun die Suche nach Paten für die Babys. Zudem planen die Damen ein Büchlein in Pixigröße über Kinderrechte – ein weiterer wichtiger Schritt in Sachen Aufklärungsarbeit und ein noch bedeutsamer auf dem Weg eines Landes in eine hoffnungsvolle Zukunft.