© Harald Peter
Alexander Koehl
Onkel Gustav wird 70. Geladen hat er, zur großen Sause. Mit allem Pipapo. Ja, lumpen hat er sich noch nie lassen. Und schon nagt es, das schlechte Gewissen. Was schenkt man einer Person, die weder Briefmarken noch Orchideen sammelt? In deren Teich bereits sündhaft teure Kois ihre ganz eigene Party feiern? Womit jemandem eine Freude bereiten, der die Welt schon zu Wasser, aus der Luft und auf Schusters Rappen erobert hat? Überreicht ihm etwas, das einzigartig ist. Individuell und nicht alltäglich. Eigentlich auch unbezahlbar – und doch mit Geld zu bekommen. Lasst sein Leben auf Papier bannen.
Ob Metzger, Winzergattin oder Aktivist: Sie alle teilten bereits den einen Wunsch. Den Wunsch, das eigene Leben in Händen zu halten. Auf Papier, das nicht wertvoller sein könnte. Denn es skizziert die Momente, die herzzerreißend schön oder abgrundtief hässlich waren. Momente, die ein Leben ausgemacht haben. Und die eine Biografie festzuhalten vermag, bevor Erinnerungen verblassen. Individuelle Erlebnisse, die für Kinder, Enkel, Freunde und Bekannte so bewahrt werden können. „Die besten Geschichten sind nun mal auch die, die das Leben schreibt“, erklärt Alexander Köhl, der sich bereits als Autor von Kriminalromanen einen Namen gemacht hat. „Das müsste man eigentlich einmal aufschreiben!“ – ein Satz, den der Mainaschaffer unzählige Male gehört hat. Seit ungefähr eineinhalb Jahren ist er einer derjenigen, die aufschreiben. Das Leben der Anderen. Als Biograf. Damit die Lebenswege seiner Auftraggeber für die Nachwelt nicht in Vergessenheit geraten. Dabei goss er Autobiografisches erstmals um die Jahrtausendwende in Romanform, nachdem ihm eine Bekannte von ihrem Schicksal als DDR-Dopingopfer berichtet hatte. Der Grundstein zu „Victors Schützling“ (2004), seinem ersten Krimi, war gelegt. Vier weitere folgten, die Idee zum sechsten tummelt sich bereits in seinem Kopf.
Doch momentan hat seine Arbeit als Biograf Priorität: Als Ghostwriter verfasste er die Memoiren eines bekannten Gesichts der Berliner Studentenbewegung, bevor ihn eine Frankfurterin, zuerst Hotelchefin, später Winzergattin, bat, ihre Geschichte zu Papier zu bringen. „Ein Biograf muss verstehen, worum es dem Biografierten geht, was die Quintessenz seiner Lebensgeschichte ist“, davon ist Köhl überzeugt. Nur dann entstünde ein Text mit Tiefgang, der nicht nur einzelne Lebensstationen aneinanderreihe. Dabei fungiert der gebürtige Aschaffenburger nicht als moralische Instanz: „Ich bewerte nicht, was mir mitgeteilt wird“, erläutert der 53-Jährige. Allerdings müsse „die Chemie stimmen“, zwischen seinem Auftraggeber und ihm. Wenn der zu Biografierende seine Schatztruhe der Erinnerungen öffnet, muss Vertrauen der Nährboden sein. Verbringt man doch schließlich viele Stunden gemeinsam.
150 bis 200 sind es, die Köhl in eine einzelne Niederschrift investiert. Beginnend bei einem ersten Treffen über die Transkription der aufgezeichneten Interviews und Erstellung eines Probekapitels, endend beim Einpflegen von Korrekturen und Fotografien, Gestaltung sowie Druck: Diskretion und die Wahrung von Persönlichkeitsrechten haben für ihn stets Priorität. „Mit ungefähr einem Jahr sollte man rechnen, bis man seine Lebensgeschichte in Händen halten kann“, so der Schriftsteller. Früher hätten eher prominente Personen ihre Memoiren verfassen lassen, erklärt er. Doch ein gestiegenes Selbstwertgefühl gepaart mit allgemeinem Wohlstand hätten dazu geführt, dass auch Normalbürger einem „Ich bin es mir wert!“-Gefühl folgen und bereit sind, für eine Autobiografie Geld in die Hand zu nehmen. Wenn diese dann den „gewissen Sound“ hat, den der jeweiligen Person, kann Alexander Köhl sich an seinem Schreibtisch zurücklehnen. Er hat ein Leben auf Papier gebannt. Individuelle Erlebnisse vor dem Vergessen bewahrt. Und vielleicht dem Porträtierten ein Geschenk bereitet, das mit Geld eigentlich doch nicht zu bezahlen ist.