Faltrad
Wie heißt es so schön: Aus der Not eine Tugend machen. Aus Klassenzimmermangel und Parkplatzknappheit wurde eine gesundheits- und klimafördernde Idee, die jetzt auch noch als Projekt der Woche des Deutschen Fahrradpreises 2018 gewürdigt wurde. Von der Sanierung eines Schulgebäudes zur Codierung von einklappbaren Drahteseln. Von Raumnot und Stadtstau zu Wadenschmalz und frischer Luft. Oder um es mit altehrwürdigen Songtexten von deutschen Musikgiganten zu beschreiben: Von „Ich finde keinen Parkplatz – Ich komm zu spät zu dir, mein Schüler!“ bis hin zu „Nur Genießer fahren Fahrrad und sind immer schneller da!“
Aber der Reihe nach: Wir schreiben das Jahr 2017. Das Kronberg-Gymnasium muss saniert und ausgebaut werden. Laut Direktor Barz dauert die Sanierung noch bis zum Jahr 2021. Da dies unweigerlich dazu führt, dass nicht mehr alle Klassenräume genutzt werden können, mietet die Stadt in der Pfaffengasse für die Oberstufenklassen 11 und 12 Räumlichkeiten als Ausweichstandort an. Diese sind aber 1,6 Kilometer vom Kronberg-Gymnasium in der Fasanerie entfernt. Seit Beginn des Schuljahres im September 2017 müssen die Lehrerinnen und Lehrer dann teilweise mehrfach täglich zwischen den beiden Standorten hin und her pendeln. Insgesamt sind 45 Lehrkräfte davon betroffen. Tausendsechshundert Meter sind definitiv zu weit, um zu laufen und nebenher auch noch seinen Pausentee zu trinken – da bräuchte man schon einen Laufschritt wie einst Haile Gebrselassie oder den unseres Zahnpasta-Dieters. Also bemüht man das Auto, und damit die Lehrerinnen und Lehrer auch wirklich rechtzeitig zum Unterricht erscheinen, muss die Stadt 20 PKW-Stellplätze für sie in einem öffentlichen Parkhaus in der Innenstadt anmieten, was auch nicht ganz günstig ist.
Aus der Not geboren
So weit – so schlecht. Aus dieser Not heraus ist dann die Idee geboren, die nun als Projekt der Woche vom Deutschen Fahrradpreis ausgezeichnet wurde: Stadt, Kronberg-Gymnasium und Stadtwerke als ÖPNV-Dienstleister und Parkhausbetreiber haben sich zusammengesetzt und die „Fahrkarte Faltrad“ entwickelt: Die Lehrerinnen und Lehrer erhalten Fahrräder zur kostenlosen Nutzung zum Pendeln zwischen den beiden Schulstandorten. Dadurch werden weniger Parkplätze benötigt – die Kontingente können verringert werden. Wenn es doch einmal schüttet – was im Bayerischen Nizza zwar nur selten, aber doch hin und wieder vorkommt – dient das spezielle Fahrrad als Fahrkarte für den Bus.
Wie das geht? Zum einen ist das Fahrrad codiert und kann somit als Fahrberechtigungsschein von den Busfahrern akzeptiert werden. Zum anderen können die drahtigen Esel auch zu einem handlichen Gepäckstück „zusammengefaltet“ werden. Die Fahrradmitnahme in den Bussen in Aschaffenburg ist zwar grundsätzlich kostenlos. Trotzdem kann es natürlich immer mal vorkommen, dass durch ein hohes Fahrgastaufkommen keine Fahrräder mehr mitgenommen werden können oder Rollstühle oder Rollatoren die entsprechenden Plätze schon besetzen. Wohl dem, der da sein Rad mir nichts, dir nichts auf die Größe eines mittleren Koffers zusammenklappen kann. Mit dem handlichen Tragegriff passt das Ding dann auch in die vollsten Busse. In dieser Klappversion ist die Fahrrad-Pendel-Alternative also 100 Prozent witterungsunabhängig.
„Sinnvolle Notoption“
Übrigens darf auch bei Dunkelheit und „schweren Beinen“ oder allgemeiner Unlust auf die Bus-Alternative umgestiegen werden – die Fahrer der Stadtbusse haben da durchaus Verständnis. Mit der Linie 12 ist man in nur wenigen Minuten von der Haltestelle an der Stadthalle an der Haltestelle Ludwigsallee in der Nähe des Gymnasiums angekommen. „Das Bus-Angebot ist eine sinnvolle Notoption, wurde allerdings bisher nur sehr selten genutzt – die meisten Kollegen nehmen auch bei widrigeren Witterungsverhältnissen das Fahrrad“, sagt Kronberg-Direktor Barz und ergänzt: „Bei Sonnenschein sind fast alle Fahrräder in Gebrauch! So sind schon einige Kollegen beim Pendeln zwischen den Standorten vom Auto auf das Fahrrad umgestiegen und haben die sieben bis zehn Minuten Fahrt zum Wohle der Umwelt und des eigenen Körpers mit Muskelkraft bewältigt. Ich selbst nutze die Räder natürlich auch. Das Projekt ist eine Erfolgsgeschichte!“
Insgesamt wurden zehn Klappräder im Wert von über 6.000 Euro angeschafft und stehen den Lehrerinnen und Lehrern zur Verfügung. Das Geld stammt aus der eingesparten Miete, die man eigentlich für die Lehrer-Parkplätze an der Außenstelle hätte anmieten müssen. Statt der geplanten 20 benötige man laut Dieter Gerlach, Geschäftsführer der Aschaffenburger Verkehrs GmbH und Leiter der Stadtwerke Aschaffenburg, jetzt nämlich nur noch 15 Stellplätze im Parkhaus der Stadthalle: „Die Kombination umweltfreundlicher Verkehrsmittel wie Fahrrad und Bus ist immer stärker im Kommen und wir intensivieren hier die Suche nach entsprechenden Lösungen. Mit diesem Projekt sammeln wir erste Erfahrungen, die uns für die Weiterentwicklung unseres Angebots helfen. So wäre es zum Beispiel denkbar, das System mit den codierten Fahrrädern als Fahrberechtigung für den ÖPNV auch in Zukunft auf private Fahrgäste auszudehnen.“
Auch der Deutsche Fahrradpreis ist vom Erfolg des nun ausgezeichneten Projekts überzeugt, vollendet es doch „die sinnvolle Verknüpfung von Fahrrad und ÖPNV“. Wir sagen herzlichen Glückwunsch!