© Till Benzin
Unverpackt-Laden
Beim Betreten von Aschaffenburgs erstem Unverpackt-Laden am Landing haben wir das Glück, gerade einer frischgebackenen Mutter bei ihrem Einkauf über die Schulter schauen zu dürfen. Mit klarem Ziel steuert sie die Waage an, packt die mitgebrachten Gläser aus ihrer Tasche, wiegt sie und klebt anschließend das Gewicht mit einem Post-it auf das Gefäß. Schon geht’s los! Müsli, Cashewbruch, Nudeln sowie Gewürze und Reinigungsmittel stehen auf ihrer Einkaufsliste. Ganz ohne Eile sieht sich die junge Frau um und schiebt dabei fleißig ihren Kinderwagen vor sich her. Aber jetzt ab an die Kasse und den Einkauf guten Gewissens abschließen: Dafür wiegt der Verkäufer nun die vollen Gefäße und zieht das angegebene Gewicht auf den Post-its ab. Das ist das Konzept!
Und hinter diesem stehen Bettina Will sowie Ehemann Markus Dorner aus Bad König mit viel Hingabe und Engagement. Sie, gelernte Steuerfachangestellte, kümmert sich um das Geschäft in Darmstadt, er ist nun Herr der Geschehens in Aschaffenburg. Der einstige Busfahrer führt jetzt mit seinen 51 Jahren den ersten Unverpackt-Laden in Aschaffenburg und beweist damit, dass es für einen Jobwechsel keine Altersgrenze gibt. Ermöglicht wurde all das u.a. durch Crowdfunding, wodurch man nicht nur als zweites Standbein Geld sammelte, sondern sich auch vom Interesse der User überzeugen wollte. Das Projektziel wurde erreicht und der Startschuss gegeben.
Laut zahlreichen Kunden sei das auch nötig gewesen – viele Aschaffenburger hätten sich vorher auf den Weg nach Darmstadt gemacht. Und so ist das Ehepaar sehr zufrieden mit der Resonanz und dem Verlauf des Geschäfts bisher. Für weitere Prognosen scheint es noch zu früh zu sein, immerhin hat Unverpackt erst am 9.6. dieses Jahres seine Pforten geöffnet. Trotzdem führt das Lebensmittelgeschäft „quasi alles, was man wirklich zum Leben braucht“, so Dorner. Getreide, Gewürze, Hülsen- und Trockenfrüchte, Nudeln, Müsli, Nüsse, Seifen, Shampoo, Essige, Weine sowie Öle – nur ein grober Ausschnitt aus dem Sortiment, das sich in Behältern befindet, die jegliche Hygienevorschriften achten und nicht mit dem Gefäß des Kunden in Berührung kommen.
Bisher beschränkt sich das Lebensmittelsortiment noch auf Trockenware, doch ein kleines regionales Angebot an Käse, Joghurt und Milch ist auch vorhanden und länger haltbares Obst und Gemüse sind in Planung. Auf jeden Fall muss es Bio oder regional angebaut sein, denn ökologischer Anbau ist ein wichtiger Begriff bei Unverpackt sowie Zero-Waste-Politik. Das bedeutet, auf so viel Verpackungsmüll wie möglich zu verzichten, die Behälter nach dem Gebrauch zu spülen und für den nächsten Einsatz bereit zu halten.
Deutschland versinkt im Plastikmüll
Deutschland liegt mit einem Plastikverpackungsabfall je Einwohner von gut 37 Kilogramm mehr als sechs Kilogramm über dem EU-Durchschnitt. Das sind wirklich besorgniserregende Fakten! Deswegen werden bereits seit 2016 Plastiktüten in Geschäften nur noch gegen Geld herausgegeben. Bei vielen Lebensmittelketten erhält man sogar nur noch Papiertragetaschen oder Stoffbeutel zum Wiederverwenden. Aller Anfang will eben gemacht sein, dachte sich wohl auch das Ehepaar aus Bad König vor zwei Jahren, nachdem sie das Konzept von Unverpackt auf ihrer USA-Reise kennenlernten. Bettina Will begann sich mit dem Thema auseinanderzusetzen und belegte sogar ein Seminar im Mainzer Unverpackt-Laden. Danach kämpfte sich das umweltfreundliche Duo durch den Papierdschungel der Behörden und eröffnete in Darmstadt das erste Verkaufsgeschäft. Das zieht dort vor allem viele junge Studenten an und wird durchweg positiv angenommen – in Aschaffenburg nutzen bislang eher Mütter und ältere Menschen das Angebot.
Dorner hat nicht selten schon zu hören bekommen, dass es dieses simple Konzept bereits früher gegeben habe und man gerne wieder darauf zurückgreife. Immerhin ist es nicht nur naturbewusst, nachhaltig und absolut zukunftsfähig, sondern auch rentabel. Natürlich kann und möchte man sich nicht mit einem Billigdiscounter vergleichen, aber im Allgemeinen ist dieses geplante Einkaufen keine größere Belastung für die Geldbörse. Man kauft nämlich gezielter und minimalistischer ein, seltener kommt es zu Spontankäufen und das Gekaufte wird bewusster konsumiert, wodurch weniger im Müll landet. Dorner sagt selbst: „Es muss umgedacht werden! Klar ist diese Art von Einkaufen umständlicher, aber das Aha-Erlebnis wird kommen, wenn man zu Hause keinen Plastikberg vorfindet. So ging es mir, denn es gibt einem einfach dieses befriedigende Gefühl, genau richtig gehandelt zu haben.“
Gewusst wie
Und so kompliziert ist die Sache dann doch wieder nicht – jedes Gefäß, das wiederverwendbar ist, kann für den Einkauf genutzt werden: Metallboxen, verschließbare Gläser, Tupperdosen oder Baumwollbeutel. Bei Markus Dorner kann man sich wunderbar aufrüsten und im Notfall kostenlos verfügbare Papiertütchen verwenden, wenn es zu Hause an den Verkaufsschlagern Müsli und Nüssen fehlt – diese gibt es bei Unverpackt in großer Vielfalt. Zudem kann man vor Ort trendige Wildwaxtücher in verschiedenen Ausführungen kaufen. Die Bienenwachstücher enthalten mittlerweile eine spezielle Mixtur mit Propolis, das antibakteriell wirkt. Dorner wickelt Käse, Wurst und einfach alles, wofür man sonst Frischhaltefolie benutzen würde, darin ein. Die Tücher sind abwaschbar sowie wiederverwendbar und schützen Lebensmittel vor dem Austrocknen. Auch privat lebt der 51-Jährige also die Zero-Waste-Politik aus Überzeugung. Da kann es der Neu-Geschäftsführer sicher verkraften, dass man nie so wirklich Feierabend hat und in Gedanken ständig bei Organisationskram hängt. Die Nachhaltigkeit der Arbeit und die Botschaft stehen immer klar im Vordergrund!