DER GLEITENDE SCHWARM
„Das ist die perfekte Welle, das ist der perfekte Tag. Lass’ dich einfach von ihr tragen, denk’ am besten gar nicht nach.“ – diese Textzeile der Pop-Rock-Band Juli beschreibt perfekt, was die Morfer fühlen: An diesem lauen Sommerabend stimmt einfach alles. Die Sonne bewegt sich langsam gen Horizont, eine Gruppe Erlebnishungriger rauscht an Bäumen und Bauten vorbei und lässt die Welt wie ein Urlaubsvideo an sich vorbeiziehen. Einmalige Eindrücke entstehen, die später als wohlige Erinnerungen wieder abgerufen werden. Momentaufnahmen, die nur wenige Sekunden dauern, aber dennoch zeitlos sind …
Die Geschichte des Inlineskatens geht bis ins Jahr 1760 zurück. Damals hatte der Belgier John-Josef Merlin die zündende Idee, als er einen Schlittschuh mit zwei Metallrädern an den Kufen entwarf. Aus dem Prototypen entwickelten sich 1863 klassische Rollschuhe, mit denen man besser steuern und bremsen konnte. Schließlich kreierte der Eishockeyspieler Scott Olson 1979 den modernen Inlineskate, um auch im Sommer seinen Sport betreiben zu können. Er war es auch, der die Firma Rollerblade gründete. Ein wegweisender Freizeittrend, der gut 20 Jahre später seinen Höhepunkt finden sollte, war geboren. Inzwischen gibt es tausende Inlineschulen in Deutschland, selbst für Sportarten wie Basketball und Fußball existieren mittlerweile Ableger im Inline-Format.
Die Herkunft des Rollerbladens wäre damit geklärt – aber was um alles in der Welt sind Morfer? Computernerds wähnen sich nun im Besitz einer passenden Antwort – die im vorliegenden Kontext jedoch kaum taugt. Es geht nämlich nicht um Spezialeffekte bei Bildaufzeichnungen, sondern um Inlineskater, die rund um Aschaffenburg ihr rollendes Unwesen treiben. Ihren Namen schulden sie unserem herrlichen Dialekt: „Montags Owens Rollschuh Fohrn“. Die Morfer treffen sich regelmäßig montags um 19 Uhr auf dem Parkplatz des Volksfestplatzes, um gemeinsam durch die Region zu düsen. Obligatorisch ist dabei die Biergarten-Pause, bei der flüssiges oder gebackenes Brot gekostet wird. Dabei stehen jeweils 20 bis 30 Kilometer an – eine Distanz, die Ausdauer und Können erfordert. Sowohl Amateure als auch Profis haben ihren Platz in der Gruppe – zumindest akzeptable Skatingfähigkeiten sind erwünscht. Ebenso wichtig ist die vollständige Schutzausrüstung, bestehend aus Knie-, Ellbogen- und Handgelenkschoner sowie Helm.
Die Motivation der Morfer, die in allen Altersklassen antreten, äußert sich unterschiedlich: Für die einen ist es pures Landschaftserlebnis, für die anderen ein besonderes Gefühl der Gruppendynamik. Dritte wiederum möchten ihre Fitness beim Regio-Skaten verbessern. Oft schließen sich kleinere Grüppchen auch zusammen, um gemeinsam bei Lauftreffs in ganz Deutschland teilzunehmen. Beliebt ist beispielsweise das Frankfurter „Tuesday Night Skating“. Auf der Internetseite der Morfer werden Treffen vereinbart, Strecken diskutiert und Fachfragen geklärt. Wer dabei sein möchte, wende sich an Helmut Emmert: „Wir sind offen für neue Skater. Gerade für Neu-Aschaffenburger eignet sich das Morfen, um die Gegend und nette Menschen kennenzulernen. Wir haben fünf bis sieben Stammstrecken, die wir regelmäßig mit 20 bis 40 Leuten abfahren.“ Zu den Anfängen der Morf-Idee im Jahre 1999 schildert er: „Zuerst waren wir nur ein paar Freunde. Dann hatten wir die Idee, unser Morfen publik zu machen, kreierten eine Homepage und verteilten Flyer. In kürzester Zeit kamen Gleichgesinnte hinzu.“
Nun skaten die Morfer am Schloss Johannisburg vorbei. Welch ein Bild. Besser kann man Kultur und Bewegung nicht verbinden. Spätestens jetzt ist klar, dass Morfen mehr als lediglich ein sportiver Zeitvertreib ist. Morfen ist ein Lebensgefühl, das Genuss und Agilität verbindet. Für die Morfer ist stets der Weg das Ziel. Das Gefühl der Freiheit und die Idee des gelebten Moments – zwei unschlagbare Gründe, um gemeinsam zu skaten. Von der Sonne ist indes langsam nichts mehr zu sehen. Und trotzdem: Sie gleiten und gleiten und gleiten …