Die neue Aschaffenburger Kunstausstellung im Schlosspark wird sabotiert. Eigentlich sollte die AB-ART-DOOR die Größen der internationalen Kunstszene versammeln. Kunstwerke von Weltruhm wie Sanchos „Illusorischer Indikativ“ oder die „Kopulierenden Diesel-Motor-Zwillinge“ von Hadebrand van Hinton sollten Aschaffenburg zum Nabel der innovativen Art-Welt werden lassen. Kurz vor der Eröffnung aber zerstört ein geheimnisvoller Unbekannter nach und nach die Kunstwerke zwischen Pompejanum und Schloss. Kommissar Sepp Ballschenk steht vor einem Rätsel.
Aber auch für mich, als Organisator der Ausstellung, war es ein Unglück. Seit mehr als zwei Jahren planten wir schon die AB-ART-DOOR, die für eine Stadt wie diese schon immer eine Nummer zu groß erschienen war. Doch es war uns gelungen, renommierte Künstler zu gewinnen und so hatte dieser irrwitzige Plan langsam Gestalt angenommen. Jedoch: Je näher der Termin gerückt war, desto mehr waren die Probleme zu Tage getreten. Die Finanzierung bröckelte. Zwar hatte der Stadtrat in einem Anflug von kulturstädlicher Großzügigkeit und in der Hoffnung, tatsächlich zu einem echten Namen in der Kunstszene aufzusteigen, einen guten Teil der Gelder zugesichert, aber eben nicht alles. Der Eigenanteil war trotzdem beträchtlich und so war ich in den letzten Monaten vor allem damit beschäftigt gewesen, bei potenziellen Sponsoren Klinken putzen zu gehen. Dummerweise waren die wenigsten der Unternehmen, die ich überzeugen wollte, Kenner und Schätzer der postmodernen Kunst und ihre Allgemeinbildung in dieser Hinsicht war irgendwo zwischen van Gogh und Warhol im Sumpf der grauen Wirtschaftswelt versickert.
Es war mehr als mühsam, den Marketingleiter eines Stromanbieters von der Genialität eines Eddie de Dösschloss zu überzeugen, den Controller eines Maschinenbauunternehmens für die überwältigenden Geld-Bauchunken-Werke eines Ronny Robert Rodriguez zu begeistern oder gar dem Chef des Autohauses zu erklären, warum er eine Veranstaltung unterstützen sollte, bei denen Künstler wie John James Tucker-Henselmann die „Hellweiße metaphysische Kastration des schwarzen Bauern auf e 6“ propagierten.
Kurz gesagt. Es lief schleppend. Die eine oder andere Bank und das eine oder andere Industrieunternehmen gab etwas, mehr aus Gefälligkeit, denn aus Interesse. Ein kleiner Glücksfall war die Spontan-Spende eines vorbeireisenden russischen Milliardärs, der zufällig beim Aufstellen von Sensei Akamaru Onakawages „Auch du – mein Hohn Blutwurst“ zugegen war. Aber sonst herrschte Ebbe in der Kasse.
Auch der Kartenvorverkauf verlief schleppend. Vielleicht war Aschaffenburg eben einfach nicht reif für solch eine Ausstellung. Vielleicht hätte man bodenständiger, verständlicher, konkreter werden müssen. Etwas Greifbareres auf die Werbeplakate als Sanchos „Illusorischen Indikativ“ nehmen müssen. Die Leute wollten immer etwas zum Denken haben. Zum Drübernachdenken. Zum Nachdenken-Anregen. Dabei musste die Kunst doch nicht denken und sie hatte es auch nicht nötig. Kunst muss berühren. Inspirieren. Sie muss aber auch stoppen. Die Nadel des Plattenspielers anheben. Die Pausetaste drücken. Muster zerstören, um auf Muster hinzuweisen. Da war jedes Mittel Recht. Aber die Aschaffenburger kauften einfach viel zu wenig Karten, obwohl 100 Euro doch völlig in Ordnung waren für solch ein Feuerwerk der Gegenwartskunst.
Dann waren da noch die immensen Kosten, um das Ausstellungsgelände abzusperren und zu sichern, damit sich niemand kostenlos hineinschlich. Zugänge gab es nur vom Schloss kommend auf der westlichen Terrasse, wo es dann in den überhangenen Mauergang in Richtung Pompejanum ging oder hinunter nach rechts in den Schlosspark, der ebenfalls schon Teil der Ausstellung war. Der Zugang durch das Tor in der Ridingerstraße wurde für die Dauer der Ausstellung gesperrt, ebenso der Südaufgang zur St.-Germain-Terrasse vom Main hinauf, der kleine Abstieg hinter dem Frühstückstempel, der Eingang vom Spielplatz hinter dem Kapuzinerplatz und auch jener an der Ecke Hanauer Straße gegenüber des „Goldenen Ochsen“. Man konnte nur über die Pompejanumstraße in die AB-ART-DOOR hinein. Die dritte Zugangsmöglichkeit war unten am Main, von den nördlichen Treppen, die hinauf zur St.-Germain-Terrasse führten entlang des Weinbergs. Es war ein würdiger Eingang zur Ausstellung. Man gelangte über die Treppen in eine Art überdachten Vorraum, wo die Karten verkauft werden sollten und stieg dann weiter nach oben und erreichte die Ebene der St.-Germain-Terrasse in einer Art buntsandsteinernen Säulentempel. Drei Eingänge, die mit Zäunen, Türen, Gittern undsoweiter konzipiert werden mussten. Sie mussten gesichert und natürlich auch personell besetzt werden.
Es war ein langer Streit, bei dem sich das Team auch nicht viele Freunde in der Bevölkerung gemacht hatte. Um genau zu sein, war das Ganze in Bezug auf die Öffentlichkeitsarbeit des Kurators in einer Katastrophe geendet. Der Wunsch nämlich, das Areal möglichst schon ab dem Tag für die Öffentlichkeit zu sperren, an dem die Künstler mit ihren Arbeiten begannen, brachte die ach so gelassenen Aschaffenburger in Wallung.
Die Bürger wollten nicht einsehen, dass schon die Schaffung eines Kunstwerks Kunst ist, dass der Entstehungsprozess ja schon Spannung und künstlerische Erleuchtung bieten kann. Sie wollten aber auch nicht zugeben, dass dann alle Aschaffenburger bis kurz vor der Sperrung umsonst über das Gelände geschlendert wären und dann natürlich nicht mehr das Bedürfnis haben würden, die fertige Ausstellung zu besuchen.
Und natürlich waren auch die Künstler strikt dagegen, den Aschaffenburgern auch nur einen Tag die Möglichkeit zu geben, zuzusehen, wie die Werke entstanden. Der Prozess war ein Leiden. Ein Zweifeln. Ein Schaffen und Zerstören. Eine Katharsis. Ein Prozess, in dem die extrovertierten Künstler bisweilen auch merkwürdige Verhaltensweisen zeigten. Da hörte man leises Wimmern, Wutschreie hallten über den Main bis zum Volksfestplatz, rumpelstilzchenhafte Freudentänze wechselten sich ab mit Selbstkasteiungen, krisenbedingtem übermäßigem Schlappeseppel-Konsum, Stöhnen, Summen, Singen, Brüllen, Vernichten, Zerschlagen, Verzweifeln.
Rezension: Biergarten-Asyl – Aschaffenburger Parkgeschichten
Neues aus der regionalen Literaturszene: Der Autor der Aschaffenburger Kneipengeschichten und der Aschaffenburger Schlossgeschichten hat nachgelegt. Michael Seiterle hat sich mit seinem Band „Biergarten-Asyl“ nun die Aschaffenburger Parks vorgenommen. In sechs Kurzgeschichten werden die Grünanlagen Aschaffenburgs zu dramatischen Schauplätzen von Verrat und Vertrauen, Lebenslust und Liebesfrust, Mord und Mysterien.
Wie auch schon bei den Schlossgeschichten beweist Seiterle dabei nicht nur sein literarisches Geschick, sondern auch sein Talent, die realen Plätze und Gegebenheiten unserer Heimatstadt mit fiktiven Storys zu bereichern – ohne dass es aufgesetzt oder fehl am Platz wirkt. Mit einer gehörigen Prise Humor und einer fundierten Kenntnis der Schauplätze führt uns der Autor in den Nilkheimer Park, den Schönbusch, den Schlosspark, ins Schöntal, auf die Großmutterwiese und natürlich in die Fasanerie.
So vielfältig wie unsere Parks sind auch die Themen und Schicksale, die Seiterle anpackt: Es geht um Fremdenfeindlichkeit, moderne Kunst, Samenspenden, Faschingsmorde, Schnitzeljagden und sogar um einen Agentenaustausch. Die Geschichten sind spannend, lustig, ironisch, nachdenklich, tiefgründig und echt aschebescherisch. Ein Muss also für jeden Aschaffenburger – und auch absolut lesenswert für alle Anderen!
„Biergarten-Asyl – Aschaffenburger Parkgeschichten“ ist im Alibri-Verlag erschienen und kostet 12 Euro.