Helmut Schmidt war schon immer sehr treffsicher in seinen Aussagen. Eben auch mit seinem Kommentar „In der Krise beweist sich der Charakter.“ Noch bevor ich mir weitere Gedanken machen möchte, ob mir ein besserer Leitgedanke für die aktuelle Situation einfällt, als die Aussage unseres Altkanzlers – R. J. Reynolds hab’ ihn selig –, habe ich beschlossen, dass damit alles gesagt ist. Für mich persönlich, für mich in Bezug auf meine Heimatstadt und für mich und meinen Blick über den lokalen wie auch nationalen Tellerrand.
Für viele meiner Mitmenschen und Mitbürger war und ist es immer noch selbstverständlich anzupacken. Wo? Egal, Hauptsache, es passiert. Ich sehe das für mich persönlich ähnlich. Eine ganz wunderbare Dynamik ist an vielen verschiedenen Stellen zu beobachten. Sie hat in ihrer Präsenz eine derartige positive und starke Power, dass man Gänsehaut vor Rührung bekommt.
Wir stehen vor einer Aufgabe, die ausnahmsweise mal nicht vor unserer Heileweltwohlstandshaustür Halt macht. Eine Herausforderung, die uns allen gerade vor Augen führt, wie es sich anfühlt, nicht aus dem Vollen schöpfen zu können, auf andere Rücksicht nehmen zu müssen und vielleicht sogar dort zu helfen, womit man eigentlich gar nichts zu tun hat.
Die besten Freunde der Pandemie und des daraus resultierenden wirtschaftlichen Supergaus sind Egoismus und Ignoranz. Und genau da sind wir beim Thema. Einerseits entwickeln sich die schönsten Solidaritätsszenen, -ideen und -gespräche. Plötzlich tauschen sich Menschen untereinander aus und reichen sich die Hand, die vorher niemals auf die Idee gekommen wären, gegenseitig auch nur einen kleinen Finger füreinander zu rühren.
Bei vielen Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen/Ämtern, Veranstaltern, Gastronomen erwarten einen ausgebreitete Arme, wenn man mit außergewöhnlichen Vorhaben und Alternativlösungen samt Mitfinanzierungsappell um Hilfe und Aufmerksamkeit samt zugehörigem Gehör bittet. In erster Linie nicht für sich selbst, sondern um anderen eine Öffentlichkeit zu verschaffen, die sie sonst vielleicht nicht bekämen. Lokal und unmittelbar.
Ich habe schon vieles gelernt in den letzten Wochen. Ich habe gelernt, dass – entgegen meines sich immer mehr festigenden Eindrucks der letzten Jahre – die meisten Menschen dann doch Respekt, Toleranz und Nächstenliebe kennen/können. Ich habe gelernt, gefühlt täglich die Inhaltsplanung für die kommenden Magazine über den Haufen zu schmeißen, Aufträge noch und nöcher wegplatzen zu sehen ohne gleich in völlige Existenzpanik zu verfallen, Meetings nur noch über Facetime abzuhalten und sich trotzdem zu freuen, sein (meist im Gesicht und auf dem Kopf völlig zerzaustes, schlabberklamottiges) Gegenüber mal wieder zu sehen, trotz allergischen Asthmas durch einen Mundschutz zu atmen. Dass Schweinheims Exe und alles dazugehörige Terrain neuerdings der Hotspot der halben (E-Bike-)Welt zu sein scheint sowie im Stadthallenparkhaus auf U1 um 17 Uhr mit zwei weiteren Autos die Etagenvollbesetzung darzustellen. Und das situationsbedingte Lernen nimmt noch lange kein Ende. Für manches Erlernte bin ich obendrein sogar sehr dankbar und auch ein FRIZZen-Horizont darf gerne mal erweitert werden. ;-)
Woran ich mich nicht gewöhnen werde und will, ist die Ignoranz und mangelnde Kooperationsbereitschaft Weniger, die helfen und Rücksicht nehmen oder kooperieren könnten, es allerdings per se nicht tun. Obwohl es sie noch nicht einmal belasten würde – weder physisch, noch psychisch, noch finanziell. Krisenleugner, Vogelstraußpolitiker, Alleskleinredner, Selbstverherrlicher, Nichtinfragesteller, Verschwörungstheoretiker, Menschlichkeitsabstinenzler – sie alle haben eines gemein: einen miesen Charakter. Latent allen schon immer klar gewesen, in der Krise so richtig deutlich geworden. In ihrem Zusammenhang erhält unser FRIZZgeschaffenes Corona-Wort #AUSSIZZEN einen ganz anderen Beigeschmack. Denn Anfragen, persönliche Gespräche, Hilfe, Stellungnahmen oder einfach ein Anpacken und Mithelfen wird schlichtweg ausgesessen. Noch nie waren diese Menschen stiller als jetzt. Ich gönne diesen charakterschwachen Herzlosen, auch irgendwann einmal unverschuldet in Abhängigkeit zu geraten.
Doch abgerechnet wird bekanntlich immer erst am Schluss – und für so Manchen freue ich mich jetzt schon auf den den Tag der Subsummierung, wenn auf der Habenseite nicht viel vermerkt ist. Denn dann wird auch der Beratungsresistenteste einsehen, dass Geld, Status und Position keinen schönen Menschen ausmachen, mit dem man sich gerne umgibt.
„Dies ist nicht die richtige Zeit für Fragen,
und auch nicht die richtige Zeit für Tränen.
Dies ist nicht die Zeit zu schlafen,
jetzt wo wir gerade kämpfen,
und dies ist nicht die Zeit zu sterben.“ (Fury in the Slaughterhouse)