Um eines direkt zum Einstieg klarzustellen: Im folgenden Artikel geht es um durchgehend gute Nachrichten aus Bereichen, die ansonsten eher mit besorgniserregenden Neuigkeiten in den Schlagzeilen stehen. Wer also Lust auf ein tolles Projekt hat, das Hoffnung macht und vollkommen zu Recht einen internationalen Award abgeräumt hat, soll und muss unbedingt weiterlesen. Alle anderen übrigens auch.
Um aber noch besser zu verstehen, warum das folgende Projekt so eine herausragende Stellung einnimmt, müssen wir dann doch erstmal Richtung Abgrund blicken und ein paar wohlbekannte wie furchteinflößende Schlagwörter in den Ring werfen: Fachkräftemangel, Pflegenotstand, Kliniksterben, Krankenstand, chronische Unterbesetzung und Überbelastung sowie ein marodes Gesundheitssystem. Alles Herausforderungen, mit denen auch das Klinikum Aschaffenburg seit geraumer Zeit massiv zu kämpfen hat und die das Bereichernde am Pflege- und Gesundheitsberuf zunehmend verblassen lassen.
Wie kaum ein anderer Berufszweig benötigt die Pflege Menschen, bei denen Begriffe wie Leidenschaft, Enthusiasmus, Empathie, Ausdauer und Leidensfähigkeit in der DNA großgeschrieben und fett hinterlegt sind. Und die es darüber hinaus noch aushalten, als erste an der Front die Auswirkungen der Schreckensnachrichten abzubekommen.
Kein Wunder also, dass Sätze, wie „Ich arbeite gerne in der Pflege, aber die Bedingungen machen mich kaputt“, heute eher die Regel als die Ausnahme sind. Wie also neue Bedingungen schaffen? Wie neue Impulse setzen? Wie die Motivation neu entfachen? Und wie in einem Arbeitsumfeld, das nun mal keine Feiertage, Öffnungszeiten, Nine to Five oder Betriebsruhe kennt, Anreize für potenzielle Auszubildende, Dual-Studierende oder Neueinsteiger schaffen, die inzwischen andere Ansprüche an ihren Arbeitsplatz stellen, als nur eine faire Entlohnung?

© Klinikum Aschaffenburg-Alzenau
Meine Station C03
Meine Station: Ein Leuchtturmprojekt für selbstorganisierte Zusammenarbeit
Mit „Meine Station“ wurde im Klinikum Aschaffenburg ein Pilotprojekt auf den Weg gebracht, das neue Wege der Zusammenarbeit definiert, Raum zur Mitgestaltung gibt und somit aktiv die Wertschätzung der Arbeit auf allen Seiten erhöht. Basierend auf den Workshops des The Loop Approach® von TheDive haben Ärzte und Pflegekräfte gemeinsam Prozesse definiert, um Selbstorganisation in den Arbeits- und Stationsalltag zu integrieren und berufsgruppen- und hierarchieübergreifend gemeinsame Entscheidungen zu treffen und Strukturveränderungen einzuleiten. Mit dem Effekt, die persönlichen Bedürfnisse von Ärzten, Pflegepersonal und Patienten bestmöglich in den Arbeitsalltag integrieren zu können und den Ausbau von persönlichen Kompetenzen beim Personal mehr in den Fokus zu stellen.
Der Unterschied zu herkömmlichen Stationen im Klinikbetrieb liegt vor allem darin, dass alle Strukturen und Prozesse nicht „von oben“ oder extern diktiert, sondern von den Mitarbeitern selbst entwickelt und angepasst werden. Das ermöglicht auch, dass die Patienten aktiv in ihren Heilungs- und Behandlungsprozess einbezogen werden können, was sich beispielsweise an den neu definierten Tagesroutinen im Bereich Visite, Essen und Patientenschulungen niederschlägt.
Die Köpfe hinter „Meine Station“
Initiiert und federführend aufgebaut wurde „Meine Station“ von Prof. Dr. Hubertus Schmitz-Winnenthal, Chefarzt der Allgemeinchirurgie, der sich schon länger mit neuen Formen und Wegen der zielführenden Zusammenarbeit beschäftigt. Gemeinsam mit Nadja Nardini, Beraterin für Orga- und Teamentwicklung, entwickelte er ab Mai 2022 die neuartige Station und wurde dabei von dem Organisationsentwickler Felix Herter und der Ärztin Helene von Bremen unterstützt. Sie bilden das Grundgerüst, das seit dem Live-Startschuss für das Projekt Anfang 2023 von einem Stationsteam von 27 Mitarbeitern aus acht verschiedenen Berufsgruppen begleitet werden, die in neuen Arbeitsmodellen nach den jeweiligen Stärken und Kompetenzen gezielt eingesetzt und gefördert werden.
Der Effekt: Überschwängliches Feedback und ein Haufen Preise
All diese gemeinsamen Entwicklungen zahlen sich nach über einem Jahr des „neuen“ Stationsalltags im Klinikum auf vielen Seiten aus. Die Motivation und Identifikation der Mitarbeiter sind merklich gestiegen, nicht zuletzt, weil sie aktiv an Prozessen, Veränderungen und Entscheidungen mitwirken können. Und auch die wichtigsten Mitspieler auf der anderen Seite – die Patienten – sind voll des Lobes für und über „Meine Station“. Gerade der Umstand, dass sie aktiv in den Behandlungsablauf einbezogen werden und somit auch selbständiger ihre Genesungszeit beeinflussen können, wird sehr positiv bewertet.
Kein Wunder also, dass das Leuchtturmprojekt „Meine Station“ auch von externer Seite gewürdigt wird. Nach dem Förderpreis der DAK-Gesundheit, der Barbara-Stamm-Medaille des Bayerischen Gesundheitsministeriums und einem Sonderpreis für innovative Betriebsratsarbeit wartete im November der vorläufige Höhepunkt auf die Macher und Mitarbeiter: Beim „New Work Award“ 2023 wurde „Meine Station“ von einer internationalen Fachjury in der Kategorie „Modern Work Award“ der 1. Platz zugesprochen. Mit was? Mit Recht! Wir haben es ja eingangs erwähnt, das mit den guten Nachrichten. Und wir finden, davon sollte es noch viel mehr geben!