© Till Benzin
Dead End Obernau
Man kann es ja nicht oft genug betonen: Samstags ist das Fahren mit Bus und Bahn in Aschaffenburg kostenlos. Gratis. Für lau. Ohne Haken, Ösen und Hintertür. Kaum zu glauben, aber wahr! Obwohl – ein bisschen mitdenken muss man schon: Das sensationelle Angebot gilt nämlich nur im Stadtgebiet. Überquert man die Grenze zum Umland, wird man zur Kasse gebeten. FRIZZ gibt in dieser Serie deshalb Tipps zur Neuentdeckung unserer Heimatstadt.
Nachdem wir euch beim letzten Mal mit der Linie 1 ins Obernauer Industriegebiet mitgenommen haben, geht es nun völlig überraschend mit Linie 2 weiter (wenn das mal nicht wahrer Punkrock ist!). Linie 2 bringt uns in die nordwestliche Gegend Aschaffenburgs: Strietwald. Und obwohl dieser Stadtteil den meisten wohl wegen der dortigen Justizvollzugsanstalt oder der massen- und grauenhaften Ermordung von gackernden Mitgeschöpfen durch Verbrennung und Ertränkung bekannt sein dürfte – es gibt hier noch mehr zu sehen. Eine Almhütte, ein herrliches Beispiel für glühenden Fan-Fetischismus, eine Stätte der in Frieden Ruhenden, ein Gedenkstein für kranke Geister und exotische Bäume.
Aber der Reihe nach: Wir starten wie immer am Regionalen Omnibusbahnhof neben dem Hauptbahnhof in Aschaffenburg. Linie 2 fährt von Bussteig 5 alle halbe Stunde – ab 16.30 Uhr dann immerhin noch stündlich, was sich lohnen könnte, aber dazu später mehr. Der Bus rollt zur Endhaltestelle Waldbrunnenweg. Die Fahrt dauert etwa 17 Minuten und führt über die Glattbacher Überfahrt nach Damm. Glattbacher Überfahrt? Warum heißt die eigentlich so – warum nicht Dämmer Überfahrt? So eine Busfahrt regt zum Nachdenken an … Indes geht es durch die lange Lange Straße zunächst durch Damm. Am Dämmer Tor und an der FOS vorbei biegen wir in die Müllerstraße ein und hier springt gleich wieder eine Kuriosität ins Auge: Wer wusste schon, dass sich in der Müllerstraße ein „Empire of Taste“ befindet – ein Supermarkt mit russischen Spezialitäten. Tja – was New York kann, können wir auch – „Empire State“ oder „Empire of Taste“ – da sollte man im Aschaffenburger Stadtmarketing mal über eine Kooperation mit den Amerikanern nachdenken (im Sinne von „make Damm great again“). Wir kurven weiter durch Damm, es geht am Kegelzentrum „Bahnfrei Damm“ vorbei und dann über die Aschaff. Das Kegelzentrum wird übrigens im Fahrplan mit dem Zusatz „AB-Strietwald“ angegeben.
© Michael Seiterle
Strietwald
Wieder was gelernt. Im Strietwald ist es jetzt grüner, ruhiger und wohnlicher als im noch sehr städtischen Damm. Nach fahrplanmäßigen 17 Minuten spuckt uns der Bus in eben einem solchen Wohngebiet aus. Dann spazieren wir mal los. Es zieht uns nach Norden, zur hörbaren Autobahn, um zu erkunden, was dahinter liegt. Deshalb laufen wir den Waldbrunnenweg ein Stück zurück und entdecken ein herausragendes Beispiel von Fußball-Fan-Kultur. Ein wohl leidenschaftlicher Club-Fan hat sein ganzes Haus in den Vereinsfarben gestrichen, mit dem Logo verziert und natürlich weht auch vor dem Haus eine Fahne des 1. FC Nürnberg müde im Wind. Den Abstieg konnte aber auch das nicht verhindern…
Es geht weiter geradeaus, über einen Gehweg an einem kleinen Waldstück vorbei und schon stehen wir vor der Almhütte. Tatsächlich, in Aschaffenburg eine Almhütte (auch hier sollte man mal mit den Jungs aus Tirol über eine Marketingkooperation nachdenken …). In unserer „Almhütte zum Buddy“ gibt es gediegene deutsche Küche – allerdings samstags erst ab 17 Uhr! Deshalb würde sich hier eventuell auch ein späterer Start empfehlen. Die Rückfahrt im Almrausch wäre auch samstags bis 21.45 Uhr möglich – dann fährt der letzte Bus zurück in die Stadt.
Über einen Schotterweg parallel zur Autobahn wandern wir zur Autobahnbrücke. Kurz bevor es nach links über die Europäische Magistrale geht, bietet sich eine erste kleine Rast auf der einsamen Bank an. Von hier aus hat man einen weiten Blick über Damm und die ganze Stadt bis hin zum Schloss und über den Spessart. Nach der Brücke wird es ländlich. Grüne Wiesen, Felder, ein paar Schrebergärten begleiten uns bis zum Nordfriedhof. Auch hier gibt es eine gleichnamige Haltstelle – die aber nicht die Endhaltestelle ist – es geht noch weiter, selbst vom Friedhof aus. Das ist beruhigend und ein positives Symbol für ein Leben nach dem Tod…
© Michael Seiterle
Friedhof
Es ist nämlich so, dass manche Fahrten der Linie 2 einen Schlenker über den Nordfriedhof machen, bevor sie zum „Dead End“ im Waldbrunnenweg weiterfahren. Fünf Mal täglich (bis 15.14 Uhr) fährt der Bus direkt vom Bahnhof hierher in den Himmel oder die Hölle (je nach Passagier). Das ist ganz praktisch, denn von hier aus kann man natürlich auch wieder in Richtung Stadt einsteigen und spart sich so den Rückweg zum Waldbrunnenweg – je nach Zeitfenster also eine gute Option.
Es bleibt aber auf jeden Fall noch Zeit für einen Erkundungsspaziergang. Vom Nordfriedhof geht’s schräg links in den Wald hinein. Hier beginnt der Europäische Kulturwanderweg „Tulpenbaum & Co“. Auf dem acht Kilometer langen Rundweg durch den Strietwald kann man den Felsen des Turnvater Jahn, die Legende der Geschichte der Menzenmühle, einen geraubten Grabhügel, die Überreste eines Basaltsteinbruchs und exotische Tulpenbäume entdecken. Gleich zu Beginn findet sich auch ein Gedenkstein zum Trost für kranke Geister: „Für kranken Geist die beste Kur – find’st du im Schoße der Natur.“ Wie wahr, wie wahr… Wer tagsüber unterwegs und gerade zur rechten Zeit am rechten Ort ist, kann dann mit der Linie 2 direkt hier am Nordfriedhof wieder zurückfahren. Wer am späten Nachmittag den Strietwald erwandert, dem sei die Almhütte empfohlen oder auch die Gaststätte „Zum Wanderheim“ direkt hinter dem Friedhof, die um 17 Uhr ihre Pforten öffnet und mit bosnischen und deutschen Spezialitäten lockt (und übrigens auch Ziel der diesjährigen Spessart-Wander-Challenge ist – siehe FRIZZMIXX).
Für alle anderen gilt: Bis 16 Uhr geht’s im Halbstundentakt zurück von den Toten, kranken Geistern und Grabhügeln ins lebendige Zentrum von Aschaffenburg.