© Ralph Rußmann
Ralphs Corner_#5 Heisse Phase
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Zweimal am Tag ist heiße Phase. Grundsätzlich glänzt mein Tag mit einer angenehmen Arbeitsdichte. Nicht zu viel, nicht zu wenig. Ich habe immer was zu tun, sogar deutlich mehr als ursprünglich gedacht, aber an vielen Tagen dennoch ein wenig Zeit für die ein oder andere nichtsnutzige Tat. Ich kann Musik mit Bruno hören, Mails schreiben und beispielsweise auch mal nebenbei die Erstrundenpartie von Angelique Kerber gemeinsam mit ihm schauen. Bruno ist nämlich sehr sportinteressiert, das habe ich gleich gemerkt. Und nicht nur deshalb hab ich da auch kein schlechtes Gewissen bei. Es gilt nämlich, die Kinder früh genug an das Aktivsein heranzuführen. Bruno lernt Skiabfahrt, Tennis und Fußball früh kennen und kann sich so schon in ganz jungen Monaten gute Tricks und Kniffe von den Profis abschauen. Hier überlasse ich nichts dem Zufall. Aber soll das jetzt nicht Thema sein, vielleicht nochmal an späterer Stelle.
Wie gesagt: An weiten Teilen des Tages stimmt die sogenannte Work-Life-Balance und das Arbeitsaufkommen ist gut auf mich und meine Kompetenzen abgestimmt. Zweimal am Tag rappelt es jedoch in der Kiste und da kann es turbulent in Frankfurt-Praunheim werden. Situation 1 ist am frühen Morgen: Wir machen uns alle fertig, denn wir müssen das Haus verlassen. Situation 2 ist am späten Nachmittag: Die Familie findet sich wieder vollständig im Haus ein. Situation 1 ist mit Situation 2 nicht ganz zu vergleichen, weil Situation 2 noch mit etwas mehr Pulver und Dynamit versehen sein kann. Situation 1 habe ich in der Regel unter der Woche alleine am Knie. Meine Frau verlässt, wie erwähnt, um kurz nach sieben das Haus, da schläft meine Tochter noch. Jetzt beginnt aber das Problem. Meine Tochter ist an guten Tagen bereits in der Lage bis drei Uhr nachts auf Hochzeiten zu tanzen, aber morgens kann ein Kanonenschlag neben ihrem Bett abgefeuert werden, das juckt sie nicht im Geringsten. Hole ich sie aber aus dem Reich der Toten zurück, ist mein Sohn schon bereits leicht auf Pegel. Ich kann es ihm nicht verdenken, er ist hier ja schon über eine Stunde am Start und viel Programm bekam er noch nicht geboten.
Mein Sohn hat eigentlich ein sonniges Gemüt, aber er hat gerne Personen eng an seiner Seite. Dann kann kommen was will. Realisiert er, dass die Musik nachhaltig woanders spielt, kann er erst zur Panik, dann zur Penetration neigen. Während Bruno sich in die Verzweiflung schreit, beginnt meine Tochter langsam und nur mit steten Anweisungen von mir mit der Morgentoilette. Ein Phänomen: Kinder können sich in der Früh auf den Badteppich setzen und eine Stunde mit einem Socken in der Hand in genau der gleichen Stellung verweilen. Eingefroren. Aber Hauptsache warm. Ab sofort springe ich von einem Kind zum anderen. Hier lasse ich Nachsicht walten und schenke Wärme und Liebe, er ist ja noch klein und kann nicht anders, dort benötige ich klare, eindeutige Aufträge. „Auf die Toilette. Jetzt. Sofort.“ Meine Tochter hat in dieser Zeitspanne das Zeug zum Pulverfass. Zähneputzen, Waschen, Anziehen, die Uhr läuft. Und in der Regel gegen uns. Bis wir zum Flechten und Pausenbrot schmieren kommen, ist Bruno völlig außer sich. Ich überlege, ob ich jetzt schon ein Bier trinken kann, entscheide mich aber jeden Morgen aufs Neue dagegen. Das glaubt keiner, das kann aber anstrengender als ein Dienstgespräch mit fünf Sozialpädagoginnen sein. Obwohl …, nein, das stimmt auch wieder nicht.
Bruno hat jetzt auf vieles Bock, aber niemals auf den Schneeanzug und den Kinderwagen und spätestens in diesem Augenblick klingeln Franz und Frieda. Das sind die Zwillinge von nebenan, die seit geraumer Zeit auch den gleichen Kindergarten besuchen. Ich verstehe die Beiden nicht immer so gut und brauche manchmal ihre Eltern als Hilfe. Kürzlich standen beide in unserem Flur und Franz erzählte etwas von „Teltung“. Ich dachte, seine Mutter habe eine Telefonkonferenz, kurz Telko. Woraufhin die Schwester selbst korrigierend eingriff und meinte, dass sie eine „Telkung“ habe. Frieda war erkältet. Ach so. So versuche ich in der Früh herauszufinden, wer heute bringt. Franz und Frieda werden nicht gerne von mir gebracht, meine Tochter kann grundsätzlich in diesem Tagesabschnitt auch auf mich verzichten, denn sie findet das bereits mit viereinhalb uncool. Ich befürchte manchmal, sie will mit zehn Jahren bereits ausziehen. Aber egal wie die Entscheidung ausfällt, bringt der Nachbar oder bringe ich, völlig gleich. Die erste Schlacht ist geschlagen, sobald die Tür vor oder hinter mir ins Schloss fällt. Selbst drei radelnde Berserker können mich dann nicht mehr aus diesem mühsam erarbeiteten Zustand innerer Zufriedenheit schießen. Das Gröbste wäre zunächst geschafft. Aufs geht’s Bruno, Tempo! Um 10 Uhr beginnt das nächste Spiel bei den Australian Open. Und der Tag ist noch lange nicht geschafft.
Bruno und ich hören: The Notwist „Neon Golden“ (City Slang)