GEMEINSAM STARK
Der 6.1. war ein großer Tag. Ein großer Tag für ein unschlagbares Trio. Der Tag, an dem der Verein „Junges Leben am Untermain“ aus der Taufe gehoben wurde. Kein Verein, der sich extravaganter Freizeitgestaltung widmet, sondern der auf einem traurigen Fundament wurzelt. Dabei ist der Wunsch, den Marie Lorscheider, Leonie Weber und Justin Kultau äußern, ein bescheidener: Alle drei wollen lediglich dort leben, wo sie sich am wohlsten fühlen. In der Nähe ihrer Familien. In ihrer Heimat.
Doch leider ist es alles andere als selbstverständlich, dass das Dreigespann seinen Wohnort selbstbestimmt wählen kann: Die 17-jährigen Mädchen und der 18-jährige Justin erblickten mit unterschiedlichen Behinderungen das Licht der Welt, die die Familien früh vor große Herausforderungen stellten. Der Spagat zwischen Ergo-, Logo- und Physiotherapie gehörte zum Alltag, genauso wie kritische Blicke des gesellschaftlichen Umfelds. Der schulische Weg führte die Heranwachsenden aus Aschaffenburg sowie die Mainaschafferin Marie ans Förderzentrum mit dem Förderschwerpunkt körperliche und motorische Entwicklung im alten Schweinheimer Schulhaus, danach ins Fünf-Tages-Internat im Zentrum für Körperbehinderte in Würzburg-Heuchelhof, in dem nicht nur die Selbstständigkeit der Schüler gefördert, sondern jene auch darauf vorbereitet werden, im Anschluss eine Behindertenwerkstatt oder Tagesförderstätte besuchen zu können.
Doch nun, da der Tag der Entlassung in greifbare Nähe rückt, stellt sich die Frage: Umzug in ein Wohnheim? Ein Wohnheim, das sich womöglich etliche Kilometer entfernt vom gewohnten Lebensmittelpunkt der Jugendlichen befindet? Für Justins Mutter ein Unding: „Mein Sohn soll selbst entscheiden dürfen, wo er leben möchte und nicht zwangsumgesiedelt werden“, erklärt Nicole Kultau. „Die Lebenssituationen von erwachsenen Menschen mit Behinderung müssen dringend verbessert werden“, pflichten ihr Susanne Lorscheider und Sabine Weber bei. „Leider müssen wir enorme Pionierarbeit leisten. Es fehlen engagierte Personen und bei Ämtern und Behörden scheitert es bislang an so genannten Zuständigkeitskompetenzen“, erklärt das Trio.
Gemeinsam mit anderen betroffenen Eltern haben die drei Mütter, die längst Freundinnen geworden sind, Wohnheime unter die Lupe genommen – von Würzburg bis Kempten. Die Chancen, in der Nähe der Familien leben zu können, stehen für die gehandicapten Frohnaturen schlecht. „Es wurde einfach versäumt, für unsere Kinder einen Platz in der Heimat zu schaffen“, so Nicole Kultau. Neue geeignete Wohnheime, größere Wohngruppen oder alternative Lebensformen seien in der näheren Umgebung nicht geplant. Zuständige Stellen sähen zudem keinen Handlungsbedarf. „Circa 550 Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre in Stadt und Landkreis Aschaffenburg sind auf alternative Wohnmodelle angewiesen, über 55 geeignete Plätze fehlen“, erklärt Susanne Lorscheider. Die Idee eines Mehrgenerationenwohnhauses mit Schwerpunkt Inklusion in Aschaffenburg sei aus „Finanzierungsgründen“ verworfen worden.
„Jammern bringt nichts“, erklärt Nicole Kultau. „Individuelle und innovative Lösungen sind gefragt. Wir wollen für unsere Kinder eine Zukunft in Aschaffenburg aufbauen und Inklusion leben.“ Wohnen, Arbeiten sowie Freizeit in der Nähe von Freunden und Familie – bescheidene Wünsche von Eltern behinderter Kinder, die sich stark machen. Gemeinsam. Für ihre Heranwachsenden, die, gerade weil sie sowieso oft am Rande der Gesellschaft stehen, doppelte Unterstützung verdient haben – auf einem vermutlich noch langen Weg.