©Till Benzin
Couch Geplänkel
Musiker-Blind-Dates als regelmäßiges Format für FRIZZ Das Magazin? Die Idee kam – wie viele andere auch – völlig spontan und an einem beliebigen Ort. Entweder war es unter der Dusche, kurz bevor beim Metzger die Mettbrötchen-Bestellung aufgegeben wurde oder beim morgendlichen Stop-and-go vorbei an Nilkheimer Park, Soccerhalle und Flugfeld. So eine Situation halt und der Geistesblitz war da: Lass uns zwei Mucker zusammenbringen und schauen, was passiert …
Thematisch völlig ohne Vorgaben, von uns aus auch gerne über das Wetter, den bevorstehenden Urlaub oder die Panne auf dem Weg zum letzten Gig – oder die Musik eben. Ebenso offen waren die jeweiligen Genres. Hier galt sogar eher der Wunsch „Je gegensätzlicher, desto besser“. Zum Schluss noch die goldene Regel: Keiner der Teilnehmer sollte im Vorfeld wissen, auf wen er trifft. Diese Regel wurde noch nie gebrochen, wenngleich nicht wenige Teilnehmer durch allerlei perfide Tricks versucht haben, uns den Namen ihres Gesprächspartners zu entlocken. Zudem kam natürlich immer die spannende Frage, ob sich die Kombattanten bereits kennen, mögen oder vielleicht so gar nichts miteinander anfangen können. Uns war ziemlich schnell klar, dass ein derartiges Format für alle Beteiligten ziemlich viel Sinn macht. Schließlich bietet Aschaffenburg eine unfassbar vielfältige, brodelnde, kreative und durchweg starke Szene an Musikern und Bands, die man aufgrund ihrer Bedeutung für das kulturelle Leben in unserer Stadt nicht oft genug würdigen kann. Zudem bedeuten diese
Geplänkel-Runden für uns FRIZZen nicht nur den persönlichen Kontakt mit durchweg spannenden Leuten und deren Ansichten, sondern eben auch die ein oder andere bierselige Runde, die – nicht selten – weit länger ging, als man es auf anderthalb Seiten überhaupt nur ansatzweise wiedergeben kann. Typische Win-win-win-Situation. Und so trafen bereits 19 Mal Jazzer auf Hardrocker, Cover-Hasser auf Cover-Drummer, Metal-Frontmann auf Partyband-Gitarristen, Indie-Mucker auf Urgestein, Soul-Keyboarder auf Trashmetal-Bassist, Alternative-Rocker auf Tribute-Musiker, Ziggomann auf Splatter-Popper, Saxofon-Legende auf angstbefreite Sängerin, Didi Beck auf sich selbst, Blocker auf den Weihnachtsmann und und und.
Auch wenn wir direkt fünf Euro ins Phrasenschwein stecken müssen, können wir trotzdem nur ein Fazit ziehen: Das eine, wirkliche Highlight gab es nicht – vielmehr waren durchweg alle Geplänkelrunden auf ihre jeweils eigene Art und Weise ein absolutes Highlight. Schließlich wurde unsere Hoffnung zur Gewissheit, dass Mucker, ganz egal, was sie machen und woher sie kommen, sich immer was zu sagen haben. Dabei waren konträre Meinungen ebenso erwünscht und auch vertreten wie die oftmals überraschende Einigkeit in spezifischen Fragen, die man von Haus aus so nicht erwarten konnte.
Kleine Anekdoten
Was immer herrschte: Respekt vor dem Gegenüber, seiner Arbeit und seiner Einstellung zur selbigen (ausgenommen beim legendären Duell zwischen Didi Beck und seinem Alter Ego Bone Mark King). Und doch, natürlich gab es sie – die kleinen Anekdoten, an die wir uns sofort erinnern, wenn wir die vergangenen Monate Revue passieren lassen. Direkt zum Einstieg, nennen wir es einfach unseren Testballon, brachten wir den bekannten Jazz-Saxofonisten Peter Linhart mit dem international erfahrenen Hardrock-/Metal-Gitarristen Chris Heun zusammen – und zwar in der Casa Linhart im beschaulichen Obernburg. Hatten sich die beiden, die sich bis zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht kannten, überhaupt etwas zu sagen? Und ob! Aus dem geplanten 90-Minuten-Schnack entwickelte sich ein fünfstündiges (!) Gespräch, man spielte sich gegenseitig seine Musik vor, fachsimpelte, lobte, kritisierte, lachte und stritt sich. Mit zwei Folgen: Erstens finden seit diesem Abend die Gespräche auf der Rock ’n’ Roll-Couch in der FRIZZschen Redaktion statt, damit wir die Zeitschiene zumindest ein bisschen im Griff behalten können. Die Zweite ist die viel schönere, denn zwischen Peter und Chris hat sich eine echte Freundschaft entwickelt. Man trifft sich in unregelmäßigen Abständen, bekocht sich gegenseitig mit mehrgängigen Menüs und lässt diesen Abenden gerne die ein oder andere Flasche Rebensaft zum Opfer fallen.
Eine weitere Paarung, die uns aus ähnlichen Gründen im Gedächtnis bleiben wird, war die mit Oli Klump, Sänger der Celtic-Metalband Minotaurus und Waterproof-Gitarrist Jan Stürmer. Wir waren uns im Vorfeld ziemlich sicher, dass die beiden Herren, aufgrund der Welten zwischen ihren musikalischen Betätigungsfeldern, noch nie etwas miteinander zu tun hatten. Falsch gedacht. Als Jan nach staubedingter Verspätung einlief, folgte zu unserer Verwunderung eine mehr als herzliche Begrüßung zweier augenscheinlich dicker Kumpels. Wie wir erfuhren, kannten sich beide schon sehr lange aus gemeinsamen Studiotagen, hatten sich aber in den letzten Jahren ein bisschen aus den Augen verloren. Umso netter war dieses unverhoffte Wiedersehen, das nach dem offiziellen Teil beim gemütlichen Bierchen noch lange fortgeführt wurde – wofür Jan sogar spontan sein bestehendes Date zum Fußballschauen abgesagt hat.
Konträre Ansichten & nette Gesten
Eine ähnliche Fortführung fand das Geplänkel zwischen Holger Stenger aka Joe Schocker und Dead-Energy-Mastermind Stefan Appel, die bis dato noch nie persönlich miteinander zu tun hatten. Waren die beiden während des Gesprächs bereits kurz davor, spontan als Straßenmusik-Combo durch die Herschelgass zu ziehen, wurden die Pläne direkt im Anschluss im Schlappeseppel weiterverfolgt. Ausgang ungewiss. Und sonst? Jürgen Wüst spielte spontan ein Ständchen auf einer Charango, die er aus dem jüngst absolvierten Peru-Urlaub mitgebracht hatte. Mit Corinna Lieb fanden wir genau eine der drei lebenden Personen in Aschaffenburg, die Joe Ginnane noch nie in ihrem Leben gesehen hatten. Letzterer wiederum offenbarte, dass er als Irish-Folk-Legende ein Fan von Eminem und Outcast sei. Jackaroos-Frontmann Thorsten Keil ließ sich nicht lumpen und machte aus der Geplänkelrunde mit Black-Hearts-Drummer Andi Köhler kurzerhand eine Craft-Beer-Verkostung.
Schlagwerker und Teilzeit-Viktoria-Stadionsprecher Andi Fries erfuhr, dass er um ein Haar seinen Gesprächspartner, Feel-Collins-Sänger Markus Kunkel, bei jedem Heimspiel als Torwart hätte vorstellen können und Saudi stimmte mit seinem Kontrahenten, Untertagen-Drummer Chris Grund, einen Hit von Nana Mouskouri an. Und dann natürlich noch Blocker, der dem Weihnachtsmann einfach mal seine ungefilterte Meinung unter die Mütze blies. Unter anderem. K(l)eine Geheimnisse und nette Gesten. Lustige Urlaubsstorys und tiefgehende Musiktheorie. Ernsthafter Kollegentalk und neue Freundschaften. Konträre Ansichten und ungeahnte Einsichten. Und stets viel zu lachen. Das wäre das Fazit aus den bisherigen Geplänkelrunden. Es gibt noch so viele grandiose Musiker in unserer Stadt – wir melden uns dann wieder zum fuffzigsten Jubiläum!