Seit über drei Jahrzehnten fegt der wortgewaltige Kabarettist nun schon durch die Republik – und nimmt dabei ungern ein Blatt vor den Mund. Umso spannender, mit dieser herausragenden Persönlichkeit des deutschen Humorfachs im Vorfeld seines anstehenden Aschaffenburg-Termins noch mal schnacken zu können. Es wurde ein ungewohnt offenes Gespräch über Corona, die eigenen Ängste und die der anderen, frustrierte Männer, Baumarktlampen im Wohnzimmer und Magenschmerzen in Aschebersch. Fazit vorweg: sympathischer Mensch und toller Typ, dieser Ingo Appelt.
Das Telefon klingelt einige Minuten nach der angekündigten Uhrzeit …
Ingo Appelt: Sorry für die Verspätung, aber ich habe das vorangegangene Interview überzogen. Ich bin nämlich aktuell echt in Quatschlaune …
FRIZZ Das Magazin: In Quatschlaune?
Die Zeit gerade ist ja echt aufreibend und ich bin einfach froh, wenn ich ein bisschen was quatschen kann. Ich war neulich bei Katrin Bauerfeind in der Sendung und habe anscheinend auch da geredet wie ein Wasserfall (lacht).
Wenn man mal die grundsätzlichen Faktoren sieht, sprich aktuelle Tour und aktuelles Programm, wäre so ein Gespräch zwischen uns beiden ja eigentlich „Business as usual“ …
… ist es aber nicht. Alles, was wir gerade machen, ist nicht normal. Ich spiele völlig unterschiedliche Editionen des Programms, mal Kurzversionen, mal mit Pause, mal ohne, mal vor Autos – ich mache alles Mögliche und irgendwie quasi seit 35 Jahren immer ein Best-of-Programm. Im Moment freue ich mich einfach, dass überhaupt etwas stattfindet. Ich bin ja demütig geworden (lacht).
Mit dieser alles beherrschenden Pandemie-Wolke über unseren Köpfen: Haben Sie als Künstler überhaupt noch Bock, über Corona zu sprechen?
Ich rede ja nicht nur über Corona, sondern ich mache meine Witze darüber. Das ist ja eine Art Aggressionsbewältigungstherapie, ich nenne das „betreutes Hassen mit Ingo Appelt“ (lacht). Da passiert es dann beispielsweise, dass mich das Publikum mit „Ingo, komm wieder raus, du Drecksack, wir wollen wieder lachen!“ zur Zugabe zurück auf die Bühne ruft. Die Leute sind frustriert, verunsichert und haben Angst, teilweise durchaus forciert durch die Medien und Politik. Und ich sehe meinen Job darin, diese Ängste aufzunehmen und in Spaß zu verwandeln. Das ist in meinen Augen übrigens sehr wohl systemrelevant, zudem trägt das Spielen des aktuellen Programms auch dazu bei, dass ich selbst nicht in Depressionen verfalle. Ich kenne viele Kolleginnen und Kollegen, die gerade nicht spielen können oder dürfen und die wirklich am Rande einer handfesten Depression wandeln. Mein Job ist quasi mein Antidepressivum und dabei ist es mir egal vor wie vielen Leuten ich auftrete. Vor Corona habe ich vor 600 Leuten gespielt, jetzt bin ich happy, wenn 70 im Saal sitzen.
Es ist für Kulturbetriebe gerade richtig schwer, Zuschauer in die Locations zu bringen, oder?
Wir haben tragfähige Hygiene- und Sicherheitskonzepte in den Theatern und trotzdem haben die Leute Angst, dahin zu gehen. Es ist ein Wahnsinn. Vielleicht muss ich demnächst mal was Neues versuchen. Ich könnte mir vorstellen, mit dem „Lachturm“ in der Hand von Haus zu Haus zu gehen. „Guten Tag, ich möchte mit Ihnen über Ingo Appelt reden“, oder so ähnlich (lacht).
Sind Sie eigentlich auch deswegen froh, wieder auf Tour zu sein, damit Sie ihr eigenes Wohnzimmer nicht mehr zum Fernsehstudio für „Kabarett aus Franken“ umbauen müssen?
Ja, genau! Das war wirklich schräg, aber auch eine interessante Erfahrung. Ich war sogar im Baumarkt und habe mir Baustrahler gekauft, weil ich nicht genug Licht hatte. Versuch mal mit dem Handy ordentliche Aufnahmen hinzubekommen, wenn du einen gewissen Anspruch hast. Ich habe mir übrigens auch selbst den Bildhintergrund und einen Teleprompter gebastelt. Daher bin ich so dankbar, dass ich nun wieder in Fernsehstudios gehen kann, wo Kameras stehen, wo Techniker anwesend sind und wo du von Fachleuten geschminkt wirst, das löst bei mir echte Demut aus. Deswegen bin ich auch dem Publikum bei den Liveshows so dankbar. Sie kommen wegen mir und sorgen dafür, dass ich nicht durchdrehe. Denn wenn ich nicht auf die Bühne darf, bin ich unausstehlich (lacht). Aber im Ernst: Das alles ist nicht nur mein Job, das ist meine Berufung.
Sie sind damals bundesweit bekannt geworden als klassischer Comedian und Entertainer …
… ja, wobei ich ursprünglich als Kabarettist angefangen habe. Ich war schon immer politisch interessiert, war Jugendvertreter, Bildungsreferent, war in der IG Metall aktiv, bin SPD-Mitglied und so weiter. Und das steckt natürlich immer noch so ein bisschen in den Knochen.
Wie schwer ist der Spagat zwischen politischeren und leichteren Humorthematiken wie dem Verhältnis zwischen Mann und Frau?
Das Verhältnis zwischen Mann und Frau kann auch politisch sein, zumindest in meiner Herangehensweise. Ich sehe mich da eher in der Rolle des Männerberaters, der sagt „ihr müsst euch mal ein bisschen mehr anstrengen“. Trump, Johnson, Erdogan – du siehst ja aktuell nur frustrierte Männer, die die Welt umdrehen. Im nächsten Bundestagswahlkampf werden wir auch überwiegend männliche Kandidaten sehen, das ist grauenhaft. Das ist also für mich schon ein sehr politisches Thema. Aber ich mache den Job jetzt seit 35 Jahren und habe folgendes verinnerlicht: Je frustrierender ein Thema eigentlich ist, desto lustiger kann man das aufarbeiten. Das ist im Prinzip die Quintessenz meines Tuns, ich verwandele Wut und Frust in Humor.
Klingt nach Monsteraufgabe.
Das ist nicht immer einfach, von Leichtigkeit ist da oft keine Spur. Irgendwann hatte ich mir mal eine Auszeit gegönnt und war zehn Wochen auf Reisen. Kein Handy, keine Nachrichten, es ging mir super. Und dann kommst du zurück und musst dich wieder mit dem Irrsinn beschäftigen. So leicht ein solches Programm auf einen wirkt, da stecken unglaublich viel Arbeit, Frust und wachgelegene Nächte drin. Richtig schön verrückt wird es, wenn ich für „Nuhr im Ersten“ meinen Beitrag schreiben muss (lacht). Da brauche ich manchmal eine Woche für fünf Minuten. Eine Woche!
Stimmt es also, dass Humor das schwerste Handwerk auf der Bühne ist?
Dass es das Schwerste ist, möchte ich nicht sagen. Aber ich habe an mich selbst den Anspruch, dass das Publikum möglichst durchlachen kann. Wenn da mal zwei Minuten kein Lacher kommt, ist das für mich unerträglich. Deswegen knabbere ich auch heute noch so an diesem Abend, als sie mich mal mit der „Versteckten Kamera“ hochgenommen haben. Da hat das Publikum Ampelzeichen bekommen, dass es nicht lachen soll. Ich redete und redete und es kam nichts zurück. Und damit ist für mich ein Albtraum Realität geworden, der mich ernsthaft schon seit Jahrzehnten verfolgt (lacht).
Aber nochmal grundsätzlich zu meinem Job: Ich bin dazu da, Menschen glücklich zu machen. Das ist mein Ding, ich will und muss die aus diesem Irrsinn herausholen. Deswegen passt auch der Programmtitel „Staats-Trainer“ so gut, denn am liebsten hätte ich einen Staatsauftrag, herumzulaufen und die Leute in die Theater und Bühnen zu zwingen. Damit die mal wieder die Birne freibekommen. Man muss den Leuten klarmachen, dass jeder Besuch im Kabarett sicherer ist als eine kurze Fahrt mit der S-Bahn. Ich wünsche mir eine Kampagne, die das den Besuchern endlich klarmacht! Die Menschen brauchen Kultur, das tut gut und ist so unfassbar wichtig. Wir sind Menschen, wir brauchen andere Menschen und wir brauchen Unterhaltung, sonst bekommen wir doch einen Knall.
Sie hatten eine Zeit in Ihrer Karriere, in der Sie die riesengroßen Hallen gespielt haben. Jetzt sind kleinere Hallen oder Bühnen wie der Hofgarten ihr Zuhause. Was ist für Sie schöner?
Alles über 800 Leute geht für mich gar nicht mehr. Nachdem meine eigene Sendung damals abgesetzt wurde und ich von 3.000 Zuschauern auf 100 Zuschauer bei den Liveshows gefallen bin, hatte ich sehr zu kämpfen. Und ich hatte damals einen Ehrgeiz, meine alten Marken wieder zu erreichen und habe dementsprechend gehadert, auch als ich schon wieder die 1.000er Locations gespielt habe. Irgendwann aber habe ich gemerkt, dass diese Denkweise totaler Quatsch ist. Es ist für mich einfach viel schöner, 400, 500 oder 600 Gäste zu spielen, denn ich kann dann auch noch mit der letzten Reihe interagieren. Das war ein Erkenntnisprozess.
Gibt es eine Anekdote, die Sie auf immer und ewig mit Aschaffenburg verbinden?
Ich habe mal eine Zeit lang mit Urban Priol und Alfons im Hofgarten an der Konzeption einer Kabarettsendung fürs Fernsehen gearbeitet. Urban ist ein Wahnsinnstyp und es war unfassbar, in welcher Geschwindigkeit und in welche Richtungen sich die Ideen entwickelten. Das war selbst für mich zu schnell.
Was muss Aschaffenburg machen, damit dieser Abend der beste der gesamten Tour wird?
Ach, gerade im Hofgarten in Aschebersch bin ich doch total gerne! Ich bin einfach gespannt, wie der Abend unter den aktuellen Bestimmungen wird. Und da ich ja lange in Würzburg gelebt habe, freue ich mich auch immer, wieder in meine alte „Heimat“ nach Franken zu kommen.
Unsere Lieblingsfrage: Was ist das Allerletzte, das Sie tun, bevor Sie auf die Bühne gehen?
Das ist einfach. Ich nehme das Mikro in die Hand und laufe los. Ich gehe auf die Bühne wie andere Leute in die Küche. Das ist bei mir so drin, ohne weitere Rituale. Fertig!
Vielen Dank für das sehr nette und kurzweilige Gespräch!