Die Idee: „Ey, haste Bock auf’n gemeinsamen Dart-Magaziner?“, fragt mich Föb (und ja, ich schreibe ihn Föb mit ö und nicht mit dem superhippen schrägen Strich durch das o. Als ob der aus Skandinavien kommt. Der kommt aus’m Spessart, da braucht man so Zeug nicht. Meine Meinung) irgendwann mittags, sichtlich beschwingt durch das gemeinsam genommene Frühstücksweizen und erklärt mir seinen Plan vom Parallel-Protokoll eines Matchs. „Klar, hab ich!“, antworte ich sofort, durch angesprochenes Frühstücksweizen bereits hörbar im Modus der absoluten Selbstüberschätzung und dementsprechend garniert mit einigen breitbeinigen Kampfansagen. Wird’n Traum, denke ich mir.
Die Ausgangslage: Ich, Homeoffice-Schreiberling, hab’ ja „mal höher gespielt“. Nämlich in der achten Mannschaft eines Kneipenteams im Landkreis Miltenberg. Automatendart, eine Saison, als Ersatzmann. Vor über 20 Jahren. Föb wiederum sitzt jeden Tag in der Redaktion und daddelt nach Feierabend fast täglich mit dem Rest des FRIZZ-Kompetenzteams im Konfi auf der vor einigen Monaten aufgehängten Steeldartscheibe. Er ist voll im Training, ich jedoch habe letzten Sommer in der Männerhöhle eines Kumpels zum ersten und letzten Mal ’ne Runde Steeldarts gespielt. Und doch bin ich mir sicher, dass er gegen mich keine Chance haben wird.
Matchday: Da echte Dartcracks ja nicht nur Fanta trinken, fahre ich vorsichtshalber schon mittags mit den Öffis nach Nilkheim. Termine, Termine, ihr wisst schon. Der Plan ist, gegen 18.30 Uhr mit dem Bus weiter in die Innenstadt. Aufgrund des massiven Wintereinbruchs von 1,2 cm Neuschnee stellt die VAB aber um 17 Uhr den Busverkehr komplett ein. Dann also mit dem Taxi von Nilkheim in die Treibgasse. In der Hotline lacht man mich gnadenlos aus. Aufgrund der eingestellten Buslinien machen die Taxis gerade das Geschäft des Jahres – und man teilt mir unverblümt mit, dass man an einer 7,40 Euro-Fahrt wahrscheinlich kurz nach Ostern 24 wieder Interesse hätte. Hervorragender Einstieg in den Abend, wirklich wahr.
Mit einer Stunde Verspätung komme ich tiefgefroren und mies gelaunt bei den FRIZZen an. Statt Ally-Pally-Atmo erwarten mich mit Föb und Till zwei Gegner, die sich schon seit 45 Minuten einwerfen und mit Chef Dirk der einzige Zuschauer. Das Angebot der zwei MvG-Verschnitte, mich auch einzuwerfen, lehne ich jedoch ab und trinke lieber auf die Schnelle zwo Bier. Taktik ist alles.
Ach ja, da ich merke, dass ich noch nicht mal eigene Pfeile besitze, kramt Föb aus irgendeiner Schublade noch drei 0815-Darts für mich raus. Dankeschön! Gegen 20.30 Uhr geht’s loooooohooos. 501 Double Out, Best Of 3.
© Till Benzin
Dart
20.34 Uhr: Gleichmäßige Atmung, sicherer Stand, ich ruhe in mir. Jetzt direkt zum Einstieg ein Zeichen setzen, die Psychologie voll ausspielen und den Gegnern gleich mal zeigen, mit wem sie sich hier messen wollen. Einfach die Basics abrufen, dann sollten um die 100 zum Start schon drin sein.
20.35 Uhr: Ich werfe meine drei Darts mit traumwandlerischer Sicherheit und im Stil eines jungen Phil Taylor. In einem Pub irgendwo im Hinterland. Mit 40 Fieber und 13 Schnaps intus. Ergo: Mit einem grandiosen 7er-Score (5/1/1) eröffne ich den Abend.
21.02 Uhr: Chef Dirk hat sich übrigens für den Abend eine Herkulesaufgabe herausgesucht. Er will gerne mein Coach sein und legt seine Rolle irgendwo in Richtung Ulli Wegner an, der einen völlig ausgepumpten und chancenlosen Arthur Abraham mit dem Charme eines Berliner Taxifahrers und der Sachlichkeit eines schlecht gelaunten Klempners versucht wieder aufzubauen. Mit Bier in der einen und Fluppe in der anderen Hand.
21.17 Uhr: Anscheinend haben die beiden feinen Herren in ihren täglichen (!!) Trainingssessions inzwischen auch eine eigene Sprache erfunden, mit der sie ihre Scores dem jeweils anderen zum Eintippen ins digitale Chalker-Programm mitteilen. Statt 45 sagen sie „fünf Chelle“ und betonen das in einem ganz schlecht imitierten griechischen Akzent. Zudem versteht keiner außer den zwei Kraftwürfeln die passende Zählweise zu den kryptischen Anwürfen. Und ihre Erklärung dazu ist auch so diffus und labberig, dass da weder mein Coach noch ich durchsteigen. Komisch, sehr sehr komisch alles.
21.28 Uhr: Es rächt sich, dass ich aufs Einwerfen verzichtet habe. Kann zwar grob mithalten, aber so wirklich geil läuft’s nich. Vielleicht hilft noch mehr Bier? Garantiert hilft noch mehr Bier.
21.42 Uhr: Jetzt komm’ ich so langsam rein, nach den ersten vier Würfen ein Average über 60. Ich würde gerne im Tritt bleiben, aber Till muss aufs Klo und Föb geht Bier holen. Zwangspause und ich bin skeptisch, ob ich die Spannung hochhalten kann.
21.48 Uhr: Kann ich nicht. Ein Pub-Score jagt den nächsten.
© Till Benzin
Dart
22.00 Uhr: Mein Coach wechselt seine Strategie. Er zieht nach meinem Wurf nur noch kurz eine Augenbraue nach oben und blickt danach in die andere Richtung und aus dem Fenster ins Dunkel Aschaffenburgs. Klare Botschaft: Ein Blick ins blauschwarze Nichts ist interessanter, als meine Performance. Irgendwie hatter ja auch Recht.
22.06 Uhr: „Ein Chelles“, gegiggel, gegaggel. Panaiotis Sarikakis würde denen dafür frei weg ’ne Schelle verteilen. Und das zu Recht.
22.32 Uhr: Ist ja nicht so, dass ich komplett chancenlos gegen die beiden bin. Ab und zu komme ich in den Legs auch mal in Schlagdistanz und bin mittendrin im Check-out-Battle. Wobei spätestens dann die fatale Kombi aus fehlendem Glück und mangelnden Skills zuschlägt. Ok, wenn ich mir das nochmal durchlese, muss ich mich revidieren. Ich bin de facto chancenlos.
22.36 Uhr: Herr Benzin heißt bei mir jetzt nur noch Triple-Till. Und wenn’s so weiter geht, bin ich bald Triple-Tilt.
22.52 Uhr: „Verdammte Scheiße, ey! Konzentrier’ dich halt wenigstens einmal, du dummer Vollidiot“, schreit plötzlich irgendeiner völlig unnötig durch den Raum. Selbst der Coach zuckt erschrocken zusammen und lässt vor Schreck fast sein Bier fallen. Ich bin relativ schockiert über diesen schlicht unprofessionellen Wutausbruch, bis ich merke, dass ich es selbst war.
23.12 Uhr: Föb wirft an zum vielleicht entscheidenden Leg. Till hat den ersten Satz gewonnen und liegt im zweiten mit zwei Legs vorne, Föb konnte am ganzen Abend auch drei Legs für sich entscheiden. Und ich? Hätte jetzt gerne einen Schnaps.
23.31 Uhr: Letzter Check von Triple-Till, zack, smooth in die Double-wasweißichismirdochscheißegalinzwischen und ich frage mich „woran hattet jelegen?“ Na gut, dat fracht man sich immer, woran et jelegen hat und dann is’ ja auch noch nich klar, woran et jelegen hat. Ich gestehe vor Ort meine Niederlage ein, mache mir noch ein Bier auf und proste mit Coach und Gegner. Fair Play muss sein. Dann wird Whiskey gereicht. Tut gar nicht so weh. Die Niederlage und der Whiskey.
23.45 Uhr: Bis mein Taxi kommt werfe ich noch halbwegs deprimiert ein paar Pfeile zum austrudeln. Triple 20, Triple 20, Tops. Das Leben ist ’ne f#*&§*g B$*ch. Echt jetzt.
00.10 Uhr: Ich bestelle noch während der Taxifahrt gen Heimathafen meine ersten eigenen Steeldarts und eine Scheibe. Gehe jetzt ins Trainingslager und dann wird abgerechnet. Euch kriege ich! Wartet ab!
© Till Benzin
Jens und Føb
Die Spielregeln:
Dartscheibe
- 20 gleichgroße Segmente mit doppeltgezählten (äußerer Ring) und dreifachgezählten Punktzahlen (innerer Ring)
- Äußeres Bull mit 25 Punkten
- Inneres Bull „Bullseye“ mit 50 Punkten
Spielweise
In der Regel starten alle Spieler mit 501 Punkten, die sie auf exakt null herunterspielen müssen. Insgesamt werden drei Gewinnsätze mit genauso vielen Gewinnlegs gespielt. Das einzelne Leg darf nur mit einem Doppelfeld beendet werden. Höchstzahl dabei 50 – also Bullseye – bis hin zur niedrigsten Zahl Zwei – also das Doppelfeld der Eins. Alle Spieler werfen im Wechsel drei Dartpfeile in einer sogenannten Aufnahme. Der Highscore, den man dabei erreichen kann, sind 180 Punkte. Ein perfektes Leg wird mit neun Darts in drei Aufnahmen beendet. Das gelingt allerdings selbst den absoluten Vollprofis der Weltspitze nur selten.