2024 feiert das Aschaffenburger Programmkino Casino in der Ohmbachsgasse 20-jähriges Jubiläum. Nach erfolgreicher Wiedereröffnung des Traditionshauses durch Programmmacher Christopher Bausch und seinem Team ist das „Juwel der Filmkultur“ nicht mehr aus dem Herzen der Stadt wegzudenken.
Bausch und sein Team sind in diesem Jubiläumsjahr einerseits feierlich gestimmt, aber die gesellschaftliche Kulturverdrossenheit, das Innenstadtsterben und das veränderte Ausgehverhalten sind die Herausforderungen dieser Zeit. Nichtsdestotrotz bleibt der in Kronberg geborene und in Aschaffenburg aufgewachsene Bausch optimistisch gestimmt. Schließlich ist der heute in Frankfurt am Main ansässige Cineast ein Macher, Lenker und Kino-Visionär. FRIZZ DAS MAGAZIN hat den 20. Geburtstag zum Anlass genommen, den 46-jährigen Workaholic zum Interview zu treffen und über das Früher und das Heute zu sprechen.
FRIZZ Das Magazin: Hallo Christopher, lass uns gemeinsam in Erinnerungen schwelgen: Vor zwei Jahrzehnten , du warst damals selbst Mitte 20, hast du eine Ausbildung als Filmtheaterkaufmann abgeschlossen, im Kinopolis Main-Taunus in Sulzbach gearbeitet und ein Studium an der Filmakademie in Ludwigsburg in Filmproduktion begonnen. Was war für dich die Initialzündung, das Casino zu übernehmen?
Christopher Bausch: Tatsächlich gab es seinerzeit einen Bebauungsplan der Stadt Aschaffenburg für eine erweiterte Fußgängerzone. Mein Konzept eines Programmkinos für die Kulturstadt Aschaffenburg genoss dann durchweg durch alle Fraktionen wohlwollende Zustimmung, ansonsten hätte dem ehemaligen Kino ein Abriss gedroht. Es ist vor allem der Unterstützung des damaligen Oberbürgermeisters Klaus Herzog und Stadtentwicklers Bernhard Keßler geschuldet, dass es uns am Ende gelungen ist, das Konzept umzusetzen. Auch die Eigentümer der Immobilie, Eva und Klemens Kitz, sowie unser Architekt Bruno Grimm trugen mit ihrem Engagement zur Entstehung des Projekts bei. Für mich war das Ziel, dass Aschaffenburg ein Filmkunsthaus mit einem Programm abseits des Mainstreams, parallel zu den neu eröffneten Multiplexen jener Zeit, erhält. Auch der Fokus auf europäische Filmkunst sollte die Programmstruktur definieren. Wir haben uns sehr gefreut, dass dieses Angebot von den Aschaffenburgern von Beginn an sehr gut angenommen wurde.
Casino Filmtheater
Unzählige Kinofilmstarts, aber auch tausende von Sonderveranstaltungen mit unterschiedlichen Kooperationspartnern habt ihr als Team in den vergangenen Jahren möglich gemacht. Ist es ebendiese Interaktionskultur, die modernes Programmkino nach wie vor auszeichnet?
Davon bin ich überzeugt. Unsere Filmreihen, Filmgespräche und Themenabende sind das Herz des Casinos. Wo sonst trifft eine so diverse Gesellschaftsstruktur aufeinander wie beim Kino, um im besten Fall im Anschluss über das Gesehene zu diskutieren, neue Perspektiven zuzulassen und in den Austausch zu gehen. Es war schon immer unser ambitioniertes Ziel, ein facettenreiches Programm anzubieten und allen Vereinen, Instanzen und Mitgestaltern eine Plattform zu bieten. Man darf nicht vergessen, dass das Kino auch ein Ort des demokratischen Miteinanders ist. Auch wenn das heutzutage vielleicht etwas in Vergessenheit geraten ist.
Was begeistert dich nach 20 Jahren immer noch am Kino?
Ich war schon immer eher Gestalter und Kinomacher, mag aber auch die gastronomische Arbeit. Es ist schön, dass Menschen sich hier bei uns im Kino treffen können. Öffentliche Orte sind in Zeiten, in denen sich Menschen immer mehr zu Hause isolieren oder Kommunikation oftmals nur noch über Social Media oder das Internet stattfindet, wichtiger denn je. Mich beseelt nach wie vor die Idee, sich für einen Kinoabend mit Freunden oder Bekannten zu verabreden und beschwingt im Anschluss das Kino zu verlassen und sich bei Wein und Drinks darüber auszutauschen.
Die Ausgeh- und Kinokultur hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Auch die Filmkonsumgewohnheiten sind heute definitiv anders als vor 20 Jahren. Wie schätzt du denn diese Entwicklung ein?
Die Geschichte des Kinos war schon immer gesellschaftlichen Schwankungen und technischen Anpassungen an die Zeit unterlegen. Waren es in den 1980er-Jahren der Heimkinomarkt durch VHS-Kassetten, später dann der Verleih mit DVDs und Blu-Rays, wird heute medial das Streaming als potenzielle Konkurrenz gewertet. Ich hatte nie wirkliche Sorge davor. Nach der Pandemie hat sich bewahrheitet, dass das Kino die Lokomotive für Filme ist. Ohne Kino gibt es auch kein Streaming. Das Kino ist sogar gestärkt aus der ungewollten Corona-Streaming-Phase hervorgegangen. Studien haben aber ergeben, dass Filmfans nach wie vor das Kino als „Tempel der Filmkultur“ betrachten und Neuerscheinungen, aber auch Filmklassiker, favorisiert auf der großen Leinwand schauen möchten. Streaming hat sich als Mediennutzung zum linearen Fernsehen etabliert und gehört daher heute dazu. Die Einführung von Netflix & Co. waren sicher herausfordernd, doch das Kino ist immer noch da und sicher auch dadurch nicht totzukriegen, wenn man das kollektive Erlebnis im Kinosaal mit Gleichgesinnten zu schätzen weiß. Das ist nicht nur bei uns so, sondern auch ganz international, wo Kinokultur vitaler denn je ist.
Casino Filmtheater
In den vergangenen zwei Jahrzehnten gab es diverse Meilensteine im Casino zu vermelden. Woran denkst du hier intuitiv zuerst?
Ich denke, dass wir mit unserem „Salon-Konzept“, also unserem Wohnzimmer-Kino mit nur 24 Plätzen und eigenem Saal-Service, einen Nerv getroffen haben. Die Idee wurde mittlerweile von vielen Kinomachern in ganz Deutschland aufgegriffen. Aber primär die vielen Filmreihen und Ideen, von unserer Partyreihe „Club Casino“ bis „Kino Kaffee und Klatsch“, Frühstückskino, den „Campus-Filmnächten“ auf dem Hochschulgelände, Autokino während der Pandemie, unserem Nachbarschaftstreff „Talk of the Town“ und und und …
Was war für dich die bisher größte Herausforderung als Casino-Chef?
Da muss ich nicht lange überlegen. Die Coronapandemie und die Nachwirkungen bis heute. Mein Team motiviert zu halten, die zehrende Zeit der Kurzarbeit und das Ungewisse, wann wir unser Kino wieder öffnen dürfen, hat mir sehr zu Schaffen gemacht. Ich kann nicht leugnen, dass die Zeit, die bis dato anstrengendste für mich war. Die finanziellen Hilfen des Staates waren essenziell. Sonst hätten wir es – wie viele andere Kinos – nicht geschafft. Es war aber vor allem ein Gefühl der Ohnmacht, fallengelassen, vergessen zu werden. Kultur hatte in einem Land, das sich als „Kulturnation“ bezeichnet, einen sehr niedrigen Stellenwert erreicht.
Nach dem Ende der Coronapandemie haben es Kulturorte sehr schwer gehabt, Lockdowns, Kurzarbeit, Abstandsregeln. Langsam stabilisieren sich die Betriebe wieder, Was glaubst du hat diese Zäsur des Alltags mit den Menschen gemacht? Was hat sich verändert?
Zweifelsfrei hat die Pandemie etwas mit den Menschen gemacht. Viele sind ängstlicher, vor allem bequemer geworden. Der standardmäßige Kinogang unter Freunden war Routine. Das gibt es so nicht mehr. Menschen haben zu Hause ihr Nest gebaut, Ausgehen – egal ob ins Restaurant oder ins Kino – findet anders, überlegter statt. Möglicherweise sind die vielen internationalen Krisen ein Grund für Rückzug und die Sehnsucht nach Geborgenheit. Wir spüren, dass es sperrige Stoffe, schwere Filme, Dramen sehr schwer bei uns in Aschaffenburg haben – das wollen unsere Gäste gerade einfach nicht sehen.
Casino Filmtheater
Seit 20 Jahren managst du das Casino, bist aber seit fast zehn Jahren gleichzeitig auch Geschäftsführer der Frankfurter Arthouse-Kinos Harmonie, Cinéma und Eldorado. Im Sommer dieses Jahres kam noch die Wiederöffnung des Capitol-Kinos in Mainz dazu – und du disponierst die Kinolounge in Alzenau. Was reizt dich daran, Kinos an anderen Standorten zu machen/zu eröffnen?
(lacht) Viele glauben, dass ich verrückt bin. Als Frankfurter kannte ich die Kinos dort sehr gut. Bei der Option der Übernahme musste ich nicht lange überlegen. Dem Reiz der Großstadt, facettenreicheres Programm für ein internationales Publikum anzubieten, war ich sicher erlegen. In Frankfurt spielen wir Filme standardmäßig in der jeweiligen Originalversion mit Untertiteln. Wir haben alle Häuser mit Bar und Café – ähnlich dem Casino – ausgestattet sowie die Kinos modernisiert und aufgehübscht, um sie so auch für eine studentische, junge Zielgruppe attraktiv zu machen. Die erfolgreiche Wiederöffnung des Traditionskinos Capitol wurde durch die Stadt Mainz gefördert und wir konnten uns in der Bewerberauswahl mit unserem Konzept durchsetzen. Ich denke, es macht mir sinnstiftende Freude, diese Orte weiterhin am Leben zu halten und modernes Kino zu gestalten.
Wie bewahrt man sich die eigene cineastische Leidenschaft, wenn man hauptberuflich viele Filme schaut? Geht das Vergnügen auch (noch) ins Private über oder wie schaltest du persönlich ab?
Da der Arbeitsalltag bei mir sehr stark geprägt ist, ich viele Filmfestivals und Messen besuche, ist mein privater Filmkonsum eher gering. Ich liebe es zu kochen, zu reisen, mich mit Freunden auf einen Wein zu treffen und Motorrad zu fahren, um den Kopf frei zu kriegen.
Ab und an hört man von Gästen den Satz „Schön, dass es Sie noch gibt“. Hauptsächlich von Menschen, die wenig ins Kino gehen und sich über dieses „altmodische Ausgehverhalten“ wundern. Was entgegnest du ihnen?
Ich kann niemanden zwingen, Kinos zu besuchen. Aber ich kann sie überzeugen, in schönem Ambiente, bei gutem Sound, auf großer Leinwand und als gemeinschaftliches Erlebnis, einen Film im bestmöglichen Setting zu genießen. Erfahrungsgemäß sind vor allem Menschen, die das Kino lange gemieden haben, die Stammgäste von morgen.
Casino Filmtheater
Butter bei die Fische: Worauf bist du persönlich nach 20 Jahren Casino stolz?
Dass wir immer noch „unser“ Kino machen dürfen und die unendliche Unterstützung unserer Gäste. Ich bin glücklich darüber, dass das Fortbestehen des Kinos als eine Erfolgsgeschichte betrachtet werden kann und wir die wertige Marke „Casino“ in Aschaffenburg sowie der gesamten nationalen Kinobranche etablieren konnten.
Wie sieht die Zukunft des Kinos aus? Welche Pläne und Ziele hast du dir für den Standort Aschaffenburg noch ausgedacht?
Für nachkommende Generationen muss das Kino attraktiv bleiben. Daher planen wir eine Sanierung und Renovierung des Interieurs in naher Zukunft. An programmatischen Ideen und Überraschungen mangelt es nicht. Außerdem sind filmbegeisterte Menschen aufgerufen, uns jederzeit zu kontaktieren, um gemeinsame Sachen zu machen. Das Casino ist in seinen 20 Jahren zu einem unverzichtbaren Teil der Aschaffenburger Kulturlandschaft geworden. Wir sind als Ort für alle da – und gekommen, um zu bleiben!
Danke fürs Gespräch, Chris!