© Till Benzin
Dead End Obernau
Kleines Rätsel für Aschaffenburg-Experten gefällig? Was haben die folgenden Straßen und Orte gemeinsam? Aumühlstraße – Zum Spielplatz – Klinikum – Waldbrunnenweg – Birkenweg – Schellenmühle – Verpflegungsamt – Bollenwaldstraße – Waldfriedhof? Na? Wer weiß es? Die Auflösung gibt’s im nächsten Heft!
Nein, nur Spaß! Bei den genannten Orten handelt es sich allesamt um Endhaltestellen von Aschaffenburger Stadtbuslinien oder aber um solche Haltstellen, die die letzte Möglichkeit bieten, noch im Stadtgebiet auszusteigen. Es sind sozusagen die Aschaffenburger ÖPNV-Dead-Ends. Wer sicher gehen will, dass er nicht aus Versehen die Stadt verlässt und gezwungen wird, einen Fuß in die umliegenden Landkreise zu setzen, der muss spätestens hier aussteigen. Jetzt könnte man sagen: „Schön. Ja und?“ Könnte man – wenn es da nicht die begrüßenswerte Entscheidung der Aschaffenburger Politik gegeben hätte, dass die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel jeweils samstags kostenlos ist. Da das aber eben nur für die Stadt und nicht für das Umland gilt, wird es plötzlich trotz freiem Warenverkehr und einem freien Europa nicht uninteressant zu wissen, wo die Stadt denn eigentlich aufhört – der Samstagsausflug soll ja kostenlos bleiben. Aber keine Angst. Ihr müsst jetzt keine Fahrpläne wälzen und alte Stadtkarten aus den Archiven kramen. FRIZZ hat seine unerschrockenen Investigativ-Journalisten dahin geschickt, wo es weh tut – zu den Aschaffenburger Dead Ends! Wir wollen euch in unserer Serie zeigen, welche verborgenen Ecken es bei uns in Aschebersch noch zu entdecken gilt – samstags zum Nulltarif mit Bus und Bahn, versteht sich.
Unser Ausflug mit der Linie 1 startet, wie alle Stadtbuslinien am Regionalen Omnibusbahnhof (ROB) neben dem Hauptbahnhof. Wer also nach dem Frühstück in eine der Perlen des Aschaffenburger Umlands aufbrechen will, der kann sich samstags immer zur vollen oder halben Stunde an Bussteig 3 gemütlich in die Großraumlimousine setzen und chauffieren lassen. Doch halt – ganz so einfach ist das nicht. Obwohl überall Linie 1 drauf steht, fährt die eine Variante zur halben Stunde bis nach Sulzbach in die Spessartstraße, die andere Variante zur vollen Stunde nur bis nach Obernau zur Endhaltestelle Bollenwaldstraße. Wer also wirklich zum Endpunkt will, muss zur vollen Stunde einsteigen und läuft so auch nicht Gefahr, das Stadtgebiet zu verlassen. Die Fahrt ist und bleibt kostenlos.
14 Minuten dauert die Reise vorbei an Stadthalle und Südbahnhof, der Haltestelle „Am Bischberg“ (obwohl hier weit und breit kein Berg zu sehen ist) und der Haltstelle Nilkheimer Brücke (obwohl hier weit und breit keine Brücke zu sehen ist) bis nach Downtown Obernau. Nach weiteren acht Minuten taucht der Bus dann ein in das Obernauer Industriegebiet und erreicht das Dead End: die Haltstelle Bollenwaldstraße.
© Michael Seiterle
Ellis Gartenwirtschaft
Wir steigen aus. Es gibt jetzt zwar auf den ersten Blick nicht unbedingt viele optische Gründe, die einem ins Auge springen, warum man gerade hier jetzt herumspazieren sollte, aber wir gehen eben auch dahin, wo es weh tut. Ein Blick auf den Fahrplan zeigt, dass nun genau eine Stunde und fünf Minuten Zeit bleiben, um die Gegend zu erkunden. Also gut. Schauen wir uns dieses Fleckchen Aschaffenburg doch einfach erst einmal näher an: Wir sind in einem Gewerbegebiet. So weit, so schlecht. Als erstes fällt ein großes Gebäude auf, das sich genau hinter der Bushaltestelle befindet. Es gehört zur Firma Elb-Schliff-Werkzeugmaschinen GmbH. Ok. Wir schlendern weiter die Bollenwaldstraße entlang. Linker Hand gleich ein weiteres Gebäude. Edgar Kunz Textilveredelung. Plötzlich wird der graugetönte Blick von etwas grün gestört. Was ist das? Ein Rasen? Natur? Ein Fußballplatz! Genauer gesagt, der Platz der Teutonia Obernau. Der liegt müde in der samstäglichen Sonne. Dahinter ist etwas erhöht sogar noch ein zweiter zu erkennen. Ein Blick auf den Eingang des Vereinsheims zeigt: Es handelt sich um das Bollenwaldstadion. Wer hätte das gedacht – was den Darmstädtern ihr „Bölle“ ist den Obernauern dann wohl der „Bolle“. Es folgt ein idyllischer baumumstandener Parkplatz, von wo es auch zu den Plätzen des Tennis Club Obernau geht. Wimbledon, Flushing Medows, Roland Garros, Bollenwald … das wäre doch mal was.
Wir biegen weiter in den Mühlweg ab, der uns nach ein paar hundert Metern bis zur Altenbachstraße bringt. Hier wieder links und kurz danach lockt das Vereinsheim vom Flugsportclub Möwe 1951 etwas versteckt rechter Hand. Ein kleiner Abstecher und schon sind wir auf dem Segelfluggelände des alteingesessenen Vereins. Der Blick schweift über die 800 Meter lange Grasbahn. Ich erfahre, dass hier mit sogenannten Windenstarts Segelflugzeuge an einer Seilwinde mit einem 280 PS Motor angezogen werden und dann bei 300 bis 400 Meter Höhe ausgeklinkt werden. An Wochenenden mit Flugbetrieb gibt es auch Getränke und etwas zu essen. Auch Nicht-Flieger sind herzlich willkommen und können mit einem erfahrenen Piloten in das Segelflugzeug steigen. Das wäre doch mal eine Geschenkidee für den einen oder andern flatterhaften Bekannten …
© Michael Seiterle
Fluggelaende Obernau
Die Altenbachstraße führt zur Ruchelnheimstraße, in die wir rechts einbiegen. Eine ganze Weile geht es nun an einer meterhohen Hecke entlang, hinter der sich die Startbahn des Flugplatzes verbirgt. Trotzdem bekommt man ein „grüneres Gefühl“ in diesem Teil des Gewerbegebiets. Und dann, in einer langen Linkskurve, tut sich noch unverhofft ein Kleinod auf: Ellis Gartenwirtschaft. Sie verspricht „satte Natur, würzige Waldluft, lauschige Ruhe, duftende Blumen und summende Bienen“. Vom 1. Mai bis zum 3. Oktober lässt es sich hier immer samstags, sonn- und feiertags von 11–22 Uhr entspannen und genießen. Elli und Werner verwöhnen mit selbstgebackenem (mega leckerem) Kuchen, deftigen Brotzeiten und Fassbier. Die beiden übertreiben nicht, wenn sie von ihrer Gartenwirtschaft als einen Ort zum „Erholen und Wohlfühlen“ sprechen. Wer hätte gedacht, dass man hier im Gewerbebiet ein natürliches Kleinod zum Verweilen findet. Die Wirtschaft grenzt übrigens an ein großes Waldgebiet im Altenbachgrund, wie auch das ganze Gewerbegebiet im Norden von Wald begrenzt wird. Da kann aus der angepeilten Stunde schnell auch mehr werden … Aber das macht ja auch nichts. Der Bus zurück in die Stadt fährt stündlich.
Wir halten fest – auch ein Gewerbegebiet im äußersten Süden unserer Heimatstadt ist einen Ausflug wert: Ein Flugplatz, Tennis und Fußball, weite Wälder und eine Gartenwirtschaft – das Dead End der Linie 1 verspricht so einige Überraschungen …